Wie Polen still und heimlich die Kontrolle über die Westukraine übernimmt
Von Andrew Korybko
Polens Bevollmächtigte für die polnisch-ukrainische Entwicklungszusammenarbeit Jadwiga Emilewicz eröffnete am 17. Juli in Lwow Polens erstes Büro für den "Dienst zum Wiederaufbau der Ukraine (SOU)". Das war eine Veranstaltung, die außerhalb der beiden betroffenen Länder kaum Medienaufmerksamkeit erregte. Das öffentlich finanzierte Polskie Radio berichtete über ein Seminar, das am selben Tag unter der Schirmherrschaft des Warschauer Unternehmensinstituts abgehalten wurde, sowie über ein Seminar am darauffolgenden Tag in Luzk, der benachbarten Regionalhauptstadt der Region Wolhynien.
Zusammengefasst kündigte Emilewicz an, dass bald weitere solcher Büros in der Ukraine eröffnet werden und dass "wir Versicherungs- und Kreditinstrumente für polnische Unternehmen vorbereiten". Sie fügte hinzu: "Wir wollen vor Ort präsent sein, um polnische Unternehmer beim Aufbau von Kontakten zu unterstützen und den Investitionsbedarf zu beobachten. Wir schaffen eine Dialogplattform zwischen polnischen und ukrainischen Unternehmen und beziehen sowohl nationale als auch lokale Institutionen und Behörden mit ein."
An beiden Seminaren nahmen einflussreiche Persönlichkeiten teil. An der Veranstaltung in Lemberg nahm der Regionalgouverneur Maxim Kosizki teil, der auf seinem Telegram-Kanal Einzelheiten über die Aktivitäten des WDU in dieser Region teilte. Am Seminar in Luzk nahm hingegen auch der Chef der Militärverwaltung der benachbarten Region Rowno, Witali Kowal, teil, der polnische Unternehmen einlud, alsbald in dieser Region zu investieren. Es ist wichtig zu beachten, dass alle drei Regionen – Lwow, Wolhynien und Rowno – vor dem Zweiten Weltkrieg polnisches Territorium waren.
Zwei miteinander verbundene Entwicklungen
Die Aktivitäten des SOU in diesen Teilen der Westukraine, die von den meisten Polen noch immer als ein untrennbarer Teil ihrer eigenen jahrtausendealten Zivilisation betrachtet werden, sind das natürliche Ergebnis zweier miteinander verbundener Entwicklungen, die im Mai 2022 begannen. Der polnische Präsident Andrzej Duda besuchte damals Kiew am 22. Mai 2022, wo er vor der ukrainischen Rada sprach und gemeinsam mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wladimir Selenskij gelobte, die umfassende Integration beider Länder zu beschleunigen.
Die vollständigen englischsprachigen Transkripte der Reden können auf den jeweiligen offiziellen Webseiten der beiden Präsidenten hier und hier nachgelesen werden. Im Kontext der vorliegenden Analyse war die wichtigste Erkenntnis aus der Rede von Duda, dass er Pläne zur Optimierung der Straßen-, Schienen- und weiterer industrieller Verbindungen vorstellte. Selenskij hingegen sprach davon, dass man eine gemeinsame Grenz- und Zollkontrolle schaffen werde. Er erklärte außerdem, dass die Ukraine den polnischen Bürgern praktisch die gleichen Rechte einräumen werde, wie sie die ukrainischen Bürger haben.
Darüber hinaus deuten die Bemerkungen von Duda, es solle "die polnisch-ukrainische Grenze vereinigend und nicht spaltend sein", und jene von Selenskij, dass "es zwischen uns keine Grenzen oder Barrieren geben sollte", stark auf die Absicht zu jener Zeit hin, dass sich beide Länder schließlich zu einer De-facto-Konföderation zusammenzuschließen werden. Am darauffolgenden Tag, dem 23. Mai 2022, nahm Selenskij über eine Videokonferenzschaltung am jährlich stattfindenden Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos teil und hielt dort eine Rede, die ebenfalls auf seiner offiziellen Webseite in voller Länge auf Englisch nachgelesen werden kann.
Bezeichnenderweise kündigte Selenskij an, dass "wir ein besonderes – historisch bedeutsames – Modell des Wiederaufbaus anbieten, indem wir den Partnerländern, Partnerstädten oder Partnerunternehmen die Gelegenheit geben, die Schirmherrschaft über eine bestimmte Region der Ukraine, eine Stadt, eine Gemeinde oder einen Industriezweig zu übernehmen". Im Grunde plant Kiew damit, sich bei seinen Gönnern im Westen erkenntlich zu zeigen, indem man ihnen Privilegien in der Ukraine der Nachkriegszeit verspricht, in den von ihnen jeweils bevorzugten Regionen – im Fall von Polen also in jenen Regionen der Westukraine, die einst ein Teil jenes Staates waren.
Perfektionierung der Wirtschaftspläne der de facto Konföderation
Diese beiden miteinander verbundenen Entwicklungen, die ab dem Mai 2022 in Gang kamen, führten schließlich dazu, dass Polen 14 Monate später sein erstes SOU-Büro in Lwow eröffnete. Daher wurden spürbare Fortschritte bei den kaum verschleierten Plänen erzielt, sich über das "besondere – historisch bedeutsame – Modell", über das Selenskij auf dem WEF sprach, zu einer Konföderation zusammenzuschließen. Obwohl Kiew damit Polen die "Schutzherrschaft" über die Westukraine gewährte, dauerte es mehr als ein Jahr, bis Warschau nun den damit verbundenen Wirtschaftsmechanismus in Gang setzte.
Diese Verzögerung kann durch die Notwendigkeit erklärt werden, dass erst Studien durchgeführt und alle Beteiligten zusammengebracht werden mussten, damit nach der Eröffnung des ersten SOU-Büros alles rasch voranschreiten kann. Der zuvor erwähnte Telegram-Beitrag von Kosizki ging auf drei besondere Infrastrukturprojekte ein, um der Vision von Duda entgegenzukommen – der Straffung der polnisch-ukrainischen Verbundenheit. In Verbindung mit den Plänen zur Schaffung eines gemeinsamen Zollraums entspricht dies im Wesentlichen der wirtschaftlichen Dimension ihrer De-facto-Konföderation.
Polens Forderungen nach Militärhilfe und Sicherheitsgarantien
Auch der Sicherheitsaspekt dieser Pläne schreitet voran. Der polnische Finanzminister gab im März dieses Jahres bekannt, dass Warschau der Ukraine im Jahr 2022 Militärhilfe im Wert von rund 6,2 Milliarden Euro gewährt habe, was Polen zum drittgrößten staatlichen Geldgeber im NATO-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine machte. Seit Beginn der militärischen Spezialoperation Russlands kursieren auch Berichte über polnische Söldner, die auf ukrainischer Seite kämpfen. Das "Polnische Freiwilligenkorps" bestätigte sogar die Teilnahme am Überfall auf die russische Grenzregion Belgorod im vergangenen Mai.
Die wiederholten Forderungen Polens nach "Sicherheitsgarantien" für die Ukraine könnten als Auslöser dafür dienen, dass Warschau ganz offiziell reguläre Streitkräfte offiziell in die Westukraine verlegt, sei es multilateral mit Beteiligung Warschaus oder bilateral in Absprache mit Kiew, selbst wenn letzteres im Geheimen abgesprochen wird. Der Bericht bei Politico im vergangenen November über Polens beispiellose militärische Aufrüstung deutet darauf hin, dass das Land plant, irgendwann in der Zukunft über die erforderlichen überschüssigen militärischen Kapazitäten für einen groß angelegten Auslandseinsatz zu verfügen.
Auf dem Weg zu einer polnischen Militärintervention in der Ukraine
Bemerkenswert ist, dass die Verteidigungsausgaben Polens auf fünf Prozent des BIP erhöht werden sollen, dass die polnische Armee bis 2035 über 300.000 aktive Soldaten verfügen soll und dass es moderne militärische Güter in Milliardenhöhe aus den USA und Südkorea kauft. Polen ist jedoch ein Mitglied der NATO und genießt somit gemäß Artikel 5 der NATO-Charta Verteidigungsgarantien der US-Atomsupermacht, so dass alle diese oben genannten Maßnahmen übertrieben erscheinen, falls Polen sich damit lediglich vor einem spekulativen russischen Angriff schützen möchte. Diese Beobachtung legt vielmehr nahe, dass sich Polen tatsächlich auf eine Militärintervention in der Ukraine vorbereitet.
Auch wenn es noch viele Jahre dauern wird, bis Polen seine ehrgeizigen militärischen Pläne umsetzt haben wird, bedeutet die Mitgliedschaft in der NATO, dass Polen theoretisch alles in das benachbarte ukrainische Ausland verlegen kann, was man derzeit zur Verfügung hat, ohne Angst vor einem Angriff durch Russland haben zu müssen, weil der Atomschirm der USA dies verhindert. Die russische und die weißrussische Führung nehmen dieses Szenario sehr ernst, wie Vertreter beider Länder Ende Juli betonten – nur wenige Tage, nachdem Polen sein erstes SOU-Büro in Lwow eröffnet hatte.
Russland und Weißrussland warnen vor möglichen polnischen Plänen für die Ukraine
Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes Sergei Naryschkin warnte am 21. Juli in einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates vor der militärischen Aufrüstung Polens nahe der ukrainischen Grenze. "Wir haben Polens Pläne öffentlich gemacht, um sie vom Versuch der Umsetzung abzuhalten." Er sagte jedoch auch: "Wenn sie [in Kiew] etwas [an Polen] abgeben oder verkaufen wollen, um damit ihre Schulden bei den Gönnern zu begleichen, wie es Verräter üblicherweise tun, dann ist das ihre Sache. Wir werden uns da nicht einmischen."
Die einzige rote Linie in dieser Hinsicht bestehe darin, dass Polen auch Weißrussland angreift, da dies "einer Aggression gegen die Russische Föderation gleichkommt und wir darauf mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren werden". Was Weißrussland betrifft, so besuchte dessen Präsident Alexander Lukaschenko zwei Tage später, am 23. Juli, Sankt Petersburg – also nicht einmal eine Woche nach Polens Eröffnung seines ersten SOU-Büros. Während seines Aufenthalts warnte Lukaschenko eindringlich vor den möglichen Plänen Polens, wie auf der offiziellen Kreml-Webseite nachgelesen werden kann.
Der weißrussische Präsident beurteilte dieses Szenario jedoch anders als sein russischer Amtskollege, da er diese Pläne aufgrund der möglichen Sicherheitsbedrohungen an der südlichen Grenze der Union als "inakzeptabel" bezeichnete. Abgesehen von den unterschiedlichen Beurteilungen bestätigen diese Äußerungen, dass beide Führungen – die russische wie die weißrussische – davon ausgehen, dass Polen bald mit einer Militärintervention in der Ukraine beginnen könnte, um seine wirtschaftliche Kontrolle über den westlichen Teil des Nachbarlandes zu sichern.
Der Vorwand, den Polen dafür vorbringen könnte, um seine hegemonialen Pläne umzusetzen, könnte ein russischer Durchbruch an der derzeitigen Front in der Ostukraine sein. Oder auch eine False-Flag-Operation gegen polnische Objekte in der Westukraine, für die man die derzeit in Weißrussland stationierte Gruppe Wagner verantwortlich machen würde, wobei auch andere "auslösende Ereignisse" denkbar wären. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Kiew während oder nach den anscheinend unvermeidlichen Waffenstillstands- und/oder Friedensgesprächen Polen offen zu einer Intervention auffordert – als Teil einer bilateralen "Sicherheitsgarantie".
Zusammenfassende Gedanken
So wie es derzeit aussieht, hat Polen bereits heimlich die Kontrolle über die Westukraine übernommen, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben. Seine politische Macht wurde im vergangenen Sommer gefestigt, nachdem die Rada den Polen praktisch die gleichen Rechte wie den Ukrainern gewährt hatte, entsprechend dem Versprechen, das Selenskij Duda im Mai 2022 gegeben hatte, während der wirtschaftliche Aspekt durch die Eröffnung des ersten SOU-Büros in Lwow Mitte Juli vorangetrieben wurde. In diesem Falle besteht für Polen außer dem Prestige nicht einmal eine Notwendigkeit, offiziell Truppen in die Ukraine zu entsenden.
Dennoch könnte aus den bisher beschriebenen Gründen genau das passieren. Einerseits könnte eine militärische Intervention in der Ukraine die Aussichten der Regierungspartei bei den Wahlen im Herbst verbessern, andererseits würde es der Welt zeigen, dass Polen dabei ist, seine seit Langem verlorene Vergangenheit als Großmacht wiederherzustellen. Allerdings ist die formelle Integration der Westukraine in Polen keine vollendete Tatsache. Selbst wenn dies geschehen sollte, birgt dies das Risiko heftigen Aufruhrs unter den nationalistischen Kräften auf beiden Seiten.
Angesichts dieser Bedenken, die sehr schwerwiegende politische und sogar latent sicherheitsrelevante Auswirkungen haben, ist das Szenario der eines Tages formalisierten polnisch-ukrainischen De-facto-Konföderation viel realistischer als das Szenario, dass Warschau den westlichen Teil der Ukraine gänzlich abspaltet. Mit einer Konföderation würde man das gleiche strategische Ziel erreichen, nämlich die Ausweitung des Einflussbereichs Polens auf einen Teil seines ehemaligen Territoriums, ohne einen größeren Rückschlag zu riskieren. Ehrlich gesagt, könnte ein solches Szenario sogar unvermeidlich werden.
Übersetzt aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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