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Russland muss Serbiens Ehre vor dem eigenen nationalen Verrat retten – auch "gegen dessen Willen"

Der Westen hat Serbiens Führung in die Enge getrieben: Entweder Beitritt des Kosovo zur UNO – oder Isolierung Serbiens. So will man Belgrad unter anderem auch in das antirussische Lager zerren. Doch ausgerechnet Russland kann die Serben vor diesem Selbstverrat noch retten – egal, ob es alle wollen oder nicht.

Eine Analyse von Dmitri Bawyrin

Mag sein, dass der eine oder andere Leser mit dem Œuvre von Michail Bulgakow vertraut ist. Diesen Lesern dürfte die aktuelle Lage des serbischen Präsidenten bekannt vorkommen: Aleksandar Vučić wurde gleichsam in die Haut des Professor Preobraschenski aus dem Hundeherz gezwungen, bei dem vier Männer – eigentlich drei Männer und eine als Mann verkleidete Frau – einbrachen und ihn "terrorisierten", um ihn zu "verdichten", also dazu zu bringen, im Ess- und im Aussichtszimmer seiner Wohnung weitere Menschen wohnen zu lassen.

Nur waren es im Fall von Vučić fünf, allesamt Männer – anscheinend zumindest, denn heute ist es damit schwieriger als zu Zeiten von Bulgakow –, nämlich Sonderbeauftragte der EU, der USA, Italiens, Frankreichs und Deutschlands. Und die Herren forderten nicht etwas so Kleines wie das Ess- und das Aussichtszimmer aufzugeben, sondern das Kosovo und Metochien.

Seit 15 Jahren schon fordert der Westen dies schon – aber jetzt ist Serbien das Messer an die Kehle gesetzt und jenes nämliche Angebot, das nicht abgelehnt werden kann, wurde verkündet.

Belgrad muss den deutsch-französischen Einigungsplan zum Kosovo als eine Art Kompromiss akzeptieren. Der Kompromiss besteht darin, dass das Wesentliche der Sache durch deren rein formale Seite ersetzt wird. Wenn ihr die Unabhängigkeit eurer bisherigen Region nicht anerkennen wollt – darauf ist vorläufig auch gepfiffen –, dann lasst doch aber Pristina auf jeden Fall Mitglied der Vereinten Nationen werden.

Aber mit einer Aufnahme des Kosovo in die UNO ginge Belgrad sein einziges verbliebenes Druckmittel in den Beziehungen zu den Kosovaren verloren, die ihre Schwingen nur darum nicht vollends ausbreiten, weil ihr bisher sehr notdürftiger, lediglich "quasi-staatlicher" Status sie daran hinderte. Im Wesentlichen sollen sich die Serben endlich mit der von äußeren Kräften gewaltsam vorgenommenen Teilung ihres Landes abfinden. Dann wird der Westen das Kosovo in sämtliche euro-atlantische Strukturen einbinden – denn so, wie es momentan ist, steht dort die größte US-Militärbasis in Europa wie auf einer wilden "terra incognita" von der Art einer Pirateninsel. Das ist zwar nichts, woran man stirbt, aber das Werk ist eben nicht vollendet – und das ist so gar nicht entspannend.

Wenn Vučić dem Plan zustimmt, wird das Kosovo im Gegenzug die Gemeinschaft der serbischen Gemeinden gründen, was – einfach ausgedrückt – die Provinz etwa so föderalisieren könnte, wie es der Ukraine für den Donbass einmal vorgeschlagen wurde. Auch dies sieht zwar die sogenannte Brüsseler Vereinbarung zwischen Belgrad und Pristina bereits seit zehn Jahren vor, aber wiederum haben die Kosovo-Albaner ihren Teil bis heute nicht erfüllt. Auch jetzt wollen sie es nicht, doch wenn man sie in die UNO lässt, dann, ja dann würden sie mal nicht so sein wollen und könnten einlenken – heißt es.

Aber ehrlich gesagt benötigen die Serben den ganzen schönen Plan mit der Föderalisierung des Kosovo eigentlich nur dafür, um den nördlichen Teil der Provinz Kosovo – Ibarski Kolašin genannt – wieder unter die Kontrolle Belgrads zu bringen. Das ist die absolute Mindestvoraussetzung, um einen schwelenden ethnischen Konflikt zu lösen. Doch wenn das Kosovo in die UNO aufgenommen wird, kann man wohl auch dieses (ohnehin sehr optimistische und langfristige) Szenario wieder vergessen – weil Serbien dann nämlich gar keinen Verhandlungsspielraum mehr besitzt.

Andererseits: Wenn Vučić sich weigert, werden die Konsequenzen nicht allein bei der "Aussetzung der Euro-Integration" enden, mit der die EU-Oberen in Brüssel den Serben ohnehin seit Langem drohen. Vielmehr wird den Serben die Visafreiheit genommen, werden Investitionsprogramme der EU für ihr Land eingefroren und dann wird man in Brüssel damit beginnen, EU-Gelder wieder abzuziehen. Laut Vučić entspringen Arbeitsplätze für 200.000 Menschen in Serbien diesem Kapital – bei einer Bevölkerung von 7 Millionen Menschen also nicht wenig. Und schließlich drohe laut Vučić dem Binnenland Serbien eine Blockade, da es vollständig von Mitgliedsstaaten der feindlichen NATO umgeben ist.

Um das Bild dessen, was gemeinhin als Schutzgelderpressung bezeichnet wird, noch zu vervollständigen, fehlen uns an dieser Stelle nur noch wörtliche Zitate des serbischen Präsidenten. Denn der ist ein wortgewandter Mann, der den ganzen Montag damit verbrachte, sich seinen Untergebenen und vor allem seinem ganzen Volk zu erklären:

"Dies war einer der schwersten Tage für unser Land."

"Es war eine sehr schwere Debatte. Ich war schockiert, denn niemand will einem zuhören und niemand achtet auf die Fakten."

"Europa befindet sich de facto im Kriegszustand, egal was sie und wie sie es sagen. Sie haben keine Toleranz mehr."

"Ich fürchte, der Konflikt wird nur noch eskalieren und auf andere Gebiete übergreifen – geb's Gott, nicht auf das unsrige. Harte Zeiten erwarten uns."

"Ich versuche, Zeit zu erkaufen. Ich habe keine Milliarden und keine Immobilien im Ausland. Ich bin ein Soldat meines Landes und ich werde tun, was für das Land notwendig ist."

"Mein Ziel ist es, die Bürger Serbiens und den serbischen Staat zu retten."

"Sie haben ihre eigene Agenda, nämlich Russlands Niederlage, und auf dem Weg dorthin wird jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, hinweggefegt."

Dieser letzte Satz ist natürlich der interessanteste. Denn tatsächlich hat alles, was dort geschieht, unmittelbar mit Russland zu tun.

Brüsseler Spitzen-Roulette um Serbien gegen Russland

Erstens will der Westen den schon lange schwebenden "Präzedenzfall Kosovo" formell aus dem Blickfeld rücken, um im Streit um die Grenzen der Ukraine angesichts der völlig analogen Autonomie der neuen Gebiete im Donbass (zwecks nachfolgender Wiedervereinigung) Russland ein wichtiges Argument zu entziehen. Zweitens – und das ist kein Geheimnis – verfolgt man mit dieser Erpressung letztlich das Ziel, Serbien gleich noch ganz in das antirussische Lager zu zerren. Bisher verteidigt Moskau die Interessen Belgrads auf allen Plattformen der Vereinten Nationen – doch falls dies durch das Aufgeben des Kosovo an Bedeutung verliert, wird auch der wichtigste Beweggrund für die Serben wegfallen, sich dem antirussischen Sanktionsregime nicht anzuschließen. Zumindest wird das im Westen so gesehen.

Zuvor forderte man von Belgrad gleichzeitig beides: sowohl mit Moskau zu brechen als auch endlich das Kosovo in die UNO zu lassen. Jetzt ist Brüssel zur Salamitaktik übergegangen.

Anzunehmen ist, dass man in Brüssel der Haltung der Serben überdrüssig geworden ist – einer Haltung, die sie in der jetzigen überzeugenden Wirkung und Ausdrucksstärke vor allem vor dem Hintergrund von Russlands militärischer Sonderoperation einnehmen konnten. Nach dem Motto: Was? Ihr fordert, dass unser Verbündeter für die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine bestraft wird, aber gleichzeitig wollt ihr von uns, dass wir die uns angetane Gewalt und die Verletzung unserer territorialen Integrität im Falle des Kosovo als legitim anerkennen? Habt ihr euer Gewissen nun gänzlich verpfändet?

Aber ein Gewissen hat sich dort rargemacht, das stellt schon lange niemand mehr infrage. Die Frage ist vielmehr, was jetzt passieren wird und wie es dann weitergeht. Und so seltsam es klingen mag: es gibt eine Antwort darauf – und sie ist sogar auch noch ganz einfach.

Zeit schinden und sich zum Kosovo auf Moskau verlassen

Serbien wird Zeit schinden. Eigentlich sagt es sein Präsident sogar ganz offen. Zunächst wird es alle Arten vielfältiger "Beratung mit dem Volk" geben, die sich über mehrere Monate hinziehen kann. Dann könnte Vučić zurücktreten, und es muss eine neue Regierung gebildet werden, was ebenfalls keine schnelle Angelegenheit ist. Der Präsident selbst hat ja erklärt, dass er zurücktreten könne – und in seinem Fall ist das eine elegante und praktikable Option – allein schon, um selbst einer "harten Entscheidung" aus dem Weg zu gehen. Auf einer internen Sitzung der regierenden Serbischen Fortschrittspartei verkündete er seine Bereitschaft, auch vom Posten als deren Vorsitzender zurückzutreten. Dies allerdings in einem ganz anderen Tenor, in etwa so: Wenn sich unter euch Neunmalklugen einer findet, der uns aus all dem herauszieht, rücke ich bereitwillig auf.

Zeitschinden ist eine Disziplin, die man in Belgrad seit 15 Jahren erfolgreich ausübt – seit der Anerkennung des Kosovo durch die westlichen Länder, als dann jeder Widerstand zwecklos wurde. Bisher ließ sich Belgrad nicht brechen, aber alles hat ein Ende – und dann?

Vertrau und lass dich fallen

Russland ist in der Lage, Serbien vor einer großen nationalen Schande zu bewahren. Und das muss es nicht einmal allein um Serbiens willen, sondern auch um seiner selbst willen.

Generell sollte man sich klar machen, dass die serbische Führung den Konflikt um die Ukraine als dritten Weltkrieg oder zumindest als dessen Beginn betrachtet. Das ist zwar ein durchaus noch bestreitbarer Standpunkt, aber eine gewisse Logik hat er. Und nach derselben Logik wird dieser neue Weltkrieg mit denselben Ergebnissen enden wie die beiden vorangegangenen: mit einer Neuaufteilung von Einflusssphären, dem Ausarbeiten neuer Spielregeln, der Revision von Grenzen und dem Neumischen der Karten. Kurzum, mit dem Entstehen einer neuen politischen Realität, die für Serbien günstiger sein und ihm eine historische Chance geben könnte.

Natürlich ist dies nur dann möglich, wenn Russland gewinnt – dabei wäre geschenkt, dass die Ziele Belgrads und Moskaus formal unterschiedlicher gar nicht sein könnten: Serbien will die Revision seiner Staatsgrenzen rückgängig machen, während Moskau die neuen Grenzen anerkannt haben will. Doch das ist nur formal gegensätzlich – und in Wirklichkeit sind die Probleme Serbiens auf das Hegemoniestreben des Westens zurückzuführen. Ohne diese Hegemoniebestrebungen, einhergehend mit einer Diplomatie im Mafia-Stil, werden es die Serben viel leichter haben.

Morgen oder übermorgen – wohl wahr – wird ein solcher Sieg noch nicht errungen sein, und die Einbrecher stehen schon jetzt mit Revolvern bei Vučić im Wohnzimmer, während er mit aller Kraft Zeit schinden will, indem er die Leitungen nach Moskau und Peking heißklingelt.

Doch man muss indes wirklich nicht erst auf die neue Weltordnung warten, um die Serben vor nationalem Selbstverrat zu retten. Das Problem kann auch bereits im Rahmen des bestehenden Systems gelöst werden.

Denn streng genommen ist es ja gar nicht Belgrad, das bei der Entscheidung über die Aufnahme des Kosovo in die Vereinten Nationen das letzte Wort hat. Es ist die Sache des UN-Sicherheitsrats – und zwar einschließlich Russlands, das dort sein Veto einlegen kann.

Russlands Kosovo-Politik stützt sich auf den Standpunkt Serbiens – aber vielleicht ist es an der Zeit, Serbien auch einmal Nein zu sagen. Zumal es ihm jetzt geradezu ins Gesicht geschrieben steht, dass es sich nichts sehnlicher wünscht als in dieser Sache abgewiesen zu werden – sprich, dass Russland die Tür zur UNO für die Kosovaren schließen sollte, egal wie die offizielle Position Belgrads dazu aussehen wird.

Dies wird einen Schwall von Fragen nach dem "Warum" und "Wieso" hervorrufen, aber die werden alle belanglos sein. Die Antwort lautet: Darum!

Darum, weil der Kosovo-Konflikt ebenso wie der Konflikt um die Ukraine Teil der Konfrontation des Westens gegen Russland ist. Darum, weil Russland mittlerweile die Tricks des Westens bestens kennt und weiß, worauf der damit hinaus will.

Darum, weil Serbien, unserem Bruder, Freund und Verbündeten, die Hände gebunden wurden und man es jetzt zwingt, eine Erklärung zu unterschreiben, als ob es der ihm angetanen Gewalt zustimmen könnte oder gar wollte.

Darum, weil Russland sich grundsätzlich nicht damit abfinden kann, dass die USA eine friedliche europäische Hauptstadt bombardieren (schon vergessen?), um ein unabhängiges Land aufzuspalten und auf dessen Ruinen die größte eigene Militärbasis auf dem fremden Kontinent zu errichten.

Allerdings ist es nach allem, was im letzten Jahr zwischen Russland und dem Westen passierte, im Grunde sinnlos, denen irgendetwas erklären zu wollen. Denjenigen, die es in Ordnung finden, russische Vermögenswerte zu stehlen, Neonazi-Terrormilizen zu bewaffnen und dergleichen mehr, kann man nichts mehr erklären.

Nein – letztlich auch einfach darum, weil wir es sagen.

Nix da mit eurer UNO-Mitgliedschaft für das Kosovo. Ihr könnt uns mal …en Füßen packen, ihr ehrlose ehemalige Partner.

Das Kosovo ist Serbien. Die Krim ist Russland. Und Brüssel ist ein Ort, wo von Moskau nicht mehr beachtete Meinungen gären. So sieht die Geografie jetzt erst einmal aus – und jegliche alternative geografische Träume werden den Westen sehr teuer zu stehen kommen. Viel teurer als ihm lieb ist

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

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