BRICS als neues globales Machtzentrum? – Teil 2: Perspektiven für eine Erweiterung der Staatengruppe
Eine Analyse von Alexander Männer
Teil 1 finden Sie hier.
Während ihres Bestehens hat die Staatengemeinschaft "BRICS" der fünf aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika ein sehr hohes Niveau bei deren Zusammenarbeit erreicht und gewann in der Weltwirtschaft und Politik dadurch enorm an Gewicht. Kürzlich rückte zudem die mögliche Erweiterung der Ländergruppe ins Zentrum der Aufmerksamkeit und bleibt aktuell so relevant wie noch nie, da die BRICS-Partnerschaft inmitten der heutigen turbulenten Zeit für viele Staaten eine große Chance bietet.
Um so mehr gilt das in Zeiten von Wirtschaftsbeschränkungen und anderen Sanktionen, die der Welthegemon USA und seine Verbündeten regelmäßig gegen jene Länder erlassen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Die US-Dominanz im globalen Finanzsystem hat diesen Ländern kaum Optionen gelassen, aber dank der BRICS und anderen multilateralen Organisationen, die die Möglichkeiten bieten, derartige Sanktionen zu umgehen, ändert sich die Situation.
BRICS-Kooperation als geopolitische Alternative
So nutzen immer mehr Länder diese Chance und setzen auf eine pragmatische Zusammenarbeit mit den BRICS, unter anderem im Rahmen von "BRICS Plus" – einem eigens dafür entwickelten Format, das anderen Staaten die Teilnahme an bestimmten BRICS-Veranstaltungen ermöglicht. Allein in diesem Jahr haben Ägypten, Indonesien, Kasachstan, Nigeria, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Senegal und Thailand an einer BRICS-Plus-Konferenz teilgenommen.
Bei der Kooperation allein wollen es viele jedoch nicht belassen. Neben einigen der bereits genannten Staaten sollen auch die Türkei, Argentinien, Iran, Mexiko und Tadschikistan ihr Interesse an einer BRICS-Aufnahme bekundet haben. Trotz der Fürsprache durch fünf Mitglieder wurden bislang allerdings nur wenige praktische Schritte in diese Richtung unternommen.
Die Frage nach der BRICS-Erweiterung war dann im Vorfeld und während des diesjährigen BRICS-Gipfels intensiv erörtert worden, und bekam wenige Tage nach dem Treffen einen immensen medialen Auftrieb, als zuerst die Islamische Republik Iran und Argentinien ihre Aufnahmeanträge stellten und anschließend gemeldet wurde, dass Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei als potenzielle Beitrittskandidaten gehandelt werden.
Diese Entwicklung kann man als Beleg dafür werten, dass die BRICS – als Gegenmacht des kollektiven Westens – vor allem durch ihre Erweiterung eine neue, gerechtere und multipolare Weltordnung realisieren wollen. Der Staatenblock könnte die heutige US-dominierte Ordnung dadurch verändern, dass er durch neue Mitglieder eine breite Basis für ein alternatives Machtzentrum schafft und mit ihrer Hilfe die neuen Rahmenbedingungen auf andere Teile der Welt ausweitet.
Beitrittskandidaten Iran und Argentinien
In diesem Sinne war der Beitrittswunsch Irans nicht gerade überraschend, auch wenn der Aufnahmeantrag für viele Beobachter zweifelsohne eine Überraschung war. Der Iran, der die US-Sanktionen in der Vergangenheit besonders hart zu spüren bekam, wurde nicht unbedingt als Hauptkandidat für einen Beitritt zu den BRICS betrachtet, galt aber nichtsdestotrotz immer als ein vertrauenswürdiger Partner der Gemeinschaft.
Die iranische Seite zeigte sich überzeugt, dass die BRICS "eine entscheidende Rolle" dabei gespielt haben, "echten Multilateralismus zu praktizieren und die Einheit und Stärke der Entwicklungsländer zu fördern". Darum sei man in Teheran bereit, alle "Ressourcen und Vorteile, einschließlich Energiereserven, personeller Ressourcen und wissenschaftlicher Errungenschaften", anzubieten, um den BRICS-Ländern zu helfen, ihre Ziele zu erreichen.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi hat in diesem Zusammenhang versichert, dass die "geopolitische und geoökonomische Lage" seines Landes es zu einem "stabilen und zuverlässigen Partner" der BRICS machen könne. Man sei zudem bereit, den BRICS-Staaten die Möglichkeit zu geben, neue Märkte zu erschließen und ihren Energiebedarf mithilfe Irans zu decken.
Und auch Argentinien legt Wert darauf, den Kritikern unmissverständlich zu machen, dass es "ein vollwertiges Mitglied dieser Gruppe" sein könne. Präsident Alberto Fernández betonte, dass sein Land einen wichtigen Beitrag zur BRICS-Wirtschaftskooperation leisten könnte, da Argentinien unter anderem ein sicherer und verantwortungsvoller Lebensmittellieferant sei und auf dem Gebiet der Biotechnologie und der angewandten Logistiktechnologie anerkannt sei.
Im Gegenzug ist anzumerken, dass die BRICS für das krisengeplagte südamerikanische Land – Argentinien steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise und hat unter anderem mit hohen Staatsschulden zu kämpfen – eine Chance zur Verbesserung seiner ökonomischen Lage darstellen. Experten haben diesbezüglich allerdings darauf verwiesen, dass Buenos Aires sehr stark an China gebunden und in diversen Bereichen sehr stark von der Volksrepublik abhängig sei, weshalb die Argentinier vor allem für Peking ein Wunschkandidat für den Beitritt seien.
Beitrittskandidaten Ägypten und Türkei
Neben Iran und Argentinien könnten mit Ägypten, Saudi-Arabien und der Türkei drei weitere Top-Kandidaten den BRICS beitreten. Laut der Präsidentin des Internationalen BRICS-Forums, Purnima Anand, hat die Staatengruppe dieses Thema während des vergangenen Gipfels diskutiert. Sie rechnet daher mit einer baldigen Bewerbung der drei Länder. "Alle diese Länder haben ihr Interesse an einem Beitritt bekundet und bereiten sich darauf vor, die Mitgliedschaft zu beantragen. Ich denke, dass dies ein guter Schritt ist, denn eine Erweiterung wird immer positiv wahrgenommen, dies wird den Einfluss der BRICS in der Welt deutlich erhöhen", erklärte Anand.
Der Beitritt aufstrebender Entwicklungsländer wie Ägypten könnte die BRICS-Wirtschaftskooperation durchaus stärken und der Gruppe dazu verhelfen, eine bedeutendere Rolle in der internationalen Politik zu spielen.
Das trifft auch auf die Türkei zu, da das Land in der Schwarz- und Mittelmeerregion sowie im Kaukasus zu den wichtigsten Regionalmächten zählt und zugleich als westliches Tor zu Zentralasien fungiert. Zudem ist Ankara dabei, seine Zusammenarbeit mit Moskau und Teheran in Richtung einer strategischen Partnerschaft auszuweiten.
Jedoch ist die Aufnahme der Türkei in die BRICS auch problematisch, da das Land eines der wichtigsten NATO-Mitglieder ist und sein Agieren an der Seite Chinas und Russlands auf die Ablehnung der USA stoßen dürfte. Auch wenn die BRICS kein Militärbündnis bilden und die NATO nicht als ihren geopolitischen Gegner bezeichnen, zielt die Gruppe dennoch letztendlich darauf ab, ein neues Machtzentrum aufzubauen, dass sich gegen US-Interessen richten soll.
Saudi-Arabien – die große Überraschung?
Erhebliche Folgen dürfte Experten zufolge die Aufnahme von Saudi-Arabien, der Regionalmacht im Nahen Osten, auf das geopolitische Gleichgewicht der Welt haben. Das Königreich ist der weltgrößte Erdölexporteur und übt in dieser Rolle bereits einen erheblichen Einfluss auf die globale Erdölpolitik sowie auf die Energiemärkte aus. Gemeinsam mit Russland, dem größten Gasexporteur, könnten die Saudis das weltweite Angebot dieser beiden wichtigsten Rohstoffe zusätzlich noch stärker beeinflussen.
Offenbar will das OPEC-Schwergewicht genau das erreichen, da es sich offensichtlich von den USA distanziert und stattdessen seine Ölproduktion mit Russland koordiniert. In Bezug auf Moskau zeigt sich Riad gegenüber der Politik Washingtons ebenfalls zunehmend unkooperativ und handelt als unabhängiger Akteur, indem es sich zum Beispiel weigert, sich an den antirussischen Sanktionen oder dem "Erdölkrieg" des Westens gegen Russland zu beteiligen.
Allerdings bleiben diverse geopolitische Herausforderungen und andere Schwierigkeiten bei der Erweiterung um Saudi-Arabien und Iran bestehen. Eine davon wäre die politische Annäherung und Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen den beiden rivalisierenden islamischen Systemen, dem sunnitischen Riad und dem schiitischen Teheran, die zudem um die regionale Hegemonie am Persischen Golf streiten.
Dennoch ist eine Annäherung beider Länder unter dem gemeinsamen Schirm der BRICS, die genügend Raum für unterschiedliche Ansichten bieten, sowie aufgrund ihrer jeweiligen Probleme mit der US-Dominanz, nicht unmöglich. Zumal die beiden Akteure aufgrund ihrer Öl- und Gasreserven strategische Partner sein könnten, was in Anbetracht der Krise im globalen Energiebereich von Vorteil wäre.
Welche der genannten Staaten am Ende der Gruppe beitreten werden, kann man jetzt noch nicht absehen und es bleibt diesbezüglich wohl der Vorsitz Südafrikas im kommenden Jahr abzuwarten. Was man aber konstatieren kann, ist die Tatsache, dass die BRICS immer mehr Länder an sich binden. Deshalb kann man schon heute davon ausgehen, dass sich in Zukunft noch weitere Staaten um eine BRICS-Mitgliedschaft bewerben werden.
Mehr zum Thema - Saudi-Arabien, Ägypten und Türkei könnten bald BRICS-Gruppe beitreten
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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