Neues Machtspiel an der russisch-chinesischen Grenze: Die G7 hat Zentralasien im Visier
Eine Analyse von Andrew Korybko
Der neue Kalte Krieg zwischen dem von den USA geführten kollektiven Westen und der chinesisch-russischen Kooperation um die Ausrichtung des globalen Systemübergangs betrifft alle Regionen dieser Welt. Die meisten Beobachter konzentrieren sich eher auf die Fronten im asiatisch-pazifischen Raum und/oder in Europa, da diese regelmäßig in den Nachrichten präsent sind. Man sollte jedoch Zentralasien nicht außer Acht lassen, das geostrategisch im eurasischen Kernland liegt. Diese Region wurde im Absatz 61 der Verlautbarung der Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten in Hiroshima angesprochen:
"Wir bekräftigen unser Engagement mit den zentralasiatischen Ländern bei der Bewältigung verschiedener regionaler Herausforderungen, darunter die Folgen des russischen Angriffskrieges, die destabilisierende Wirkung der Lage in Afghanistan, Ernährungs- und Energiesicherheit, Terrorismus und Klimawandel. Wir sind entschlossen, Handels- und Energieverbindungen, nachhaltige Konnektivität und Transport zu fördern, einschließlich des 'Mittleren Korridors' und der damit verbundenen Projekte, um den regionalen Wohlstand und die Stabilität zu verbessern."
Der Verweis der G7 auf Zentralasien erfolgt nach der jüngsten Panikmache einiger westlicher Medienvertreter über die dortigen Absichten Chinas, die ihrer Meinung nach entweder dazu führen werden, dass sich Russland bereit erklärt, Pekings Juniorpartner zu werden, oder dass Moskau in erbitterte Konkurrenz zu Peking gehen wird, um Einfluss in diesen fünf zentralasiatischen Ländern zu gewinnen. Unabhängig davon, ob diese düsteren Szenarien eintreten werden oder nicht, ruht sich die G7 nicht auf ihren Lorbeeren aus, sondern plant aktiv die Ausweitung des westlichen Einflusses in diesen strategischen Raum, der zwischen zwei multipolaren nuklearen Großmächten liegt.
Der Vorwand, mit der Region zusammenarbeiten zu wollen, um sie bei der Bewältigung verschiedener Herausforderungen zu unterstützen, dient dazu, die wahren Teile-und-herrsche-Motive im Nullsummenspiel der G7 zu verschleiern. Der Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland in der Ukraine hätte an sich keine Konsequenzen für Zentralasien, wenn es nicht die Sanktionen des Westens gäbe, deren Einhaltung auch von Drittländern verlangt wird. Besorgniserregend ist, dass der stellvertretende russische Außenminister Michail Galusin Anfang vergangener Woche seine Bedenken darüber zum Ausdruck brachte, dass einige dieser ehemaligen Sowjetrepubliken auf diesen Zug aufspringen könnten.
Bisher haben sie sich davor gescheut, dies zu tun, weil es für ihre Volkswirtschaften katastrophale Folgen haben könnte, ganz zu schweigen von der potenziell irreparablen Kluft, die es innerhalb der von Russland geführten regionalen Integrationsstrukturen, wie der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), hervorrufen würde. Der selbstverschuldete Schaden, den die Staatslenker der zentralasiatischen Länder der eigenen Wirtschaft zufügen würden, könnte den ohnehin schwierigen Lebensstandard ihrer Bevölkerungen weiter verschlechtern und sie anfällig für radikale Narrative machen, wodurch sie mit der Zeit zu einer latenten Sicherheitsbedrohung würden.
Während es schon immer zu den Plänen der USA gehörte, Zentralasien ins Chaos zu stürzen, scheinen sie als Reaktion auf die multipolaren Prozesse, die sich seit Beginn der russischen Militäroperation vor 15 Monaten weltweit beschleunigt haben, ihren Ansatz neu auszurichten. Anstatt diese Länder zu destabilisieren, scheint der Westen nun der Welt zeigen zu wollen, dass man diese Länder durch eine Kombination aus Informationskrieg, Sanktionsdruck und verlockenden Wirtschaftsabkommen aus dem chinesisch-russischen Orbit "abwerben" kann.
Diese Beobachtung fügt einen entscheidenden Kontext zu der Behauptung hinzu, dass man diesen Ländern helfen wolle, "regionale Herausforderungen anzugehen" – nämlich diejenigen, die sich ergeben werden, wenn man Russland abservieren würde. Hier wird der Verweis auf den "Mittleren Korridor" relevant. Diese von der Türkei geführte regionale Initiative der Konnektivität könnte vom Westen genutzt werden, um sich viel stärker in Zentralasien zu engagieren. Auch Präsident Erdoğan und sein politischer Gegner Kılıçdaroğlu engagieren sich für dieses Projekt.
Das bedeutet, dass der Westen dort den Hebel ansetzen kann, ganz gleich, wie die Stichwahl in der Türkei am kommenden Wochenende ausgehen wird. Der jetzige Amtsinhaber kann den Zugang nach Zentralasien über diese von der Türkei geführte Route als Teil eines Kompromisses erleichtern, um den internationalen Druck auf ihn selbst zu verringern. Sein Rivale hingegen könnte dazu getrieben werden, dies aus einer antirussischen Motivation heraus zu tun, bei der die Türkei als Speerspitze des westlichen Speers fungiert, um in Moskaus sogenannte "Einflusssphäre" vorzudringen.
Was die chinesische Dimension dieser westlichen Herangehensweise in Zentralasien anbelangt, könnte die G7 alle bedeutenden Fortschritte, die sie über den "Mittleren Korridor" erzielen würde, nutzen, um Peking noch mehr dazu zu drängen, einer Wiederaufnahme der Gespräche über eine neue Entspannung mit den USA zuzustimmen. Dieser Korridor könnte die inzwischen nicht mehr existierende Eurasische Landbrücke ersetzen, die ursprünglich China und die EU verbinden sollte. Der Westen könnte eine Wiederaufnahme der Aktivität auf der Eurasischen Landbrücke versprechen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
Erstens müsste sich die Türkei der "Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen" (PGII) der G7 anschließen, die laut der Verlautbarung der Staats- und Regierungschefs Investitionen im Gesamtwert von 600 Milliarden US-Dollar vorsieht, um gemeinsam in den "Mittleren Korridor" zu investieren.
Zweitens müssten die zentralasiatischen Staaten Russland abservieren, nachdem ihnen in diesem Szenario eine türkisch-westliche wirtschaftliche Unterstützung als Ergänzung zu China zugesichert wurde. Und schließlich müsste China den anderen Bedingungen der neuen Entspannungspolitik zustimmen, um mit dieser Chance belohnt zu werden.
Selbst wenn der dritte Schritt nicht gelingt, kann der Westen die beiden ersten dennoch ausnutzen, um seine großen strategischen Interessen auf Kosten der chinesisch-russischen Kooperation voranzutreiben. Der türkisch-westliche Wirtschafts-, Finanz- und Infrastrukturwettbewerb mit China würde sich verschärfen, während die militärische Dimension in dieser Rivalität dazu führen könnte, dass die Türkei Truppen in die Region entsendet. Dies könnte auf Wunsch der Länder der Region erfolgen im Rahmen der gemeinsamen Mitgliedschaft in der Organisation der Turkstaaten (OTS).
Der Grund, warum dieses Szenario plausibel ist, liegt darin, dass die mögliche Sanktionierung Russlands durch die zentralasiatischen Länder – auf Druck des Westens – eine schnell ablaufende Abfolge von Ereignissen in Gang setzen könnte, mit denen die Sicherheitsbeziehungen innerhalb der CSTO zerstört werden. In diesem Fall – und in Anbetracht der von Afghanistan ausgehenden Bedrohungen sowie der Krise in Kasachstan im Januar 2022 – könnten sich diese Länder entscheiden, ihren bisherigen Sicherheitsgarant zu ersetzen, anstatt diese Lücke offenzulassen.
Die Türkei ist ein NATO-Mitglied, sodass dies auch als Mittel zur Ausweitung der Präsenz dieses Bündnisses im eurasischen Kernland dienen könnte, wo man dann gleichzeitig Russland und China bedrohen kann. China könnte diesem Szenario zumindest für einige Zeit vorbeugen, indem man mit den USA eine neue Entspannungspolitik vereinbart. Wenn dies jedoch nicht der Fall sein wird, würde die Sicherheit der chinesisch-russischen Kooperation durch die Präsenz von Streitkräften eines NATO-Landes an ihrer gemeinsamen Grenze in beispiellosem Maße gefährdet.
Die in dieser Analyse vermittelten Erkenntnisse sollten nicht als Vorhersage eines Erfolgs des geplanten strategischen Engagements der G7 in Zentralasien missverstanden werden, sondern lediglich als Sensibilisierung dafür. Daher sollte niemand einen Erfolg als selbstverständlich betrachten. Dennoch sollte man sich große Sorgen darüber machen, was der G7-Block plant, da es sich dabei um ein großes Machtspiel gegen die chinesisch-russische Kooperation handelt, das möglicherweise nur schwer zu vereiteln ist.
Übersetzt aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien, Chinas "Neue Seidenstraße"-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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