Zehntausende Bewohner der Region Charkow könnten Opfer der Kiewer "Justiz" werden
Eine Analyse von Wladislaw Ugolniy
Die Anfang dieses Monats von ukrainischen Truppen gestartete Offensive in der Region Charkow führte dazu, dass die russischen Streitkräfte die Kontrolle über eine Reihe von Siedlungen verloren. Dazu gehören die Städte Balakleja, Isjum, Kupiansk, Woltschansk sowie mehrere Dörfer und kleine Ortschaften. Trotzdem konnte die russische Armee durch die Konzentration auf Kämpfe in der Nachhut erhebliche Verluste vermeiden und sich auf das linke Ufer des Flusses Oskol zurückziehen, um sich neu zu formieren. Zu den Hauptopfern dieser Wendung wurden jedoch die Bewohner der oben genannten Gebiete, die sich jetzt in den Händen Kiews befinden.
Zur Flucht gezwungen
Über die Bevölkerung dieser Region gibt es keine genauen Daten. Die letzte Volkszählung wurde vor mehr als 20 Jahren durchgeführt und die Statistiken der Ukraine sind bekanntermaßen sehr ungenau.
Wir schätzen die Vorkriegsbevölkerung auf 200.000 Menschen. Nach Ausbruch der Feindseligkeiten mussten viele fliehen. Die Zahl der Flüchtlinge hängt von der Intensität der Kämpfe ab. In der an Russland grenzenden Stadt Woltschansk beispielsweise lebten die Menschen normal weiter, denn ab März war die Stadt nicht mehr unter Beschuss geraten und und es gab humanitäre Hilfe. Die Dörfer an der Front südlich von Isjum wurden jedoch praktisch dem Erdboden gleichgemacht.
In jedem Fall sprechen wir von Zehntausenden von Menschen. Höchstwahrscheinlich lebten mindestens 100.000 Menschen in den von Russland kontrollierten Gebieten. Einige von ihnen blieben unter dem Schutz der russischen Armee, die das linke Ufer des Oskol kontrolliert, sowie Dörfer wie Kupiansk und Borowaja, die jetzt zu Schauplätzen intensiver Feindseligkeiten geworden sind.
Nach Beginn von Kiews Offensive mussten einige Einwohner der Region Charkow ihre Häuser verlassen. Eine Evakuierung wurde in Woltschansk, Weliki Burluk, Kupiansk und Isjum durchgeführt. Verschiedenen Schätzungen zufolge sind von dort allein im September zwischen 5.000 und 25.000 Menschen nach Russland geflüchtet.
Laut Journalisten des Nachrichtenportals readovka.news beherbergte das Gebiet Woronesch etwa tausend Flüchtlinge. Eine weitere kleine Gruppe verließ Charkow und flüchtete in die Volksrepubliken Donezk und Lugansk, insbesondere in das nächstgelegene Bezirkszentrum Swatowo.
Die meisten Anwohner sind aber vor Ort geblieben. Aus der Kommunikation mit Einwohnern kleiner Städte an der Donbass-Front, die seit acht Jahren beschossen werden, geht mit Sicherheit hervor, dass eine solche Entscheidung nicht politisch motiviert ist. Die Bewohner solcher Gebiete, darunter viele Familien mit Liegenschaften, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder pflegebedürftigen Verwandten mit eingeschränkter Mobilität halten in der Regel bis zum Ende an ihrem Land, ihrer Heimat und ihrer traditionellen Lebensweise fest. Sie sind diejenigen, die ihre Häuser in den letzten Monaten nicht verlassen haben. Und sie sind diejenigen, die jetzt bedroht sind.
Ukraine bereitet "Aufwischen" vor
Auf Telegram, einer der wichtigsten Social-Media-Plattformen für beide Konfliktparteien, sind mehrere Kanäle aufgetaucht, die persönliche Daten sogenannter "Kollaborateure" veröffentlichen. Als Grundlage für eine solche Anschuldigung kann alles dienen, einschließlich der Kommunikation mit dem russischen Militär oder dem Erhalt humanitärer Hilfe. Nach einer Welle von Beschwerden beim technischen Support von Telegram wurden einige dieser Kanäle gesperrt.
Trotzdem bleiben viele Einträge weiterhin online, in denen Russlands Unterstützer nach dem Vorbild der Kunstfigur Homunculus loxodontus als "Schdun" entmenschlicht werden. Nach dem öffentlichen Konsens in der Ukraine sind jene Menschen, die mit Moskau sympathisieren, die Ursache des Konflikts. In den Augen der ukrainischen Radikalen ist jeder, der Russland gegenüber positiv eingestellt ist, eine Gefahr für die nationale Sicherheit.
Daher wurden personenbezogene Daten in den frühen Tagen der Offensive nur zu einem Zweck veröffentlicht: Um auf Feinde hinzuweisen, damit sie beim "Aufwischen" getötet werden können. Damit sind Aktionen gemeint, die darauf abzielen, die Kontrolle über das besetzte Gebiet durch die Armee, die Söldner und nationalistische Bataillone zu erlangen. Das "Aufwischen" steht außerhalb der Strafprozessordnung und ist in keinem Gesetz geregelt. Das Gesetz dazu wird vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt im Territorium eingeführt, aber in den allerersten Tagen wird eine "revolutionäre Justiz" ausgeübt werden, ohne Rechtsbeistände, dafür aber mit ukrainischen Kombattanten, die gleichzeitig die Funktionen von Richtern, Staatsanwälten und Henkern einnehmen.
Sobald das "Aufwischen" abgeschlossen ist, werden Elemente des ukrainischen Rechtssystems in die eroberten Städte gelangen. Sie werden sich auf die Verschleierung von Kriegsverbrechen konzentrieren, die während des "Aufwischens" begangen wurden und stattdessen mit dem Finger auf Russland zeigen. Die letzten beiden Maßnahmen werden gleichzeitig ausgeführt und – wie in Butscha – die von ukrainischen Soldaten getöteten Menschen zynisch als Opfer der russischen Armee dargestellt.
Demonstrative Festnahmen
Nach Angaben des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) wurden vergangene Woche bereits 16 Personen festgenommen, die einer Zusammenarbeit mit russischen Behörden verdächtigt wurden. Die Sicherheitsbeamten interessieren sich in erster Linie für Steuerbeamte, die für das Funktionieren lokaler Unternehmen während der Moskauer Kontrolle des Territoriums verantwortlich waren. Gefährdet sind aber auch einheimische Lehrkräfte, die auf den russischen Lehrplan umgestiegen sind.
Trotz des humanitären Völkerrechts, das die Partei, die ein Territorium kontrolliert, dazu verpflichtet, den Bildungsprozess aufrechtzuerhalten und betont, dass den Erziehern kein Schaden zugefügt werden darf, scheint Kiew entschlossen, diese Lehrer zu bestrafen, um an ihnen ein Exempel zu statuieren.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine Irina Wereschtschuk ist der Ansicht, dass diese Lehrer Verbrechen begangen hätten und wegen Hochverrats bestraft werden sollten.
Solche Maßnahmen der ukrainischen Regierung zielen in erster Linie darauf ab, Pädagogen in russisch kontrollierten Gebieten einzuschüchtern. Durch die Bereitschaft, Behördenmitarbeiter strafrechtlich zu verfolgen, erhöht Kiew den Einsatz. Es ist auch bekannt, dass ukrainische Strafverfolgungsbehörden Forstarbeiter festnehmen lassen, weil sie der russischen Armee beim Sammeln von Feuerholz geholfen haben. Ob sie die Russen gewerbsmäßig mit Feuerholz belieferten, die ihnen anvertrauten Wälder rodeten oder den Soldaten einfach sagten, wo sie Holz finden konnten, bleibt unbekannt.
Traditionen der ukrainischen "Gerechtigkeit"
Jeder Zivilist, der in einem von Russland kontrollierten Gebiet lebt, könnte wegen Kollaboration angeklagt werden. In der Ukraine gibt es ein spezielles Ministerium für die "Wiedereingliederung vorübergehend besetzter Gebiete", das seit 2016 eine Politik der "Filterung" der Zivilbevölkerung umsetzt. Ursprünglich konzentrierte sich die Tätigkeit der Stelle auf den Donbass und die Krim, aber ihr Wirkungsgebiet hat sich inzwischen ausgeweitet.
Das auffälligste Beispiel ist das "Gesetz über die Staatspolitik in der Übergangszeit", das unter anderem von der Venedig-Kommission für Verfassungsrecht dafür kritisiert wird, dass die ukrainische Staatspolitik in den von ihr besetzten Gebieten darauf abzielt, nur die angeblichen Kriegsverbrechen der Gegenseite zu untersuchen und es ignoriert, die Wahrheit über alle Verbrechen herauszufinden. Dieses Gesetz führte auch eine unterschiedliche Behandlung von Bürgern ein, abhängig von deren Grad an Interaktion mit Russland oder den Donbass-Republiken.
Das Thema der sogenannten Schuldunterscheidung – und laut Ukraine ist die gesamte Zivilbevölkerung im Osten der Ukraine mehr oder weniger "schuldig" –, wurde damals von allerlei Non-Profit-Organisationen vorangetrieben. Das Informationszentrum der Krimtataren entwickelte in Zusammenarbeit mit der Organisation Wosroschdenija (Wiedergeburt) der Soros-Stiftung und der extremistischen Organisation Medschlis des Krimtatarischen Volkes, die behaupten, die rechtmäßige Regierung der Krim zu sein, eine komplette Methodik zur Bewertung des Grads der Zusammenarbeit.
Für eine Demonstration der Größenordnungen führten die Ukrainer drei Beispiele an: Einen Arzt in einem städtischen Krankenhaus auf der Krim, einen stellvertretenden Stadtratsabgeordneten und die ehemalige Generalstaatsanwältin der Krim Natalja Poklonskaja.
Gemäß der Methode erzielt der Arzt 17 Punkte, der stellvertretende Stadtratsabgeordnete 30 und Poklonskaja 86. Somit ist jeder Arzt auf der Krim mit 17 Punkten bereits der Kollaboration schuldig. Seit dem Jahr 2014 debattiert die ukrainische Gesellschaft, vertreten durch gemeinnützige Organisationen, über die Schwere der "Schuld" des Arztes und die zu verhängende Strafe. Die Ergebnisse solcher Diskussionen sehen wir jetzt im Gebiet Charkow.
Vorbereitung für das nächste "Butscha"
Neben dem Kampf gegen Lehrer und Förster sind die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden und Medien damit beschäftigt, Kriegsverbrechen zu vertuschen und zu verfälschen. So öffnen sie die sogenannten "Keller". Hierbei handelt es sich um illegale Gefängnisse und Folterkammern, in denen Kriegsgefangene und Zivilisten festgehalten wurden. Der Prozess der Fälschung stützt sich dann unter anderem auf eindrucksvolle Bilder wie zum Beispiel ein Foto eines Gebets, das in eine der Kellerwände geritzt wurde.
Eine weitere Fälschung handelte von sieben Studenten aus Sri Lanka, die an der Medizinischen Hochschule in Kupjansk studierten, das angeblich seit März von russischem Militärpersonal besetzt gewesen sei. Die Studenten sollen über Folter durch russische Soldaten berichtet haben.
Die offizielle Version ist simpel: Zornige Russen haben einfach wahllos Ausländer festgenommen und gefoltert. Dass die russische Armee die Studenten tatsächlich aus Mariupol und Cherson evakuiert hat, wird einfach ignoriert. Das Außenministerium von Sri Lanka hat Kiew vorerst darum gebeten, mehr Informationen über seine Bürger bereitzustellen. Eine faire Untersuchung ist jedoch solange nicht zu erwarten, bis sich diese Sri Lanker außerhalb der Hände des ukrainischen Staates befinden.
Apropos Kiews Hände: Ein weiteres Mediensymbol des "Genozids am ukrainischen Volk" wurde das Bild von einer Hand eines Verstorbenen mit einem Bändchen in den Farben der ukrainischen Flagge um das Handgelenk. Dies wurde als offensichtlicher Beweis für ein Hassverbrechen präsentiert. Ein Mann sei getötet worden, weil er ukrainische Symbole trug. Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei dem Toten um Sergei Sowa, ein Mitglied der 93. Mechanisierten Brigade, der bei Kämpfen nahe Isjum getötet worden war.
Im Allgemeinen sind die einzigen Massengräber, an denen sich die ukrainische Propaganda jetzt abarbeitet, von Russen organisierte Friedhöfe, auf denen die Opfer des militärischen Konflikts bestattet wurden. Darunter auch ukrainische Soldaten. Auf einem der Kreuze auf dem Friedhof in Isjum befindet sich die Inschrift "APU, 17 Personen, Isjum, aus dem Leichenschauhaus". APU ist ein Akronym für "ukrainische Streitkräfte". Kiew behauptet nun, dass dort 440 Leichen liegen. Einige der Kreuze tragen Inschriften mit Namen, andere nur eine Nummer.
Unter normalen Umständen wären diese Leichen der ukrainischen Seite im Austausch gegen die Leichen toter russischer Soldaten übergeben worden, aber die Ukraine boykottierte einen solchen Austausch, weil man nicht bereit war, die erheblichen Verluste einzugestehen. Insbesondere der Sohn des oben genannten Sergei Sowa erfuhr einige Monate später vom Schicksal seines Vaters und forderte über die Medien für eine ordnungsgemäße Bestattung die Überführung des Leichnams zur Familie. Zuvor wurde Sowa höchstwahrscheinlich als vermisst gemeldet. Ein Trick, mit dem die Zahl der gefallenen ukrainischen Soldaten herabgesetzt und gleichzeitig Entschädigungszahlungen an die Familien vermeidet werden.
Nun aber werden die im Kampf getöteten und in Übereinstimmung mit den vorherrschenden religiösen Traditionen bestatteten ukrainischen Soldaten als Opfer eines "Genozids" gezählt. Nach einer Weile, wenn nicht mehr zu unterscheiden ist, ob diese Menschen Anfang September oder Mitte September getötet wurden, werden sie als Opfer der sich zurückziehenden russischen Armee ausgegeben.
All dies ist eine unheimliche und zynische Geschichte, deren Wahrheit wir erst nach der Rückkehr der russischen Armee nach Charkow erfahren werden. Nur dann wird die massive Lügen-, Propaganda- und Desinformationsmaschinerie, die das Werk der ukrainischen Regierung in den besetzten Gebieten ist, gebrochen. Erst dann wird die Welt in der Lage sein, etwas über die wahren Kriegsverbrechen zu erfahren. Genauso wie wir nach der Befreiung von Mariupol und der Übernahme der Kontrolle über den Flughafen entdeckten, dass der ukrainische Sicherheitsdienst und das Battalion Asow diesen in ein Konzentrationslager verwandelt hatten, das unter dem Namen "Die Bibliothek" berüchtigt wurde.
Aus dem Englischen.
Wladislaw Ugolniy ist ein russischer Journalist aus Donezk.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.