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Der Mann von gestern: Wladimir Selenskij läuft Gefahr, von den USA fallen gelassen zu werden

Wenn Washington vor die Wahl gestellt wird, entweder die Ukraine oder Israel in ihren jeweiligen Konflikten zu unterstützen, wird man sich im Weißen Haus umgehend für Israel entscheiden. Mittlerweile scheint es, dass Wladimir Selenskij überall, wohin er sich wendet, Ärger bevorsteht.
Der Mann von gestern: Wladimir Selenskij läuft Gefahr, von den USA fallen gelassen zu werdenQuelle: Gettyimages.ru © Cemal Yurtas/dia images

Von Chay Bowes

Anfang dieses Monats war die Welt schockiert über die Angriffe Hunderter Hamas-Kämpfer auf Israel. Dies bedeutete nicht nur den Beginn einer neuen Eskalation im Jahrzehnte alten Kampf zwischen Juden und Palästinensern, sondern möglicherweise auch einen Wendepunkt in der politischen und militärischen Unterstützung der Ukraine für Wladimir Selenskij.

Vor den grausamen Angriffen der Hamas und der biblisch brutalen israelischen Reaktion darauf hatten sich die USA und ihre NATO-Verbündeten fast ausschließlich auf die Ukraine konzentriert, während sie gelegentlich nervös in Richtung China gekeift hatten. Jetzt, da die westlichen Medien auf Hochtouren laufen und ihren Blick fest auf den Nahen Osten gerichtet haben, werden die Sorgen in Kiew nur noch zunehmen, da sich die globale Aufmerksamkeit von der Ukraine auf Israel, Palästina und den Iran verlagert hat.

Es ist erwähnenswert, dass die Unterstützung für die Ukraine bereits vor den Angriffen der Hamas im Abflauen begriffen gewesen war. Noch vor wenigen Monaten wäre die Vorstellung undenkbar gewesen, dass ehemals treue Verbündete wie Polen die Sinnhaftigkeit ihrer unerschütterlichen Unterstützung für den vom Krieg zerrütteten Staat Ukraine offen infrage gestellt und diesen Staat mit einem "Ertrinkenden" verglichen hätten. In Verbindung mit der weit verbreiteten europäischen Kriegsmüdigkeit, der gescheiterten Gegenoffensive der Ukraine und der schwindenden öffentlichen Unterstützung im Westen für den Ukraine-Krieg hatte sich die Führung der Ukraine bereits einem harten Kampf um die Unterstützung seiner "Partner", seines Volkes und vor allem der US-amerikanischen politischen Eliten gegenübergesehen. Das Letzte, was Selenskij hatte brauchen können, war eine weltweit bedeutsame Eskalation im Nahen Osten, der dem Stellvertreterkrieg, den er im Auftrag Washingtons gegen Russland führt, wertvolle Ressourcen entzieht.

Tatsächlich könnte ein Skeptiker vermuten, dass die durch die Hamas ausgelöste Eskalation einen unaufhaltsamen und bisher nicht verfügbaren Weg für die USA darstellt, sich von ihren Verpflichtungen gegenüber der Ukraine zu verabschieden. Angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 kann ein Konflikt mit der Hamas im Rahmen von "Gut gegen Böse" leicht als existenzielle Bedrohung für den langjährigen und wichtigen Verbündeten und Partner Israel interpretiert werden. Im Gegensatz dazu wird der Stellvertreterkrieg in der Ukraine für US-Präsident Joe Biden sowohl politisch als auch finanziell immer problematischer. Dieser neue Konflikt im Nahen Osten, bei dem angeblich barbarische Gräueltaten verübt werden, lässt sich an der Heimatfront weitaus leichter verkaufen.

Die Begeisterung für die Entsendung von Militärhilfe in die Ukraine hat trotz gegenteiliger öffentlicher Äußerungen nachgelassen. Ganz zu schweigen davon, dass der Westen einfach nicht über die Produktionskapazitäten verfügt, um selbst in der Ukraine einen groß angelegten Bodenkrieg voranzutreiben, geschweige denn in einem noch größeren Konflikt auf zwei Kontinenten.

Ein weiterer entscheidender Faktor sind die katastrophalen Kosten der gescheiterten Gegenoffensive der Ukraine. Dieser seit Langem angekündigte Vorstoß, den Russland bezwingen sollte, hat die Ukraine sehr viele Menschen und Material gekostet und ihr Ansehen im Westen geschwächt, ohne dass es auf dem Schlachtfeld irgendwelche Vorteile gebracht hätte. Stattdessen hat es lediglich die stillschweigend unvermeidliche Einsicht im Westen verstärkt, dass sich Kiew mit Moskau arrangieren und dabei Territorium aufgeben muss.

Es besteht kein Zweifel, dass der sich zuspitzende Konflikt im Nahen Osten die Kontinuität der physischen und emotionalen Unterstützung für den Krieg in der Ukraine gefährdet. Das heißt nicht, dass dieser Konflikt Russland nicht betrifft – das tut er. Allerdings verheißt das nichts Gutes für Selenskij. Während der Druck auf ihn zunimmt, Präsidentschaftswahlen abzuhalten, wirkt er immer verletzlicher, und ein deutliches Gefühl der Verzweiflung dringt in das bisherige Narrativ ein. Dies wurde auf subtile Weise deutlich, als Grant Shapps, der aktuelle britische Verteidigungsminister, kürzlich die üblichen Worthülsen von sich gab, als er auf die Frage nach der Fähigkeit, "zwei Kriege gleichzeitig zu führen", antwortete:

"Selenskij wird uns alle nicht nur daran erinnern, warum es sehr wichtig ist, dass wir diesen Kampf weiterführen und zeigen, dass wir es können, damit Putin nicht gewinnt, sondern auch daran, dass wir uns nicht von den umfassenderen Themen ablenken lassen dürfen."

Er fügte hinzu: "Der Krieg in Europa steht für uns absolut im Vordergrund." Diese Beteuerung ist natürlich genau die Art von Dingen, die unheilvoll öffentlich geäußert werden, während im Hintergrund immer mehr das Gegenteil der Fall ist.

Während Israel angesichts der unterschiedlichen Dynamik beider Konflikte nur begrenzt auf Munition zurückgreifen muss, die von der Ukraine benötigt wird, ist es wahrscheinlich, dass die Anforderung, Munition für einen möglicherweise langen Krieg anzuhäufen und einzulagern, möglicherweise gegeben. Damit würde die ausgedehnte israelische Verteidigungs- und Politiklobby in den USA gegen eine wesentlich schwächere ukrainische Lobby antreten. Und es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass die israelische Lobby jedes Mal die Nase vorn haben wird.

Was Israel betrifft, besteht absolut keine Chance, dass es von einem amtierenden oder potenziellen US-Präsidenten einfach seinem Schicksal überlassen wird. Nehmen wir als Beispiel den angeblichen "Anti-Kriegs"-Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy Jr., der sich kürzlich mit lautstarken Worten für die Vergeltung gegen die Hamas aussprach und gleichzeitig Zweifel an den politischen und finanziellen Grundlagen für die weitere Unterstützung für das Regime Selenskijs bekundete.

Man vergleiche auch das zunehmend beunruhigende Bild, das von der Ukraine in der westlichen Presse gezeichnet wird, mit jenem Israels, das von einem großen Teil der westlichen Öffentlichkeit als heroische Insel der Zivilisation und Demokratie in einem turbulenten Nahen Osten betrachtet wird. Man kann spielend verstehen, weshalb es weitaus einfacher ist, Israel als würdigen Empfänger immer knapper werdender US-amerikanischer Militär- und Finanzhilfen zu positionieren, wenn man Israel der Ukraine gegenüberstellt, die in Korruption und Dysfunktion festgefahren ist.

In einem kürzlich geführten Interview mit Bloomberg fasste die CEO der Denkfabrik Chatham House, Bronwen Maddox, die Situation recht prägnant zusammen, als sie sagte:

"Wenn die USA die Wahl zwischen Israel und der Ukraine treffen müssen, würden sie sich umgehend für Israel entscheiden."

Selbst wenn die USA nicht unmittelbar vor dieser Entscheidung stünden, kann sie "verstehen, warum Präsident Selenskij besorgt sein könnte, da er bereits darum kämpfe, die Aufmerksamkeit der USA auf sich zu ziehen".

Während die Ukraine in den Nachrichtenredaktionen westlicher Medien in den Hintergrund geraten ist, dürften sich auch mehrere andere Probleme im Zusammenhang mit der Eskalation im Nahen Osten auf die Aufrechterhaltung des Konflikts in der Ukraine auswirken. Die russischen Streitkräfte halten ihre Linien, die Ölpreise dürften steigen, was zu einer Destabilisierung der Weltmärkte führen wird.

Die zukünftige Unterstützung des US-Kongresses für die Finanzierung der Ukraine scheint zunehmend schwieriger zu werden, da sich jetzt auch Israel im Krieg befindet. Dann ist da natürlich noch die turbulente politische Situation in Europa, da die Partei des Ukraine-Skeptikers Robert Fico die jüngsten Wahlen in der Slowakei gewonnen hat. Und das, ohne den bevorstehenden Winter und die damit verbundenen Herausforderungen für eine immer zerstrittenere EU auch nur zu erwähnen.

Es scheint, dass Selenskij überall, wohin er sich wendet, Ärger bevorsteht. Während ein erfahrener Staatsmann, dem das Wohl seines Volkes am Herzen liegt, dies vielleicht erkennen und somit beschließen würde, nach Frieden zu streben, könnte sich Selenskij einfach dafür entscheiden, alles zu ignorieren, im verzweifelten Versuch, im Rampenlicht und auf der Bühne zu bleiben. Und das alles, während Kiew versucht, ein immer kleiner werdendes Publikum davon zu überzeugen, dass Russland irgendwie für die Probleme im Nahen Osten verantwortlich ist. Selenskijs Regime hat sogar lächerlicherweise suggeriert, dass Russland versuche, die Ukraine zu "verleumden", indem Moskau behauptet habe, dass Kiew westliche Waffen an die Hamas verscherbelt hätte.

Während also die Zeit für den Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland abläuft, erscheint es nun offensichtlich, dass die tragischen Ereignisse vom 7. Oktober in Israel nicht nur die Eskalation eines Konflikts, sondern auch den Anfang vom Ende eines anderen bedeuten könnten.

Übersetzt aus dem Englischen.

Chay Bowes ist Journalist und geopolitischer Analyst, erlangte einen Master in strategischen Studien und wirkt als Korrespondent für RT.

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