"Beispiellos und absurd!" – Selenskij ist empört über Bedingungen für NATO-Beitritt der Ukraine
In diesen Stunden tagen die Staats- und Regierungschefs aller 31 NATO-Mitgliedsstaaten im litauischen Vilnius. Diplomatische Quellen aus dem Umfeld der Konferenz und die erste Statements des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg legen nahe, dass es keine klare und vor allem keine zeitnahe Beitrittsperspektive für die Ukraine geben wird. Doch die Ukraine solle nach dem Gipfel näher zur NATO rücken als je zuvor.
Dieser Balanceakt ist jedoch nicht nach dem Geschmack des ukrainischen Präsidenten. Mit einem verbalen Wutanfall hat Selenskij auf "Signale" aus Vilnius reagiert. "Jetzt, auf dem Weg nach Vilnius, haben wir Signale erhalten, dass Formulierungen ohne die Ukraine diskutiert werden. Und ich möchte betonen, dass es sich dabei nur um Formulierungen für eine Einladung handelt, nicht für eine Mitgliedschaft der Ukraine", schrieb er in seinem Telegram-Account.
"Es ist beispiellos und absurd, wenn es weder für die Einladung (!) noch für die Mitgliedschaft der Ukraine einen Zeitrahmen gibt; und wenn sogar für die Einladung der Ukraine einige seltsame Formulierungen über "Bedingungen" hinzugefügt werden... Es sieht so aus, als gäbe es keine Bereitschaft, die Ukraine in die NATO einzuladen oder sie zum Mitglied zu machen", schrieb der ukrainische Präsident weiter.
Das würde bedeuten, dass die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bei zukünftigen Gesprächen mit Russland ein Verhandlungsgegenstand bleibe. "Für Russland ist das eine Motivation, seinen Terror weiter fortzusetzen", erklärte Selenskij. Diese Unbestimmtheit sei ein Zeichen der Schwäche des Westens. "Und ich werde das auf dem Gipfel offen ansprechen", versprach er.
In seiner Begrüßungserklärung am Beginn des Gipfeltreffens sagte Stoltenberg, dass die Ukraine bei dem Treffen in Litauen eine deutliche Perspektive für den angestrebten Bündnisbeitritt bekommt. "Wir werden eine klare Botschaft, eine positive Botschaft zum weiteren Vorgehen geben", sagte der Generalsekretär in Vilnius.
Auf die Frage, ob das Gipfeltreffen der Ukraine für die Zeit nach dem Krieg Sicherheitsgarantien geben werde, sagte Stoltenberg, er erwarte klare Entscheidungen für eine Fortsetzung und Verstärkung der Ukraine-Hilfe. "Und ich bin auch zuversichtlich, dass die Verbündeten zur Frage einer Mitgliedschaft bekräftigen werden, dass die Ukraine ein Mitglied werden wird." Stoltenberg spielte damit auf eine NATO-Erklärung aus dem Jahr 2008 an. Darin hatten die damaligen Staats- und Regierungschefs vereinbart, dass die Ukraine und Georgien der NATO beitreten sollen, ohne aber dafür einen konkreten Zeitplan zu nennen.
Seinen Angaben zufolge solle beim diesjährigen Gipfeltreffen ein mehrjähriges Programm vereinbart werden, um künftig eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften der Ukraine und denen des Bündnisses zu ermöglichen. Zudem sei geplant, die politischen Beziehungen über die Schaffung eines neuen NATO-Ukraine-Rates zu vertiefen und der Ukraine zu versprechen, vor der angestrebten Aufnahme nicht auf dem üblichen Heranführungsprogramm zu bestehen. "Das wird den Beitrittsprozess für die Ukraine von einem zweistufigen Prozess zu einem einstufigen machen", erklärte Stoltenberg. "Die Ukraine wird eine Einladung in die NATO erhalten, wenn alle Bündnismitglieder zustimmen und alle Bedingungen erfüllt sind", sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo.
Deutschland kündigte vor dem Gipfeltreffen an, der Ukraine weitere Waffen, Munition und militärische Ausrüstung im Wert von knapp 700 Millionen Euro zu liefern. Unter anderem soll "das von Russland angegriffene Land" weitere 40 Marder-Schützenpanzer, 25 Kampfpanzer Leopard 1A5 und fünf Bergepanzer sowie zwei weitere Startsysteme für Patriot-Flugabwehrraketen von der Bundeswehr bekommen. Hinzu kommen 20.000 Schuss Artilleriemunition und 5.000 Schuss Nebelmunition sowie Aufklärungsdrohnen und Mittel zur Drohnenabwehr. Die Bundesregierung hat für die Ukraine seit Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine Ende Februar 2022 bis zum 30. Juni 2023 bereits Rüstungslieferungen im Wert von 3,9 Milliarden Euro genehmigt. Insgesamt liegt Deutschland damit unter allen Waffenlieferanten der Ukraine auf Platz zwei hinter den USA.
Die Teilnehmer des Treffens wollen in der geografischen Lage der Gastgeberstadt ein Zeichen an Russlands Präsidenten Wladimir Putin sehen. Bis nach Weißrussland, dem Verbündeten Russlands, sind es von Vilnius aus nur etwa 30 Kilometer, die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad ist in Luftlinie etwa 160 Kilometer entfernt. Die Bundeswehr schützt das Gipfeltreffen demonstrativ mit Eurofightern sowie drei Luftabwehrsystemen vom Typ Patriot, die am Flughafen Vilnius in Stellung gegangen sind. Der litauische Präsident Gitanas Nausėda rief die NATO-Verbündeten dazu auf, noch mehr ständige Basen vor den russischen Grenzen zu bauen, weil die NATO-Russland-Akte vom Jahr 1997, die dies untersagte, tot sei.
Stoltenberg mahnte die NATO-Mitglieder kurz vor Beginn der Beratungen, die Unterstützung für die Ukraine langfristig fortzusetzen. "Kriege dauern oft länger als erwartet. Unsere einzige Antwort ist, dass wir der Ukraine so lange zur Seite stehen müssen, wie es dauert", sagte er. Er lobte die Ukrainer für die Geländegewinne bei ihrer Sommeroffensive, merkte aber an, dass es auch harten Widerstand gebe. "Die russischen Position sind eingegraben, befestigt durch Minenfelder, Panzersperren ("Drachenzähne") und eine Vielzahl an befestigten Verteidigungslinien", erklärte er.
Ein beschleunigter Beitritt der Ukraine zur NATO birgt nach Darstellung der Kremlführung hohe Sicherheitsrisiken für Europa. "Potenziell ist das sehr gefährlich für die europäische Sicherheit", sagte der Präsidentensprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Russland begründet die seit fast anderthalb Jahren geführte Militäroperation in der Ukraine mit der Sorge um die eigene Sicherheit im Falle eines NATO-Beitritts seines Nachbarn. Die NATO demonstriere im Vorfeld des Gipfeltreffens eine "starke antirussische Haltung", sagte der Kremlsprecher.
Dementsprechend negativ werde man in Moskau auch auf den geplanten NATO-Beitritt Schwedens reagieren, kündigte Peskow an. Russland werde Maßnahmen ergreifen, die vergleichbar mit denen nach dem finnischen NATO-Beitritt seien, sagte Peskow. Damals hatte Russland etwa den Aufbau eines eigenen Armeekorps im Nordwesten Russlands angekündigt.
Mehr zum Thema - Litauens Präsident fordert dauerhafte NATO-Stützpunkte an Grenze zu Russland
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.