Auf Washingtons Geheiß: Seit 80 Jahren befinden sich Russland und Japan de facto im Kriegszustand
Von Maxim Hwatkow
"Gebt die nördlichen Territorien zurück! Ihr besetzt unser Land illegal!" Solche und ähnliche Parolen dröhnen jedes Jahr am 7. Februar aus Lautsprechern, die gegenüber der russischen Botschaft in Tokio in Stellung gebracht werden. Dies ist der Tag, an dem Japan den sogenannten "Tag der nördlichen Territorien" feiert. Diese Territorien beziehen sich auf das, was Russland die südlichen Kurilen nennt – die Inseln Iturup, Kunaschir, Shikotan und Habomai –, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion annektiert wurden.
Ein von Rechtsradikalen inszenierter Protest im Jahr 2022 am Tag vor dem Gedenktag führte zu Unruhen. Laut russischen Diplomaten versuchte "eine Gruppe militanter junger Männer", in das Botschaftsgelände einzudringen und verwickelte sich in Kämpfe mit Polizeikräften, die den Eingang zum Gelände sicherten. Am darauffolgenden Tag, dem 7. Februar, hielt der Premierminister Fumio Kishida auf einer nationalen Kundgebung in Tokio eine Rede und forderte die Rückgabe der nördlichen Territorien.
Auch dieses Jahr bildete keine Ausnahme. Rechtsextreme Aktivisten veranstalteten erneut eine Kundgebung vor der russischen Botschaft, fuhren in Kleinbussen um das Gelände herum und plärrten über Lautsprecher ihre Forderungen nach der Rückgabe der Inseln. Darüber hinaus wurde erstmals seit 2018 der Begriff "illegale Besetzung" in die Verlautbarung aufgenommen, die traditionell am Ende der jährlichen "Nationalen Kundgebung für die Rückkehr der Nördlichen Territorien" verlesen wird.
Tokio verknüpft den Streit um die Kurilen mit einem anderen Problem, das die Beziehungen zu Moskau seit fast 78 Jahren belastet: dem Fehlen eines Friedensvertrags zwischen den beiden Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 21. März 2022 brach Russland den Verhandlungsprozess mit Japan ab, der seit dem Ende des Kalten Krieges stetig an Dynamik zugenommen hatte. Das russische Außenministerium erklärte, es sei unmöglich, solche Gespräche mit einem Staat zu führen, der "eine offen unfreundliche Haltung einnimmt und versucht, die Interessen unseres Landes zu schädigen". Dies geschah, nachdem Tokio Sanktionen gegen Moskau verhängt hatte.
Die Kurilen sind ein sehr wertvolles Gebiet. Die Meerengen rund um die Inseln sind die einzigen ganzjährig eisfreien Verbindungen zwischen dem Ochotskischen Meer und dem Pazifischen Ozean. Darüber hinaus kann das Ochotskische Meer als Binnengewässer der Russischen Föderation betrachtet werden, wodurch andere Länder daran gehindert werden, dort ohne Moskaus Erlaubnis zu fischen oder Bodenschätze abzubauen. Das Gebiet um die südlichen Kurilen verfügt über reiche Fischgründe, wo die UdSSR den größten Teil ihrer Sardinen und Pazifischen Makrelen abgefischt hat. Die Insel Iturup verfügt über eines der weltweit größten Vorkommen des chemischen Elements Rhenium, einem bemerkenswert seltenen Metall. Vor der Küste der Kleinen Kurilenkette wurde eine große Unterwasser-Kohlenwasserstofflagerstätte entdeckt, deren Reserven auf 300 Millionen Tonnen geschätzt werden.
Sanktionen verhängen und Kurilen verlangen
Die vage Hoffnung, einen Friedensvertrag zu vereinbaren, endete nach Tokios Reaktion auf die russische Militäroperation in der Ukraine. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, hat 15 individuelle und sektorale Sanktionen aufgezählt, die Japan verhängt hat. "In gewissen Fällen war Japan sogar übereifrig und hat noch vor seinen westlichen Verbündeten neue Sanktionen verhängt", fügte sie hinzu.
Eine hypothetische Wiederaufnahme der Gespräche könne erst erfolgen, wenn die gesamte Krise rund um die Ukraine gelöst sei, sagte Wladimir Nelidow, außerordentlicher Professor für Oststudien an der Hochschule für internationale Beziehungen MGIMO in Moskau, gegenüber RT.
"Solange der Konflikt andauert, sind keine Gespräche und schon gar keine Lösungen möglich. Dieses Thema ist Teil eines größeren Zusammenhangs in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, die sich derzeit in einer Konfrontation befinden."
Obwohl Japan vor der asiatischen Pazifikküste liegt, koordiniert es seine Politik mit seinen Verbündeten im Westen. Waleri Kistanow, Leiter des Zentrums für Japanstudien am Institut für China und des zeitgenössischen Asiens an der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagte gegenüber RT:
"Ein Friedensvertrag ist in absehbarer Zeit sehr unwahrscheinlich, ich bin mir nicht einmal sicher, ob die nächsten Generationen ihn erleben werden. Die Beziehungen zu Japan sind mittlerweile so schlecht, dass ein Friedensvertrag nicht in Frage kommt. Premierminister Fumio Kishida spricht zwar immer noch von seiner Bereitschaft zu verhandeln, obwohl Japan in dieser ganzen antirussischen Hysterie weltweit führend ist. Ich bin mir sicher, dass dieser Kurs noch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte bestehen bleiben wird. Russland kann das nicht hinnehmen."
Unterdessen scheint Japan entschlossen zu sein, den Sanktionsdruck auf Russland aufrechtzuerhalten. Im bisher jüngsten Sanktionspaket verbot es den Export von Impfstoffen, medizinischer Ausrüstung und Robotern und erweiterte die Sanktionen gegen Einzelpersonen. Als Reaktion darauf setzte Moskau Japan auf die Liste der unfreundlichen Länder, setzte die Friedensgespräche aus und stoppte vergangenes Jahr gemeinsame wirtschaftliche Aktivitäten auf den Kurilen sowie die visafreie Einreise für japanische Staatsbürger auf die Kurilen. Anfang des laufenden Jahres weigerte sich Russland, im Rahmen eines Vertrags von 1998, die jährlich angesetzten Gespräche mit Japan über die Fischerei in den Gewässern rund um die Inseln zu führen.
"Im Wesentlichen bleibt nur die Frage der Energie übrig. Japan hat entschieden, die Projekte Sachalin 1 und Sachalin 2 nicht aufzugeben, weil es dringend Ressourcen benötigt und es für Tokio keine Alternative gibt. Andernfalls wird Japans gesamter Energiesektor untergehen", sagte Kistanow. Ihm zufolge sind die Beziehungen zwischen Russland und Japan in jeder anderen Hinsicht zum Erliegen gekommen.
Von Churchill und Roosevelt genehmigt
Auf der Konferenz von Jalta, an der Joseph Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill teilnahmen, wurde im Februar 1945 vereinbart, die Kurilen und den südlichen Teil von Sachalin der UdSSR zu überlassen. Die UdSSR versprach im Gegenzug, sich spätestens zwei oder drei Monate nach dem Sieg über Nazi-Deutschland dem Krieg im Pazifik anzuschließen. Die südlichen Kurilen wurden zwischen August und September 1945 von sowjetischen Streitkräften eingenommen und ein Jahr später offiziell zum Territorium der UdSSR erklärt.
Japan willigte ein, auf alle Ansprüche auf die Kurilen und Süd-Sachalin zu verzichten, als es das Abkommen von San Francisco unterzeichnete. Jedoch präzisierte der von den USA und Großbritannien ausgearbeitete Text des Abkommens weder, an wen es diese Gebiete abtritt, noch listete er die Namen der einzelnen Inseln auf. Dennoch verzichtete Tokio auf eine Mitsprache über die Zukunft dieser Inseln, weil sonst in der Folge alle 48 Vertragsstaaten sie auch hätten beanspruchen können. Diese Umstände und die Abwesenheit der Volksrepublik China bei der Konferenz führten dazu, dass die sowjetische Delegation sich weigerte, das Abkommen von San Francisco zu unterzeichnen.
Zunächst schien es, als hätte sich Japan damit abgefunden, diese Gebiete verloren zu haben. Kumao Nishimura, Chefunterhändler des japanischen Außenministeriums, bezeichnete den Verlust der Inseln Kunaschir und Iturup vor dem japanischen Parlament als vollendete Tatsachen. Washington, das zu dieser Zeit einen kalten Krieg gegen Moskau begonnen hatte, war jedoch bestrebt, seinem Rivalen ein territoriales Problem zu schaffen. Bei der Erörterung des Abkommens von San Francisco verabschiedete der US-Senat eine Resolution, in der man sich weigerte, irgendwelche sowjetischen Rechte oder Ansprüche auf Gebiete zu akzeptieren, die am 7. Dezember 1941 zu Japan gehörten, einschließlich der Kurilen und sogar Süd-Sachalin. Doch schon bald fand Tokio neue Gründe, um die Hoheit über die südlichen Kurilen zu beanspruchen.
Eine amerikanische Einmischung
Japan und die UdSSR begannen 1956 bilaterale Gespräche in der Hoffnung, eine Einigung zu erzielen. Tokios Forderungen waren zunächst sehr ehrgeizig: Die Zustimmung zur UN-Mitgliedschaft Japans und die Rückgabe aller Gebiete, die 1905 nach dem Russisch-Japanischen Krieg unter japanischer Kontrolle standen, einschließlich Süd-Sachalin und aller Inseln der Kurilen. Der Vorschlag der Sowjetunion hingegen sah vor, Tokio die Kontrolle über die Inseln Schikotan und Habomai zu geben, wenn Japan sich bereit erklären würde, alle zukünftigen territorialen Ansprüche aufzugeben. Shunichi Matsumoto, der Japan bei diesen Gesprächen vertrat, sagte später, dass er "zunächst nicht glauben konnte, was er vernahm" und "sehr darüber erfreut war".
Nach mehreren Gesprächsrunden schraubte Japan seine Forderungen auf die vier südlichen Inseln zurück. Die Begründung dafür war, dass diese vier Inseln historisch gesehen nicht als Teil der Kurilen betrachtet werden und daher nicht unter das Abkommen von San Francisco fielen. Dies entsprach völlig den Interessen der USA, da Washington nicht wollte, dass das Abkommen verletzt wird. Aber man wollte auch nicht, dass die Sowjetunion die Kontrolle über diesen Teil der Kurilen behält. Washingtons Wunsch war, dass Tokio die Kontrolle über alle vier Inseln erlangen würde, aber die Sowjetunion gab dieser Forderung nicht nach.
Als der japanische Außenminister Mamoru Shigemitsu die Empfehlung unterbreitete, Moskaus Vorschlag anzunehmen und der Übertragung der beiden Inseln an Japan zuzustimmen, gefiel das der Führung des Landes nicht. Der stellvertretende Sekretär des Kabinetts, Takizo Matsumoto sagte dazu: "Moskau nahm Einfluss auf Shigemitsu, und das Kabinett beschloss, ihn nach London zu entsenden, wo er sich mit dem Außenminister der USA treffen konnte."
Bei den Gesprächen in der britischen Hauptstadt drohte die US-Delegation ihren Kollegen aus Tokio und erinnerte sie daran, dass Japan keine legalen Rechte auf die Kurilen hätte und nicht über deren Status mit der UdSSR verhandeln könne. Am 19. August 1956 teilte US-Staatssekretär John Dulles Außenminister Shigemitsu mit, dass im Falle einer Einigung zwischen Moskau und Tokio "Japan der Sowjetunion von der harten Linie, die von den Vereinigten Staaten eingenommen wird, erzählen könnte – dass, wenn die Sowjetunion alle Inseln der Kurilen behalten würde, die Vereinigten Staaten für immer in Okinawa stationiert bleiben könnten und keine japanische Regierung dies überleben werde."
Diese kaum verhüllte Drohung, getarnt als "freundschaftliche Empfehlung", brachte die sowjetisch-japanischen Gespräche über die Kurilen effektiv zum Erliegen.
Die Ryūkyū-Inseln südlich von Japan wurden 1945 von US-Truppen eingenommen, wobei ihre größte Insel, Okinawa, bis 1972 unter amerikanischer Administration blieb. Heute unterhalten die USA dort mehrere Militärstützpunkte.
"Natürlich stand Japan bereits in den 1950er Jahren unter amerikanischem Druck, und bis heute besteht unter Historikern kein Konsens darüber, wie diese Situation ausgelegt werden sollte. Aber eines wissen wir mit Sicherheit: die USA waren nicht daran interessiert, der Sowjetunion zu erlauben, ihre Beziehungen zu Japan zu normalisieren, selbst wenn die pro-amerikanischen politischen Kräfte in Japan nicht gegen die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Sowjets waren", erklärte Wladimir Nelidow.
Trotz aller Bemühungen der USA unterzeichneten die UdSSR und Japan jedoch 1956 in Moskau eine gemeinsame Erklärung, die den Kriegszustand zwischen den beiden Ländern formell beendete. Darüber hinaus versprach die Sowjetunion, die Inseln Habomai und Shikotan an Japan zurückzugeben, jedoch erst nach Unterzeichnung eines Friedensvertrags.
Diese großzügige Geste wurde jedoch davon überschattet, dass die USA einen Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheit mit Tokio abschlossen, der ihnen das Recht gab, Militärstützpunkte auf japanischem Boden zu errichten und zu nutzen, sowie dort eine beliebige Anzahl von Truppen zu stationieren. Dies bedeutete praktisch, dass alle sowjetischen Gebiete, die der japanischen Gerichtsbarkeit zurückgegeben werden sollten, für amerikanische Militärstützpunkte genutzt werden konnten. Daher entschied sich die UdSSR 1960, die gemeinsame Erklärung von 1956 mit Japan aufzuheben.
Eine erneute amerikanische Einmischung
Theoretisch hätte Moskau den Streit um die Kurilen zu diesem Zeitpunkt ein für alle Mal ad acta legen können. Jahrzehnte später, im Jahr 2018, einigten sich Premierminister Shinzo Abe und Präsident Putin darauf, die Gespräche auf der Grundlage der Erklärung von 1956 wieder aufzunehmen. Dennoch interpretierte die japanische Führung das Dokument, das nur zwei der vier Inseln erwähnte, auf sehr eigenartige Weise. Tokio war nicht bereit, seine Absicht aufzugeben, alle vier Inseln zurückzubekommen. Außerdem war man nicht bereit Russlands Souveränität über die Kurilen anzuerkennen.
Im Januar 2023 erinnerte sich Außenminister Sergei Lawrow während einer Pressekonferenz an diese Zeit der aktiven Verhandlungen unter der Leitung von Premierminister Abe: "Irgendwann sagten die Japaner, dass sie den 'großen Friedensvertrag', den Russland anbot, nicht brauchen würden. Wir hatten vorgeschlagen, einen umfassenden Friedensvertrag zu unterzeichnen, der die Prinzipien der Zusammenarbeit auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, gegenseitigen Interessen und Nachbarschaft umfassen würde. Der Friedensvertrag sollte auch Investitionen, wirtschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit beinhalten. All das sollte als Grundlage dienen, um die staatlichen Grenzen zu definieren. Die Japaner lehnten unseren Vorschlag ab und sagten, sie bräuchten eine Vereinbarung, die auf den Punkt kommt, und keinen Vertrag voller überflüssiger Rhetorik."
Laut Waleri Kistanow glaubte Putin aufrichtig, dass ein Friedensvertrag notwendig sei – darum ging es ihm beim diplomatischen Tauwetter während der Amtszeit von Abe. Die beiden Staatschefs von Russland und Japan hielten insgesamt 27 Treffen ab, aber auch die Vereinigten Staaten beteiligten sich daran.
Laut Wladimir Nelidow hat sich Präsident Obama nach 2014 gegen eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Japan ausgesprochen. Zum Beispiel bat Obama 2016 Premierminister Abe, seinen Besuch in Russland abzusagen, was Abe jedoch ignorierte.
"Die Vereinigten Staaten haben die russisch-japanischen Beziehungen meistens negativ beeinflusst, und heute mehr als bisher."
Heute ignorieren die USA das Abkommen von San Francisco gänzlich. Anlässlich des japanischen "Tag der nördlichen Territorien" im Jahr 2022 gab der US-Botschafter in Japan, Rahm Emanuel, offen zu, dass Washington Tokio in dieser Angelegenheit voll und ganz unterstützt. Auch Japans neue Regierung hat ihre Position glasklar zum Ausdruck gebracht und hält an ihrem Narrativ von "vier illegal besetzten Inseln" fest, die Russland ihrer Meinung nach vor einer Unterzeichnung eines Friedensvertrags zurückgeben muss.
Kistanow schließt daraus: "Meines Erachtens braucht Russland keinen Friedensvertrag mit Japan. Wir haben 70 Jahre ohne einen gelebt und können das auch weiterhin tun. Wir waren immer entgegenkommend und haben jede Bemühung unterstützt, einen Kompromiss zu finden, aber Japan hat nie auf die selbe Weise reagiert, und ich glaube, wir sollten das auch nicht erwarten. Außenminister Lawrow zitierte kürzlich einen Japan-Experten, der sagte: 'Sollte Japan eines Tages zum Schluss kommen, dass es diese vier Inseln nie zurückbekommt, wird es dem Club der schärfsten Gegner Russlands beitreten."
Und genau das erleben wir heute.
Aus dem Englischen.
Maxim Hwatkow ist ein russischer Journalist, mit Schwerpunkt auf internationale Sicherheit, Chinas Politik und die Mechanismen der Soft-Power.
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