Slavic girl trend: Westliche soziale Netzwerke sind plötzlich ins Russische verliebt
Im November brach in den westlichen sozialen Netzwerken eine Epidemie aus: Zu dem russischen Popsong "My Marmalade" aus den frühen 2000er-Jahren nahmen Top-Blogger und einfache Nutzer virale Videos auf, in denen sie mit russischen Pelzmützen, Pelzmänteln und Accessoires posierten, die für sie Russland ebenso symbolisieren wie roter Kaviar, Lenin-Büsten oder Nachbildungen von Kremltürmen. Hunderttausende solcher Beiträge erschienen auf TikTok unter den Hashtags #SlavicGirl oder #SlavicGirlCore. Es entstand sogar eine neue Art von Make-up, die bereits zu einem neuen TikTok-Schönheitstrend geworden ist – das Slavic Girl Make-up. Die Hauptelemente dieses Make-ups sind puppenhaft lange Wimpern, viel Rouge, das den Effekt von roten Wangen nach frostigem Wetter nachahmt, und üppige Lippen in Nude oder knalligen Tönen.
Der Song "My Marmalade" (Russisch "Moj marmeladnij") der Sängerin Katja Lel, der bereits im Jahr 2004 veröffentlicht wurde und damals die russischen Charts anführte, wurde fast 20 Jahre später plötzlich von den Nutzern in aller Welt – und vor allem im Westen – geliebt. Innerhalb weniger Tage belegte er den dritten Platz in der Viral 50 World Chart auf der Plattform Spotify. In dieser Rangliste sind die Titel aufgeführt, die sich gerade am schnellsten verbreiten. Und dann blieb "My Marmalade" einige Wochen lang in den Top Ten, was ziemlich selten ist, da die Wiedergabeliste jeden Tag aktualisiert wird und es Tausende von Titeln aus der ganzen Welt gibt. Ausländische Nutzer suchten nach diesem Lied, übersetzten den Text und versuchten, ihn auf Russisch zu singen. Videos mit dem Hashtag "my marmalade", mit denen Blogger Videos des Liedes von Katja Lel veröffentlichen, haben auf TikTok mehr als elf Millionen Aufrufe erzielt. Laut den Nutzern überschwemmte das Lied buchstäblich ihre Empfehlungslisten.
"Was genau die ausländischen Zuhörer an diesem Lied so sehr mochten, bleibt ein Rätsel", so die Autoren des russischen Portals Lenta.ru. Der Autor des Songs "My Marmalade" und Produzent Maxim Fadejew hingegen sagt:
"Ausgerechnet heute, wo alles Russische aus dem Verkehr gezogen wird, steigt ein Lied in russischer Sprache in die Weltcharts auf. Offensichtlich ist die Zeit reif dafür. Ich habe immer gesagt, dass dank unserer Kultur eines Tages viele verwirrte Menschen wieder zu Russland blicken werden. Die Menschen wollen nicht, dass die russische Kultur abgeschafft wird, sie lieben sie, wie der Erfolg des Liedes 'My Marmalade' 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung beweist."
Das Moskauer Web-Portal Moskvich.mag betont: Für viele weibliche Nutzer – und vor allem für solche, die nicht aus Russland kommen – wurde der Popsong plötzlich "zu einem antikolonialen Manifest". Das Portal erklärt:
"'Dieser Song erinnert mich daran, dass es für mich jahrelang eine Peinlichkeit war zu sagen, dass ich aus Polen komme', sagt die Bloggerin kinga_ludwin, die eine von Tausenden improvisierten Coverversionen von Katja Lels Song erstellt hat. – 'Einmal hat ein Mann ein Date abgesagt, als er erfuhr, dass ich aus Polen stamme. Und als ich in einem Restaurant in England arbeitete, sagte ein alter Mann: 'Natürlich kommst du aus Polen, weil du so einen Job machst.' Für ein 19-jähriges Mädchen, das von einer Karriere in der Modebranche träumt, ist es schmerzhaft, so etwas zu hören. Viele Leute denken, dass es uns in Polen an Zivilisation mangelt.'''
Aber nicht nur das. Einige Experten, die den plötzlichen Erfolg russischer Popsongs und des slawischen Stils analysieren – und das, nachdem zwei Jahre lang alles Russische im Westen fleißig ausgemerzt wurde –, glauben, dass es sich dabei nicht nur um einen Protest gegen die Russophobie der politischen Eliten handelt, die der Durchschnittsbürger bereits satthat. Ein weiterer Grund für die "slawische Raserei" ist der Protest gegen die aufgezwungene Agenda: All dieser "achtsame" Konsum, die Sparsamkeit, die "grüne" Askese, die Inklusion und die politische Korrektheit. Die Menschen im Westen wollen – wenn auch nur für eine Weile – zu den Zeiten zurückkehren, in denen sie das Leben genießen konnten und sich nicht in das enge Korsett einer von den Vereinigten Staaten auferlegten politischen Agenda zwängen mussten. Der Künstler und Kunstkritiker Andrei Schental meint zum Beispiel im Gespräch mit dem Portal Moskvich.mag:
"Der Kulturtheoretiker Robert Pfaller bezeichnete die Zeit nach dem Jahr 2008 im Westen als eine Zeit der maßlosen Mäßigung. Ein endlos gesunder Lebensstil, keine Drogen, Alkohol, Zigaretten, nur Yoga, Laufbänder, Smoothies. Und die Stimmung von 'My Marmalade', also von dem Übermaß an schnellen Kohlenhydraten, ist wie eine Aufhebung dieser Selbstbeschränkung. Schließlich ist die lyrische Heldin des Songs einerseits eine emanzipierte Frau, die einem Mann ganz offen sagt, was sie am Sex mag. Gleichzeitig ist das ein Aufruf, ein neues Vergnügen zu erleben. 'Genieße es bis zum Ende, auch wenn du es nicht willst!' Bis zum Jahr 2008 war der globale Kapitalismus doch auf einen solchen Imperativ ausgerichtet. Vielleicht fühlt sich dieses Lied deshalb im Westen auch als Sehnsucht nach hemmungslosem Konsum, nach Genuss um jeden Preis, nach Überschuss an Lust an.
Katja Lels süße, kokette Stimme und das ganze Drumherum aus schrillem Luxus und aufreizender Sexualität ermöglichten plötzlich eine Erfahrung, die auf allen Kontinenten verständlich, aber fast vergessen ist. Für einen Moment, wenn auch nur im Scherz, in eine Ära zurückzukehren, in der es noch keinen endlosen ethischen Konsum, keinen Puritanismus gab, in der es möglich war, närrisch zu kokettieren, sich in Pelze zu hüllen und toxisch zu sein."
Der Trend der Liebe zum Russischen wurde nicht nur von Social-Media-Stars, sondern auch von westlichen Prominenten aufgegriffen. So hat die Tochter der Hollywood-Schauspielerin Milla Jovovich, die bekanntlich über russische Wurzeln und eine Kindheit in Kiew verfügt, mit dem Model Ever Gabo Anderson das Lied von Katja Lel nachgesungen. Und zwar auf Russisch. Das löste sofort eine Hasskampagne seitens ukrainischer Nutzer aus. Das ukrainische Portal Obosrewatel schrieb sogar entrüstet:
"Das ist nicht nur ein zufälliges russisches Musikstück, das auf die Bühne gerollt ist, sondern ein Propagandawerkzeug."
Vor zwei Jahren war so etwas allerdings noch kaum vorstellbar. Ja, es gab Fälle von plötzlicher Popularität einiger russischer Kompositionen in westlichen sozialen Netzwerken – aber das war eine völlig andere Welt, und in dieser anderen Welt gab es kein solches Ausmaß an Russophobie wie heute. Jetzt aber sorgt der "slawische Trend" für echte Überraschung. Und er zeugt auch davon, dass die westliche Welt der US-Diktatur in allen Bereichen, von der Wirtschaft bis zur Kultur, überdrüssig geworden ist. Deshalb erobert der russische Stil nach der Musik auch die Modewelt – er ist wieder relevant, so wie er es im zwanzigsten Jahrhundert war, sagen Experten. Wie die Zeitung Iswestija schreibt, wird dieser Stil mit dem Winter, mit Kälte und Schnee assoziiert. Ewgenija Legkodimowa, Gründerin und Kreativdirektorin der Marke Laroom, erklärt dies mit dem Wechsel der führenden Persönlichkeiten, die die Trends diktieren. Früher, so meint sie, wurde der Ton von den USA vorgegeben, von wo aus die Mode für Sweatshirts, voluminöse Jacken und Turnschuhe in Kombination mit fast allen Kleidungsstücken zu uns kam. Jetzt weht der Wind aus dem Osten. Sie stellt fest: Der politische Trend hat sich geändert, was bedeutet, dass sich auch der Modetrend ändern wird.
Russland zu lieben kommt also langsam wieder in Mode. Trotz Sanktionen und Bemühungen um eine Diffamierung.
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