NATO beschuldigt ukrainische Artillerie, Munition zu verschwenden
Von Darja Wolkowa und Jewgeni Posdnjakow
Vor dem Hintergrund der Munitionsknappheit beim ukrainischen Militär hat Estland beschlossen, Geschosse im eigenen Land zu produzieren. Wie der Kanzler des Verteidigungsministeriums Kusti Salm berichtete, soll Tallinn einen Produktionsumfang von mindestens 700.000 Geschossen pro Jahr erreichen. Doch wird über dieses Problem nicht nur in Estland nachgedacht.
Darüber, dass das ukrainische Militär alle Rüstungsvorräte aufbrauche, sprach man jüngst in Washington. Pentagon wird gezwungen sein, die Militärausgaben zu erhöhen, weil Munition teuer sei, zitierte die Zeitung Financial Times den US-Generalstabschef Mark Milley [Artikel hinter Bezahlschranke].
Seinerseits bemerkte die Zeitung Wall Street Journal unter Verweis auf Analytiker, dass die Ukraine die vom Westen gelieferte Artilleriemunition schneller verbrauche, als die USA und ihre Verbündeten diese herstellen. Dies könne nach Angaben der Zeitung einen kritischen Munitionsmangel bereits im Sommer oder Herbst dieses Jahres hervorrufen.
Während die Geberstaaten das Problem der Munitionsknappheit lösen, empfehlen sie den ukrainischen Streitkräften, Granaten sparsamer zu verwenden. Eine entsprechende Ankündigung machte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace. Er sagte:
"Die russische oder sowjetische Art der Kriegsführung besteht in einer Anwendung von sehr schwerer Munition und massivem Artilleriebeschuss. Wir im Westen und bei der NATO kämpfen nie auf eine solche Weise … Wir bringen ihnen bei, den Kampf nach westlichem Muster zu führen."
Washington plant, den ukrainischen Streitkräften beizubringen, Artilleriegeschosse weniger intensiv zu verwenden, berichtete die Zeitung Politico. Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bemerkte, dass das ukrainische Militär hierfür lernen müsse, besser zu manövrieren.
Insgesamt verbrauchen die ukrainischen Streitkräfte nach Angaben von Financial Times fünf- bis sechstausend Artilleriegeschosse täglich, was mit dem jährlichen Bedarf eines kleinen europäischen Landes zu Friedenszeiten vergleichbar ist [Artikel hinter Bezahlschranke]. Dabei produzierten die USA vor Beginn des russischen Militäreinsatzes 14.400 nichtsteuerbare Geschosse pro Monat. Später gelang es ihnen, die Produktion auf 90.000 Stück pro Monat zu steigern.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der russischen Akademie der Wissenschaften Ilja Kramnik berichtete der Zeitung Wsgljad:
"Dass es den ukrainischen Streitkräften an Munition mangeln wird, wurde noch im Herbst bekannt, als die USA versuchten, neue Möglichkeiten zu ihrer Produktion in Europa zu finden. Heute übergab Washington dem ukrainischen Militär Geschosse, die 20 Jahre lang produziert wurden, doch wurden sie innerhalb von weniger als einem Jahr aufgebraucht. Nun müssen sie gleichzeitig die Ukraine unterstützen und die eigenen Vorräte aufstocken."
"Um der Ukraine so viel Munition zu geben, wie sie jetzt verbraucht, muss die Produktion um ein Zehnfaches gesteigert werden. Wird es den USA gelingen? Das ist eine strittige Frage. Dennoch würde ich die Idee eines Produktionsaufbaus in Estland nicht zu leichtsinnig nehmen", bemerkte er.
"Offensichtlich werden die Kosten dafür die USA und andere führende NATO-Staaten tragen. Sie verfügen über eine Reihe von Programmen zur Unterstützung von Rüstungsproduktion in Partnerländern. Neben Estland wird die Produktion in Bulgarien, Pakistan und anderen Staaten organisiert. Insgesamt wird das Ergebnis für den kollektiven Westen nicht schlecht", vermutete Kramnik.
"Trotzdem wird die Munitionsknappheit bei den ukrainischen Streitkräften wohl zu einer Verminderung der Intensität der Kämpfe führen, was für uns zweifellos von Vorteil ist. Russland wird die Möglichkeit erhalten, Munitionsvorräte aufzustocken und ihre Produktion zu steigern", bemerkte der Experte.
Der Vorsitzende des Instituts für aktuelle internationale Probleme der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums Wadim Kosjulin erklärte:
"Munitionsknappheit ist ein echtes Problem für alle westlichen Verbündeten der Ukraine, deren Wurzeln in die Zeiten des Kalten Krieges zurückgehen. Damals rechneten die USA während der Vorbereitung auf eine Konfrontation mit der UdSSR, dass der Konflikt unter Einsatz konventioneller Waffen wenige Wochen dauern wird und danach in die nukleare Phase übergeht."
"Ausgehend davon hörte die NATO auf, langfristige Munitionsvorräte anzulegen. Doch dieses Vorgehen scheiterte vollständig. Heute werden Geschosse in riesigen Mengen verbraucht, deswegen waren weder US-amerikanische noch europäische Produktionskapazitäten dazu bereit. Das räumen sie selbst öffentlich ein", bemerkte der Experte. Er betonte:
"Deswegen sind die Folgen der Munitionsknappheit sowohl für die ukrainischen Streitkräfte als auch für die NATO spürbar. Der Gegner begann, seltener zu schießen. Russland hat einige Monate bis ein halbes Jahr dafür, diese Situation zu nutzen."
Die Pläne der USA und Großbritanniens, dem ukrainischen Militär beizubringen, Granaten sparsamer zu verschießen, sind indessen zweifelhaft. Diese Ansicht äußerte Sergei Chatylew, der ehemalige Kommandant der Flugabwehrraketentruppen des Spezialkommandos der russischen Luftstreitkräfte. Er bemerkte:
"Da der Gegner keine vollwertige Luftwaffe hat, ist die Artillerie seine einzige Möglichkeit, unsere Angriffe irgendwie abzuwehren und die Offensive aufzuhalten. Vor diesem Hintergrund steigt der Munitionsverbrauch ständig und übersteigt selbst jene Zahlen, die von westlichen Medien veröffentlicht werden."
"In diesem Zusammenhang ist der Plan der USA und Großbritanniens absurd. Um unsere Armee ernsthaft abzuwehren und dabei den Artillerieeinsatz zu minimieren, muss der Gegner die Luftüberlegenheit gewinnen, das heißt, zwei bis dreimal so viele Flugzeuge wie wir einzusetzen. Doch Kampfflugzeuge bekommen sie nicht", erklärte der Experte.
"Doch ist die Munitionsknappheit beim ukrainischen Militär und der NATO kein Grund, sich zu entspannen. Man sollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Unsere Front zieht sich über mehr als tausend Kilometer, die Intensität des Beschusses wird im Fall unseres Vordringens steigern. Deswegen ist Russlands Schlüsselaufgabe heute, die Chance, die wir bekommen zu nutzen, und die eigene Produktion zu steigern", schlussfolgerte Chatylew.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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