Terroranschlag der Hamas auf Israel: Schrecklich, aber nicht "unprovoziert"
Von Bradley Blankenship
Seit dem Überraschungsangriff der Hamas auf das israelische Volk vor zehn Tagen ist die Welt schmerzlich gespalten. Obwohl es keinen Zweifel daran gibt, dass Terrorismus und der Tod unschuldiger Zivilisten niemals ein akzeptables Mittel zur Erreichung politischer Ziele sein kann, gibt es im Hinblick auf den Kontext zwei völlig entgegengesetzte Auffassungen.
Die Mehrheit des globalen Südens – ohne Indien – ist der Ansicht, dass sich die jüngste Eskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt über Jahrzehnte hinweg zugespitzt hat. Dies erinnert an ein entsprechendes Zitat von Noam Chomsky, in dem er feststellte, Israels Politik bestehe seit den 1970er Jahren darin, der Expansion des eigenen Staatsgebiets Vorrang vor der Sicherheit im eigenen Staatsgebiet zu geben, was zu einer stetigen Verschlechterung der nationalen Sicherheit in Israel führt und letztlich zur Isolation des Landes führen werde.
Auf der anderen Seite stimmten alle großen politischen Persönlichkeiten im Westen in den Chor der Verurteilung der Hamas ein und gingen sogar so weit, erneut zu dem überstrapazierten Schlagwort "unprovoziert" zu greifen, so wie im angeblich "unprovozierten Angriff auf Israel". Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij trieb das am vergangenen Montag auf die Spitze, als er während einer NATO-Parlamentssitzung in Kopenhagen die Hamas mit Russland verglich.
Allerdings ist eine solche Sichtweise nicht nur völlig realitätsfern, sondern auch äußerst gefährlich. Dieses Schwarz-Weiß-Denken, dem jegliche ernsthafte moralische Integrität fehlt, ist ein vertrauter Auftakt zu einem umfassenden Krieg. Und der könnte sich zu einem regionalen Konflikt entwickeln, wenn man sich den jüngsten Knüller im Wall Street Journal vor Augen hält, der allerdings an vielen Stellen grundsätzliche problematisch ist –mitverfasst von einer Journalistin mit dem Nachweis für das Erfinden von Geschichten –, und in dem die Islamische Republik Iran als Israels Todfeind mit dem Angriff der Hamas in Verbindung gebracht wird. Unterdessen schicken die USA eine Flugzeugträger-Kampfgruppe als Machtdemonstration ins östliche Mittelmeer, um Israel zu verteidigen.
Wir waren schon einmal an diesem Punkt und wissen, dass so ein Konsens erzeugt werden soll, um Gesellschaften an die Schwelle eines Krieges zu bringen. Es sollte beachtet werden, dass sich einige der wichtigsten strategischen Einrichtungen der USA, die einen sofortigen Kriegseintritt der USA rechtfertigen würden, in Israel befinden. Das bedeutet, dass man in Washington, D.C. ein grundlegendes Interesse daran hat, die Kontinuität der israelischen Souveränität sicherzustellen und Israel im Wesentlichen wie das eigene Territorium verteidigen würde. Die zunehmenden Eskalationen in dieser Region, gepaart mit der westlichen Illusion moralischer Überlegenheit, treiben die Welt immer weiter in einen noch größeren Konflikt, während Europa bereits in der Ukraine in einen Krieg verwickelt ist.
In einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal Red wies der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis darauf hin, dass die Hauptverantwortung für die Vorbedingungen, die von den meisten Menschen auf der Welt als Ursache dieser jüngsten Eskalation angesehen werden – nämlich ein den Palästinensern aufgezwungenes Apartheidregime – hauptsächlich beim Westen liege, vor allem bei den USA und der EU. Hier bleibt der stille Tod unzähliger Araber unbemerkt, während den medial vielbeachteten Gräueltaten gegen Israelis unbeirrt eine Verurteilung gewidmet wird.
Sowohl moralisch als auch praktisch ergibt eine solche Heuchelei keinen Sinn. Wie ich bereits letztes Jahr in einem Artikel betonte, spricht die Tatsache, dass große westliche Menschenrechtsorganisationen begonnen haben, sich gegen Israel zu wenden, dafür, dass der Status quo nicht länger haltbar ist. Die Ungerechtigkeit gegenüber der palästinensischen Nation ist so offensichtlich geworden, dass sich die öffentliche Meinung im Westen gegen Israel zu richten beginnt, auch wenn dort die Staatsoberhäupter dieser Tatsache gegenüber sich noch taub stellen. Die Realität ist jedoch, wie Chomsky betonte, dass jeder, der Israel wirklich unterstützen möchte, die Politik des Landes in eine Richtung jenseits der Verfolgung seiner bisherigen tollkühnen Politik lenken würde, durch die es nur unsicherer geworden ist und die sein öffentliches Image zerstört. Freunde sagen Freunden schließlich die Wahrheit, auch wenn es weh tut.
Dem Westen mangelt es auch an der Fähigkeit, Israel tatsächlich zu verteidigen. Es ist kein Zufall, dass die Hamas ihren Angriff jetzt startete, nämlich zu einer Zeit, in der die militärischen Vorräte westlicher Länder dank ihrer kollektiven Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen beinahe erschöpft sind. Politisch, diplomatisch und militärisch ist der Westen zu überlastet – und dennoch begnügt er sich offenbar damit, seine Stellvertreterkriege an einem neuen – und wahrscheinlich kostspieligen – Schauplatz zu eröffnen.
Man bedenke zum Beispiel, dass allein in den USA in der vergangenen Woche ein 24 Milliarden US-Dollar schweres Programm von auf COVID-19 bezogenen Fördermitteln für Kindertagesstätten im ganzen Land ausgelaufen ist. Nach einer Schätzung der Century Foundation vom vergangenen Monat werden 3,2 Millionen Kinder von dem Ende der Finanzierung betroffen sein, während Arbeitsleistungen in Höhe von 10,6 Milliarden US-Dollar durch sinkende Produktivität ausfallen, weil Eltern nun auf der Suche nach einer neuen Betreuung ihre Arbeitszeit reduzieren oder sogar ihren Arbeitsplatz gänzlich aufgeben müssen. Insgesamt sind rund 70.000 Kindertagesstätten von der Schließung bedroht.
Warum gerät Washington in einen weiteren militärischen Konflikt, wenn gleichzeitig solches im eigenen Land geschieht? Und warum unterstützt der kollektive Westen keinen dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina, obwohl die Mehrheit der Welt das unterstützt? Der Status quo tötet Araber – und er schadet auch den Israelis. Es sollte angemerkt werden, dass sogar einige israelische Medien, die Redaktion von Haaretz eingeschlossen, den gesunden Menschenverstand haben, das Offensichtliche festzustellen: Die Regierung von Benjamin Netanjahu trägt die Verantwortung für diesen Krieg.
Gleichzeitig sollte niemand den Tod Unschuldiger feiern. Das Sterben von Zivilisten, ob Juden oder Muslime, ist eine Tragödie. Aber nur weil jemand in der Lage ist, etwas auf einer analytischen Ebene zu verstehen und über die extremsten Interpretationen hinauszusehen, heißt das nicht, dass er ein solches Verhalten befürwortet. Das heißt, nur weil man den Mut hat zu sagen, dass der aktuelle Israel-Gaza-Krieg tatsächlich provoziert wurde, heißt das nicht, dass man menschliches Leid gutheißt. Konfliktursachen zu erkennen und offen zu benennen, ist im Gegenteil der erste Schritt zur Lösung des Problems.
Übersetzt aus dem Englischen.
Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Man findet ihn auf X unter @BradBlank.
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