"Es wird schwierig" – Was russische und ukrainische Soldaten im Winter erwartet
Von Andrei Koz
Das Licht ausschalten
Ende November hat der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe Juri Ignat berichtet, dass Russland zum Winter etwa 900 Marschflugkörper gesammelt hätte, Kamikaze-Drohnen nicht mitgerechnet. Nach seiner Meinung sei dieses Arsenal für weitere Angriffe gegen die ukrainische Energieinfrastruktur bestimmt. Bedenkt man, dass es der ukrainischen Regierung im Laufe des Jahres nur gelungen ist, einen kleinen Teil des zerstörten sowjetischen Erbes wiederaufzubauen, zeichnet sich eine düstere Perspektive ab.
Im November 2022 hatte Russland als Reaktion auf den Terroranschlag auf die Krimbrücke massive Angriffe gegen die ukrainische Energieinfrastruktur unternommen. Binnen weniger Wochen wurden hunderte Raketen abgefeuert. Zum Ende November wurde fast die Hälfte der Energieobjekte ausgeschaltet, in vielen Orten gab es keinen Strom.
Im Dezember behauptete Selenskij, dass es unmöglich sei, das ukrainische Energiesystem vollständig wiederaufzubauen. Nach Angaben des Energieministers German Galuschtschenko, verlor die Ukraine etwa 4.000 Gigawatt an Stromerzeugungskapazität. Die Nachrichtenagentur Bloomberg schätzte den direkten Schaden auf hunderte Millionen und die wirtschaftlichen Verluste auf mehrere Milliarden US-Dollar.
Kiews jetzige Sorgen sind verständlich: 900 Raketen sind in der Lage, das Energiesystem vollständig zu zerstören. Und das würde die Kampfhandlungen direkt beeinflussen. Im letzten Jahr gelang es den russischen Streitkräften durch das im Hinterland gestiftete Chaos, die Offensive des ukrainischen Militärs im Gebiet Charkow erst zu verlangsamen, und dann zu stoppen. Kiew musste dringend Luftabwehrsysteme von der Front zum Schutz von Infrastrukturobjekten verlegen. Dadurch war es dem ukrainischen Militär unmöglich, unter den Bedingungen der russischen Luftüberlegenheit den Erfolg auszubauen.
Schwierige Jahreszeit
Doch die Winterkampagne wird in jedem Fall nicht einfach sein. In der Militärwissenschaft gelten Winter und Sommer als die günstigsten Jahreszeiten für Kampfhandlungen, weil der Boden einfriert beziehungsweise austrocknet. Im Frühling und im Herbst stört die Schlammperiode die Bewegungen von Militärkolonnen. Doch große Offensiven im Winter durchzuführen, ist schwierig.
Ein Grund dafür sind die kürzeren Tage und längeren Nächte. Darüber hinaus sind vorrückende Truppen an Straßen gebunden und dadurch für Flankenangriffe verwundbar. Ein Schneesturm vermag die eigenen Pläne ernsthaft zu beeinträchtigen, da der Schnee bestimmte Orientierungspunkte in der Landschaft verdecken kann.
Das Fehlen von Laub bedeutet, dass es für vorrückende Truppen viel schwieriger ist, sich in Wäldern unentdeckt zu bewegen. Selbst ein kleiner Verband ist zwischen blattlosen Bäumen aus der Luft leicht erkennbar. In der Kälte entladen sich zudem die Akkumulatoren von Drohnen schneller, was die Luftaufklärung erschwert.
Schließlich erfordern Kampfeinsätze in der kalten Jahreszeit größtmögliche Anstrengungen vonseiten der Versorgungstruppen, die den gesamten Militärverband mit Kleidung und Schuhen versorgen, Winterbetriebsmittel zu den Panzertruppen bringen und einen rechtzeitigen Nachschub an Munition gewährleisten müssen.
Letzteres ist für das ukrainische Militär besonders problematisch. Ihr Panzerbestand ist ein Sammelsurium von Maschinen aus unterschiedlichen Ländern und von unterschiedlichen Herstellern. Jeder Waffentyp erfordert eigene Ersatzteile, Betriebsmittel und Wartungsspezialisten. Einfacher gesprochen, eignen sich die Granaten eines Abrams nicht für einen Challenger 2. Es bleibt auch abzuwarten, wie sich die ausländische Technik in der osteuropäischen Kälte bewähren wird.
"General Frost"
Aus taktischer Sicht ist es im Winter viel günstiger, sich zu verteidigen, als anzugreifen. Ein nach allen Regeln verschanzter Militärverband mit eingerichteten Reservestellungen, Schützengräben, Kaponnieren für Technik und funktionierender Versorgung ist eine gefährliche Kraft. Der Gegner müsste eine solche Stellung unter Maschinengewehr- und Artilleriefeuer frontal angreifen und würde dabei im Schnee stecken bleiben und auf Minen treten. Die Verteidiger könnten sich indessen komfortabel einrichten, was in der kalten Jahreszeit sehr wichtig ist.
Russische Pioniere griffen im Vorfeld des Winters an einigen Frontabschnitten zu kreativen Lösungen. Ein Bagger hebt einen Graben aus, wohin mit einem Kran ein einfacher Schiffscontainer eingesetzt wird. Nach außen werden ein Lüftungs- und ein Ofenrohr ausgeführt. Die ganze Konstruktion wird mit einer dicken Betonplatte zugedeckt und mit Erde zugeschüttet. Von innen wird der Container mit Brettern verkleidet. Damit entsteht ein bequemer, trockener und beschussfester Wohnraum.
"Der größte Freund des Soldaten im Winter ist ein Kanonenofen. Seit September legen wir Brennstoffvorräte an. Wir nutzen Holz, Brennstoffbriketts und Kohle. Oft legen wir Ziegelsteine um den Ofen herum – das gibt zusätzliche Wärme. Im Winter versuchen wir, den Soldaten kalorienreiche Nahrung zu geben, damit sie nicht frieren. So geben wir den Wachposten unbedingt ein Brot mit einem dicken Stück Speck – das hilft bei Kälte sehr", erklärt ein Offizier des 2. Armeekorps mit dem Funknamen Leschy.
"General Frost" ist ein ernsthafter Gegner für jede Armee. Welche Soldaten sich ihm besser widersetzen, wird sich am Abschluss der Winterkampagne herausstellen, die bereits begonnen hat.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
Andrei Koz ist ein Kriegsberichterstatter der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
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