"Putin, wir kommen dir immer näher": Bild konstruiert Attentat auf russischen Präsidenten
Eine Analyse von Wladislaw Sankin
Am 23. April fand eine Anwohnerin in einem Waldstück nahe der Stadt Noginsk östlich von Moskau die Reste einer Drohne – RT berichtete darüber am Montag. Laut mehreren russischen Telegram-Quellen war die 3,5 Meter lange Drohne des Typs UJ-22 aus ukrainisch-US-amerikanischer Produktion mit einer Sprengstoffladung von 17 Kilogramm bestückt. Der Drohne sei der Treibstoff ausgegangen, verletzt wurde beim Absturz niemand, und es kam zu keiner Explosion. Noginsk befindet sich am östlichen Rand des Moskauer Gebiets, circa 50 Kilometer von Moskau entfernt.
Nun, vier Tage nach dem Vorfall, meldet die Bild folgende "Sensation": "Attentat auf Kreml-Diktator scheitert knapp. 17 Kilo Sprengstoff sollten Putin töten". Autor des Textes ist der für seine extremistischen Ansichten bekannte proukrainische Propagandist Julian Röpcke. Auch hier gibt er vor, "investigativ" zu arbeiten, und verweist auf irgendwelche Bild-"Recherchen".
Diese bestehen allerdings nur aus einem Twitter-Zitat des ukrainischen Psychokriegers ("Aktivist", heißt es bei der Bild) Juri Romanenko (5.000 Follower) vom 24. April, das die Bild als angebliches Bekennerschreiben wertet – mit einer Schlagzeile, die Putin offenbar in Angst und Schrecken versetzen soll:
"Putin, wir kommen dir immer näher!"
Laut Röpcke istRomanenko so etwas wie ein inoffizielles Sprachrohr der ukrainischen Geheimdienste. Dieser schreibt:
"Letzte Woche erhielten unsere Geheimdienstoffiziere Informationen über Putins Reise in den Industriepark in Rudnewo. Dementsprechend startete unsere Kamikaze-Drohne, die durch alle Luftverteidigungssysteme der Russischen Föderation flog und unweit des Industrieparks abstürzte."
Dann berichtet Romanenko über angebliche Panik in Kreml, über Prüfungen, Kontrollen und Kämpfe zwischen den "Kreml-Türmen". Ein klassisches Stück der psychologischen Kriegsführung also. Doch auch diese Behauptung sollte sich auf irgendeine Beweislage stützen. Als Beleg legt Romanenko die Aussagen des Kreml-Korrespondenten Pawel Sarubin vor, und zwar seinen Blick in den Terminkalender des russischen Präsidenten für die nächste Woche, die er am Sonntagnachmittag öffentlich gemacht hat.
Der Reporter zählte drei Termine auf: eine Fernsehschalte mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan anlässlich der ersten Atomtreibstofflieferung für das Atomkraftwerk, das Rosatom im türkischen Akkuyu errichtet – ein Prestigeprojekt der russischen Atomindustrie. Diese sollte am Donnerstag stattfinden.
Ebenfalls am Donnerstag sollte Putin in Sankt Petersburg an der Gesetzgebenden Versammlung teilnehmen – seit Jahren ein traditioneller Termin. An dritter Stelle erwähnte Sarubin den Besuch eines Moskauer Industrieparks, ohne Orts- und Zeitangabe. Das meldete er am Sonntag, als die zerschellte Drohne schon am Boden nahe Noginsk lag, mutmaßlich sogar seit Samstag.
Doch die Bild lässt den Umstand unerwähnt, dass Sarubin am Sonntag über eine relativ ferne Zukunft spricht. Dies sei ein "Teil des Terminkalenders des Präsidenten für die Woche", so der Kreml-Korrespondent. Gemeint ist natürlich nächste Woche, und beim Parkbesuch sehr wahrscheinlich deren Ende, da dieser erst an letzter Stelle nach all den anderen Terminen erwähnt wird. Für ihre Leser gibt sich die Bild aber ahnungslos: "Wann genau der Besuch erfolgen sollte, sagte er nicht."
In einem dazugehörigen Videobeitrag legt sich Röpcke dann doch fest. Er behauptet, dass Putin den Industriepark am Montag besuchen wollte. Ausgerechnet an diesem Tag sollte laut Röpcke die Drohne im Moskauer Gebiet abgestürzt seien. Am Montag also! Doch dies geschah spätestens am Sonntag, das berichteten übereinstimmend alle russischen Medien. Die erste Meldung über die Drohne erschien am Montag um 7 Uhr morgens, eine Stunde später folgten bei Tageslicht aufgenommene Fotos und sonstige ausführliche Informationen, dass beispielsweise Sprengstoffspezialisten ganze fünf Stunden brauchten, um die gefährliche Ladung zu entschärfen. Das alles geschah am Vortag.
Aus diesen klaren Lügen bei den Zeitangaben konstruiert die Bild in ihrem Artikel folgendes Szenario:
"Doch wollte Putin den Industriepark zur Zeit des geplanten Attentats wirklich besuchen? Vieles spricht dafür! (...) Allerdings ist unklar, ob Russlands Staatschef den Industriepark bereits am Sonntag oder erst am Montag besuchen wollte – teils werden Putin-Besuche aus Sicherheitsgründen bereits am Tag vor deren Bekanntgabe durchgeführt."
Wir erinnern uns: Kreml-Reporter Sarubin legte sich bei Terminangaben nicht fest und deutete den Parkbesuch eher als späteren Termin an. Doch die Bild suggeriert: Putin ist nun verängstigt, sagt alle Termine ab und versteckt sich im Kreml.
Schließlich kommt ein weiterer Propagandist, der Ex-Chef der Kiewer Filiale der Heinrich-Böll-Stiftung Sergei Sumlenny (bekannt auch als mutiger Kämpfer gegen Blumen), als "Ukraine-Experte" zu Wort:
"Es ist klar, dass ein Präzisionsschlag gegen Russlands Staatschef mit einer Kamikaze-Drohne eine fast unmögliche Aktion ist. Aber schon die Tatsache, dass eine solche Drohne zu einem Ort vordringt, wo Putin einen Aufenthalt plant, ist eine Ohrfeige für den russischen Diktator."
Ein Ort, "wo Putin einen Aufenthalt plant", befindet sich allerdings laut der Bild ganze 21 Kilometer von der Absturzstelle entfernt. Auch diese Angabe ist falsch. Laut russischen Kartenangaben sind beide Orte nicht 21, sondern über 35 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt.
Auch diese grobe Verfälschung ist nicht die letzte Manipulation des Blattes. Als Herzstück seiner Argumentation präsentiert Röpcke in seiner Videopräsentation die angebliche Flugbahn der Drohne und bezeichnet als Absturzort eine Stelle klar nördlich des Industrieparks in Rudnewo. Dabei wissen wir, dass es gar keinen Beweis gibt, dass Putin ausgerechnet ihn und keinen anderen besuchen wollte – außer der bloßen Behauptung eines ukrainischen "Aktivisten".
Die im Video aufgezeichnete Flugbahn von der angenommenen Richtung Charkow aus sollte beweisen, wie nah die Ukrainer an ihrem Ziel waren, Putin zu töten, denn der Linie nach flog die Drohne direkt über den Park, in dem Putin angeblich sein wollte. Dabei verwickelt sich Röpcke noch selbst in Widersprüche, denn in der Textversion seines Beitrags heißt es, der Absturzort liege 20 Kilometer östlich des Parks. Das entspricht teilweise der Wahrheit: wie unser Karten-Screenshot zeigt, liegt Noginsk tatsächlich östlich von Rudnewo.
"Im besten Fall für die Ukraine wäre er getötet worden", fabuliert schließlich der Bild-Propagandist in seinem Videobeitrag und macht damit klar, dass dies auch sein Wunschdenken ist. Mit diesem Szenario liegt Röpcke allerdings völlig konträr zu von ihm eigens zitierten Sumlenny ("fast unmögliche Aktion"). "Attentat auf Kreml-Diktator scheitert knapp", verkündet er direkt in der Dachzeile. Da auch die russischen Bürger als "Untertanen" des "Diktators" verunglimpft werden, ist auch das Konstrukt eines gerechten "Tyrannenmordes" fast beiläufig gelungen.
Diese kaum noch verschleierte Mordfantasie des Bild-Propagandisten ist nicht nur ein weiterer Beleg der enthemmten Niederträchtigkeit des Boulevard-Blattes, das auch dafür mit konsequenter Leserflucht bestraft wird. Aber für Röpcke und gleichgesinnte Medienschaffende aus dem Westen ergibt es Sinn, denn es geht hier ganz klar um psychologische Kriegsführung gegen Russland – in diesen Kreisen offenbar Ehrensache.
Genau. Ganz Deutschland schreibt bei @BILD ab, aber auf BILD verweisen, würde der Glaubwürdigkeit schaden.Wahnsinn, in welcher Traum-Bubble einige leben ... pic.twitter.com/KMAmmKKnil
— Julian Röpcke🇺🇦 (@JulianRoepcke) April 27, 2023
Derartig notdürftig gestrickte "Meldungen" über ein Beinahe-Attentat auf Putin sollten in erster Linie Verunsicherung bei den Gegnern stiften. Auch sollen sie hiesige Medienkonsumenten von ukrainischen Misserfolgen auf dem Kampffeld in Artjomowsk und anderen Frontabschnitten ablenken.
In der zweiten Hälfte seines Beitrags zeigt Röpcke eine Kolonne aus zehn deutschen Leopard-2-Panzern, die durch den ukrainischen Schlamm rollen. Auf deutsche Panzer in der Ukraine ist er sichtlich stolz. Als großen Erfolg der Ukrainer bezeichnet Röpcke die angebliche Landung ukrainischer Spezialeinheiten auf einer der zahlreichen sandigen Inseln in der Dnjepr-Mündung südlich von Cherson. Der Videobeweis dafür: die "wütende russische Bombardierung" der wenigen Gebäude auf der Insel, bei der es selbst laut Röpcke sehr wohl zu weiteren ukrainischen Opfern gekommen ist. Ukrainer landen, Russen bomben sie weg – ein weiterer "Erfolg" der Ukrainer "Made by Bild" also.
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