Fußball statt Folterungen und Hinrichtungen – Saudi-Arabien sonnt sich in Schlagzeilen
Ständig werden in Saudi-Arabien Menschen hingerichtet und offenbar auch gefoltert, was aber vergleichsweise "sparsam" thematisiert wird. Der Mord an Jamal Khashoggi hatte weltweit Entsetzen ausgelöst: Am 2. Oktober 2018 betrat der bekannte Journalist und Kritiker des auch laut westlichen Geheimdiensten gefährlichen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman das saudi-arabische Konsulat in Istanbul. Er wollte unerlässliche Dokumente für die geplante Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten abholen. Doch zu einer Vermählung kam es nicht mehr, da Khashoggi ebendort brutal ermordet und zerstückelt abtransportiert wird. Der Kritiker des saudischen Königreichs hatte in den USA gelebt. Die Spur zu seinem Mord führt laut Menschenrechtlern und sogar US-Nachrichtendiensten zu dem Sohn und Kronprinzen Mohammed bin Salman des saudischen Königs. Der macht Geschäfte und guckt jetzt auch lieber Fußball.
Als Saudi-Arabiens betagter König Salman seinen Sohn Mohammed vor sechs Wochen zum Premierminister ernannte, erregte das Aufsehen. Die Gesetze des Königreichs sehen den König als Premierminister vor. König Salman musste eine vorübergehende Ausnahme erklären, um den Titel vergeben zu können, und gleichzeitig klarstellen, dass er die wichtigsten Aufgaben selbst behält. Doch dieser Schritt zahlte sich am Donnerstag vergangener Woche aus, als die Regierung Biden erklärte, dass Prinz Mohammeds Stellung als Premierminister ihn vor einer US-Klage wegen seiner Rolle bei der Ermordung eines in den USA lebenden Journalisten durch saudi-arabische Beamte im Jahr 2018 schützt, wie die US-Geheimdienste behaupten. Ein Richter in den USA wird nun darüber entscheiden dürfen, ob Prinz Mohammed Immunität genießt – zumindest in den Vereinigten Staaten.
Der Sprecher John Kirby des Nationalen Sicherheitsrates der USA betonte am Freitag vergangener Woche, dass es sich bei der Immunitätserklärung der US-Regierung für den saudischen Kronprinzen um eine rein "juristische Entscheidung" handele, die "absolut nichts mit der Begründetheit des Falles zu tun hat". Viele Völkerrechtsexperten stimmten der Regierung zu – allerdings nur, weil der König dem Kronprinzen Ende September, noch vor einer geplanten Entscheidung der USA, einen neuen Titel verliehen hatte.
"Es wäre für die Vereinigten Staaten genauso bemerkenswert gewesen, MBS nach seiner Ernennung zum Premierminister die Immunität als Staatsoberhaupt zu verweigern, wie es für die Vereinigten Staaten gewesen wäre, MBS' Immunität als Staatsoberhaupt vor seiner Ernennung anzuerkennen", schrieb William S. Dodge, Professor an der Davis School of Law der University of California-, und verwandte dafür die Initialen des Prinzen.
Vedant Patel, Sprecher des US-Außenministeriums, nannte Beispiele für frühere Fälle, in denen die USA die Immunität von Staats- und Regierungschefs anerkannt haben – etwa für Robert Mugabe in Simbabwe und Narendra Modi in Indien, die beide wegen Rechtsverletzungen angeklagt waren.
Die Klage wurde von der Verlobten des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi und einer in Washington, D.C. ansässigen Gruppe, die dieser gegründet hatte, bei einem Bundesgericht in Washington, D.C. eingereicht. Darin wird dem Kronprinzen und etwa 20 Helfern, Offizieren und anderen Personen vorgeworfen, die Ermordung Khashoggis im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul geplant und durchgeführt zu haben.
Die Ermordung, die der jetzige US-Präsident Joseph Biden in seinem Wahlkampf 2019 noch als "glatten Mord" verurteilte, der für die saudischen Machthaber Konsequenzen haben müsse, ist der Kern eines Zerwürfnisses zwischen den strategischen Partnern Vereinigte Staaten von Amerika und Saudi-Arabien.
Vor und unmittelbar nach seinem Amtsantritt gelobte Biden, dem saudi-arabischen Kronprinzen gegenüber Stellung zu beziehen, als Teil einer US-Präsidentschaft, die sich auf Rechte und Werte stützen würde. Aber Biden hat seitdem lediglich einen Faustschlag und andere versöhnliche Gesten angeboten, angesichts seiner – bisher enttäuschten – Hoffnung, den Kronprinzen dazu bewegen zu können, mehr Öl für die Weltmärkte und damit billigeres für die USA aus dem Boden zu fördern.
Bidens Regierung argumentiert, dass Saudi-Arabien für die Weltwirtschaft und die regionale Sicherheit zu wichtig sei, als dass die Vereinigten Staaten die jahrzehntelange Partnerschaft aufgeben könnten.
Doch Menschenrechtsaktivisten, einige hochrangige Abgeordnete auch der eigenen "Demokratischen Partei" und The Washington Post, jene Zeitung, für die Khashoggi tätig war, verurteilten am Freitag den Schritt der US-Regierung.
"Jamal ist heute wieder gestorben", twitterte Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz. "Wir dachten, es gäbe vielleicht Hoffnung auf Gerechtigkeit aus den Vereinigten Staaten. Aber auch hier geht es um Geld."
Fred Ryan, Herausgeber der Washington Post, nannte es einen "zynischen, kalkulierten Versuch", das Gesetz zu manipulieren und Prinz Mohammed zu schützen. Khashoggi schrieb Kolumnen für die Washington Post, in denen er in seinen letzten Monaten die Rechtsverletzungen des Kronprinzen kritisierte.
"Indem er sich diesem Plan anschließt, wendet sich Präsident Biden von den Grundprinzipien der Pressefreiheit und Gleichheit ab", schrieb Ryan.
Cengiz und Khashoggis Menschenrechtsorganisation "Democracy for the Arab World Now" (DAWN) hatten argumentiert, dass die Änderung des Titels des Kronprinzen Ende September nur ein Manöver gewesen sei, um den US-Gerichten zu entgehen, ohne Rechtskraft oder eine Änderung der Befugnisse oder Pflichten.
Saudi-Arabien hat sich nicht öffentlich zu der Entscheidung der Regierung geäußert. Für die Tötung Khashoggis wurden "abtrünnige" Beamte verantwortlich gemacht. Demnach habe der Kronprinz dabei gar keine Rolle gespielt.
Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie, im Gegensatz zu einer konstitutionellen Monarchie wie dem Vereinigten Königreich, wo ein Premierminister regiert und nicht der König (oder jahrzehntelang eine Königin).
"Ziemlich erbärmlich", sagte am Freitag über die Titeländerung Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung für den Nahen Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch.
"Wenn überhaupt, dann hat dies nur gezeigt, wie viel Angst Mohammed bin Salman vor unserer Klage und tatsächlicher Rechenschaftspflicht und tatsächlicher Aufdeckung seiner Verbrechen hatte und hat", sagte Whitson.
Die Biden-Administration schien das Argument ihrer Gruppe zurückzuweisen, dass die jüngste Titeländerung von Prinz Mohammed gegen das in Saudi-Arabien geltende Recht verstoße und nicht beachtet werden sollte. König Salman hat seit der Titeländerung weiterhin Ernennungen vorgenommen und Sitzungen seines Rates geleitet. Prinz Mohammed ist jedoch schon seit Jahren ein wichtiger Entscheidungsträger und Akteur im Königreich und vertritt den König auch im Ausland.
Einige westliche Nachrichtenagenturen hatten die vorübergehende Übertragung des Titels des Premierministers so dargestellt, dass König Salman – der Ende 80 ist – die Verantwortung an den 37-jährigen Prinz Mohammed abgibt.
Ein Bundesrichter hatte den USA bis Donnerstag Zeit gegeben, sich zu der Behauptung des Kronprinzen zu äußern, dass seine Stellung ihn vor US-Gerichten schütze.
Menschenrechtsverfechter hatten bis zum Zeitpunkt der Einreichung gehofft, dass die US-Regierung schweigen und sich nicht zur Immunität von Prinz Mohammed äußern würde. Die souveräne Immunität, ein im Völkerrecht verankertes Konzept, besagt, dass Staaten und ihre Beamten vor bestimmten Gerichtsverfahren vor den Gerichten anderer, ausländischer Staaten geschützt sind.
Frühere straf- und zivilrechtliche Verfahren gegen ausländische Regierungen und Staatsoberhäupter, in die die USA nicht eingegriffen haben, betrafen in der Regel Länder, mit denen die USA keine diplomatischen Beziehungen unterhalten oder deren Staats- oder Regierungschefs sie nicht als rechtmäßig anerkennen.
Fälle, die gegen Iran und Nordkorea angestrengt wurden und bei denen es um Schadenersatz für den Tod oder die Verletzung US-amerikanischer Bürger ging, sind zwei prominente Beispiele, in denen sich die Exekutive nicht mit einer Stellungnahme zur souveränen Immunität eingemischt hat. Im Gegensatz dazu unterhalten die Vereinigten Staaten volle diplomatische Beziehungen zu Saudi-Arabien. Das US-Außenministerium betonte kürzlich, dass die Beachtung dieses Grundsatzes für die Staatsoberhäupter anderer Länder dazu beiträgt, dass Gerichte in anderen Ländern nicht versuchen, US-Präsidenten vor Gericht zu zerren, um sie dort zu verklagen.
Kirby sagte als Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, die Entscheidung der USA habe "absolut nichts" mit den "angespannten" Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien zu tun, die unter anderem durch die Kürzung der Ölproduktion unter saudischer Führung entstanden seien. Biden habe sich "sehr, sehr deutlich" über den "brutalen, barbarischen Mord an Khashoggi" geäußert, sagte Kirby. Einige von Bidens Kollegen der Demokratischen Partei im Kongress zeigten sich jedoch enttäuscht über den Schritt der US-Regierung.
Senator Tim Kaine von den Demokraten in Virginia fragte in seiner Erklärung: "Wirft die Regierung ihr Vertrauen in das Urteilsvermögen ihrer eigenen Geheimdienste über Bord?" "Wenn den Freunden und der Familie von Khashoggi der Weg zur Rechenschaft im amerikanischen Gerichtssystem verwehrt wird, wohin können sie sich dann noch wenden?" Whitson sagte, auch als Vertreterin von Khashoggis Gruppe, die Klage werde gegen die anderen in der Klage genannten Personen fortgesetzt.
Neben dem aufsehenerregend brutalen Mord an dem saudischen Journalisten wurden und werden dem Regime in Saudi-Arabien zahlreiche gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Nicht nur landen Menschen dort wegen des "Vergehens" beispielsweise der Teilnahme an einer Demonstration in Gefängnissen, sondern sie haben dort auch Folter und Hinrichtungen zu fürchten, selbst Minderjährige, wie unterschiedliche juristische Gruppen seit Langem kritisieren.
Das wahhabitische Königreich poliert derweil sein Image auf, die Saudi National Bank (SNB) kaufte sich jüngst einen Löwenanteil der angeschlagenen Großbank Credit Suisse und das 2:1 bei der Fußball-WM in Katar gegen den früheren WM-Gewinner Argentinien macht größere Schlagzeilen als die Folterungen und Hinrichtungen. Bin Salman verkündet sogar einen Feiertag im Golfstaat wegen des Fußballspiels und macht dem umworbenen Ronaldo oder auch Lionel Messi attraktive Angebote.
Doch allein im ersten Quartal dieses Jahres hat Saudi-Arabien 117 Menschen hingerichtet, 81 davon in einer Massenhinrichtung, wie die European Saudi Organization for Human Rights (ESOHR) schreibt. Dabei werden den Angeklagten grundlegende Rechte wie eine frühzeitige Verteidigung durch einen Anwalt vorenthalten, Familien erfahren oft nichts zum Ort oder dem Zeitpunkt der Hinrichtung, und Folteropfer tragen teils lebenslange Behinderungen davon, ganz abgesehen davon, dass sie gezwungen werden, selbst die Anschuldigungen zu unterschreiben. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros wurden in Saudi-Arabien nach einer Pause von fast zwei Jahren wieder Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet. Zuletzt seien 17 Männer getötet worden, darunter auch Pakistaner, Syrer und Jordanier, berichtete das Büro am Dienstag in Genf. Das UN-Menschenrechtsbüro ist gegen die Todesstrafe, die aber, wenn überhaupt, auf die schwersten Verbrechen beschränkt sein müsse. Ein Todesurteil wegen Drogendelikten widerspreche internationalen Normen und Standards. Insgesamt wurden in diesem Jahr demnach mehr als 140 Menschen hingerichtet – für alle möglichen Delikte. In der Regel wird die Todesstrafe in Saudi-Arabien durch Enthauptung vollstreckt. Von Symbolismus mit "One Love" ist das alles sehr weit entfernt.
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