Strategische Überlegungen und Schlussfolgerungen aus Moskau
Von Alastair Crooke
Die Beziehungen zwischen den USA und Russland haben ihren Tiefpunkt erreicht und genauer betrachtet, ist es noch schlimmer als gedacht. Im Gespräch mit hochrangigen russischen Staatsbeamten wird deutlich, dass die USA Russland klar als Feind definieren. Um eine Vorstellung davon zu geben, wie die Stimmung zwischen den beiden Staaten derzeit ist: Es ist so, als würde ein hochrangiger russischer Diplomat die USA fragen: "Was wollen Sie von uns?" Die Antwort der USA könnte dann lauten: "Wir wünschen uns, Ihr würdet sterben."
Die der Sache innewohnenden Spannungen und der Mangel an echtem Austausch sind schlimmer als während des Kalten Krieges, als die Kommunikationskanäle immerhin offen blieben. Die aktuelle Situation wird durch den Mangel an politischem Mut unter den politischen Führern Europas verschärft, mit denen eine fundierte Diskussion nicht möglich ist.
Russische Staatsbeamte sind sich der Risiken dieser Situation bewusst. Sie wissen jedoch nicht, wie sie dem begegnen können. Auch der Tenor des Diskurses hat sich von offener Feindseligkeit hin zu Kleinlichkeiten verschoben: Die USA können beispielsweise Handwerker daran hindern, die russische Mission bei den Vereinten Nationen zu betreten, um zerbrochene Fensterscheiben zu reparieren. Moskau hat dann – wenn auch widerstrebend – keine andere Wahl, als ähnlich kleinlich zu reagieren. Und so gerät die gesamte diplomatische Beziehung ins Wanken.
Es wird allgemein anerkannt, dass der bewusst schmähende Informationskrieg gegen Russland vollständig von den westlichen Massenmedien dominiert wird – was die Atmosphäre zusätzlich verdirbt. Und obwohl westliche alternative Medien existieren und an Umfang und Bedeutung gewinnen, ist es nicht einfach, diese als Sprachrohre zu nutzen, denn sie sind zwar vielfältig, aber eben auch individualistisch. Die Bezeichnung "Putin-Apologet" bleibt für jeden alternativen Nachrichtenanbieter toxisch und kann die Glaubwürdigkeit seiner Plattform auf einen Schlag zerstören.
In Russland geht man davon aus, dass der Westen derzeit in einer "falschen Normalität" existiert – in einer Zwischenwelt innerhalb seines eigenen Kulturkrieges. Die Russen erkennen jedoch einige offensichtliche Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen mit radikaler ziviler Polarisierung – als die sowjetische Nomenklatura Konformität mit der Parteilinie einforderte oder andernfalls mit Sanktionen drohte.
Moskau ist offen für den Dialog mit dem Westen, doch die vorhandenen Gesprächspartner vertreten bisher nur sich selbst und haben kein offizielles Mandat. Diese Erfahrung legt die Schlussfolgerung nahe, dass es wenig Sinn macht, mit dem Kopf gegen die Mauer einer ideologisch motivierten westlichen Führung zu rennen – russische Werte sind für den westlichen, ideologisch getriebenen Rammbock wie ein rotes Tuch für den Stier. Allerdings ist unklar, wann es soweit ist, dass etwas in Bewegung kommt und ob ein bevollmächtigter Gesprächspartner – der in der Lage ist, verlässliche Zusagen zu machen und Vereinbarungen zu treffen – in Washington anwesend sein wird, um den Anruf aus Moskau entgegenzunehmen.
Dennoch bergen die projizierten Feindseligkeiten des Westens gegenüber Russland sowohl positive Aspekte als auch große Risiken, wie beim Fehlen von Verträgen und Vereinbarungen über die Rüstungskontrolle. Die Gesprächspartner in Moskau betonten, dass die Verachtung des Westens gegenüber den Russen – gepaart mit einer expliziten Feindseligkeit – es Russland schließlich ermöglicht hat, die Europäisierung Russlands durch Peter den Großen zu überwinden. Diese Episode in der Geschichte Russlands wird heute als Ablenkung vom wahren Schicksal Russlands betrachtet – obwohl dies im Kontext des Aufstiegs der europäischen Staatenwelt nach dem Westfälischen Frieden betrachtet werden muss.
Die Feindseligkeit der Europäer gegenüber dem russischen Volk – nicht nur gegenüber seiner Regierung – hat Russland dazu gebracht, wieder "es selbst zu sein", was sich als für das Land von großem Nutzen entpuppt hat. Nichtsdestotrotz führt dies zu einer gewissen Spannung: Es ist offensichtlich, dass westliche Hardliner stets die russische Politszene abtasten werden, um einen geeigneten Ansprechpartner innerhalb des Staatsapparats ausfindig zu machen, der für ihre Moralvorstellungen empfänglich ist, um damit in die russische Gesellschaft einzudringen und sie zu fragmentieren.
Zwangsläufig löst die explizite westliche kulturelle Bindung bei der "patriotischen Strömung" des russischen Mainstreams eine gewisse Vorsicht aus. Die Russen – hauptsächlich jene in Moskau und Sankt Petersburg –, die sich der europäischen Kultur zuwenden, verspüren durchaus Spannungen. Sie sind weder Fisch noch Fleisch: Russland bewegt sich auf eine neue Identität und eine eigene Weise des Seins zu und lässt die Europäer dabei zusehen, wie ihre Symbole und Idole in Russland nach und nach an Bedeutung verlieren. Im Allgemeinen wird dieser Wandel als unvermeidlich angesehen, als eine echte russische Wiedergeburt und eine Rückkehr zum Gefühl des Selbstvertrauens.
Die Wiederbelebung der Religion, so wurde uns gesagt, entzündete sich praktisch von selbst, als die Kirchen nach dem Ende des Kommunismus wieder geöffnet und seither viele neue Kirchen gebaut wurden. Ungefähr 75 Prozent der Russen geben heute an, orthodoxen Glaubens zu sein. In gewisser Weise hat die orthodoxe Wiedergeburt einen Hauch des Endzeitlichen – zum Teil hervorgerufen durch das, was einer meiner Gesprächspartner als antagonistisches "Endzeitliches zur regelbasierten Ordnung" bezeichnete. Bemerkenswerterweise trauerten nur wenige meiner Gesprächspartner um die säkularen russischen Liberalen, die Russland seit Februar 2022 verlassen haben. Man empfindet es als eine willkommene Befreiung – obwohl nicht wenige mittlerweile zurückgekommen sind. Hier manifestiert sich das Element der Befreiung der russischen Gesellschaft von seiner Verwestlichung der früheren Jahrhunderte – obwohl eine gewisse Zwiespältigkeit unvermeidlich bleibt: Die europäische Kultur – zumindest in Bezug auf Philosophie und Kunst – war und ist ein fester Bestandteil des russischen intellektuellen Lebens. Und wird es auch bleiben.
Die politischen Gefilde
Es ist nicht einfach, den Zusammenhang zu vermitteln zwischen dem absoluten russischen Sieg in der Ukraine und der Vorstellung einer sich abzeichnenden Wiederbelebung von Russlands neuem Selbstgefühl. Ein Sieg in der Ukraine wurde irgendwie in das metaphysische Schicksal des Landes integriert – als etwas Gesichertes und sich Entfaltendes. Die russische Militärführung schweigt verständlicherweise über das wahrscheinliche strukturelle und institutionelle Ergebnis. Die Debatte in den Talkshows im Fernsehen konzentriert sich jedoch mehr auf die Fehden und Spaltungen, die Kiew erschüttern, als auf Einzelheiten des Geschehens auf dem Schlachtfeld, so wie bisher.
Es ist offensichtlich, dass die NATO in der Ukraine eine umfassende Niederlage erlitten hat. Das Ausmaß und die Schwere des Scheiterns der westlichen Militärallianz waren für Russland vielleicht eine Überraschung. Sie wird aber in gewisser Weise als Beweis für die russische Anpassungsfähigkeit und die technologische Innovation bei der Integration aller Waffensysteme betrachtet. Absoluter Sieg kann so verstanden werden, dass Moskau auf keinen Fall zulassen wird, dass die Ukraine erneut zu einer Bedrohung für die russische nationale Sicherheit wird.
Russische Staatsbeamte und Diplomaten gehen davon aus, dass die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten miteinander verknüpft sind, um damit den Westen in getrennte, umstrittene Sphären segmentieren zu können – wobei der Westen auf Zersplitterung und mögliche Instabilität zusteuert. Die USA stehen vor Rückschlägen und Herausforderungen, die den Verlust der Abschreckung noch deutlicher offenbaren werden – was die Angst der USA um ihre eigene nationale Sicherheit weiter verschärfen wird.
Moskau ist sich dessen bewusst, wie sehr sich aufgrund der radikalen Regierung, die nach den vergangenen Wahlen in Israel eingesetzt wurde, der politische Zeitgeist in Israel verändert hat. Und man hat auch erkannt, dass dadurch die politischen Initiativen westlicher Staaten eingeschränkt werden. Man beobachtet auch aufmerksam die Pläne Israels in Bezug auf den Südlibanon. Russland spricht sich mit anderen Staaten ab, um das Abgleiten in einen umfassenden Krieg zu verhindern. Berichten zufolge konzentrierte sich der kürzlich stattgefundene Besuch des iranischen Präsidenten Raisi in Moskau auf das umfassende strategische Abkommen, über das derzeit verhandelt wird. Angeblich soll das Treffen auch die Unterzeichnung einer Vereinbarung beinhaltet haben – zur gemeinsamen Bekämpfung der gegen beide Staaten verhängten westlichen Sanktionen.
Im Hinblick auf die entstehende globale Ordnung übernimmt Moskau im Januar 2024 die Präsidentschaft der BRICS. Dies ist sowohl eine große Chance, die multipolare Welt der BRICS in einer Zeit des breiten geopolitischen Konsenses im Globalen Süden zu etablieren, als auch eine Herausforderung. Moskau erkennt die Chance, die seine Präsidentschaft bietet, ist sich jedoch auch dessen bewusst, dass die BRICS-Staaten alles andere als homogen sind. Was die Kriege Israels betrifft, so verfügt Russland sowohl über eine einflussreiche jüdische Lobby, als auch über eine russische Diaspora in Israel, die dem Präsidenten bestimmte verfassungsmäßige Pflichten auferlegen könnte. Russland wird im israelisch-palästinensischen Konflikt wahrscheinlich umsichtig vorgehen, um den Zusammenhalt der BRICS-Staaten nicht zu gefährden, während einige wichtige Formen wirtschaftlicher und finanzieller Innovationen aus der russischen BRICS-Präsidentschaft hervorgehen werden.
Und was das "Problem" Russlands mit der EU betrifft – im Gegensatz zum sogenannten "Problem" der EU mit Russland –, so haben die EU und die NATO nach dem Maidan die ukrainische Armee zur größten und am besten durch die NATO ausgerüsteten Armee in Europa aufgebaut. Nachdem Boris Johnson und US-Außenminister Tony Blinken gegen die ukrainisch-russische Einigung vom März 2022 ihr Veto eingelegt hatten – und sich die Unausweichlichkeit eines längeren und intensiveren Krieges abzeichnete –, mobilisierte Russland zusätzliche Streitkräfte und legte seine eigenen logistischen Lieferketten an. Die Staats- und Regierungschefs der EU schließen nun den Kreis, indem sie die militärische Expansion Russlands – selbst eine Reaktion auf die intensive Präsenz der NATO in der Ukraine – als Beweis für einen russischen Plan zur Invasion des europäischen Festlandes betrachten. In einer scheinbar koordinierten Anstrengung sind die westlichen Mainstream-Medien auf der Suche nach allem, was auch nur annähernd einem Beweis für Russlands mutmaßliche "Absichten" gegen Europa ähneln könnte.
Dieses Gespenst des russischen Imperialismus wird gesponnen, um der europäischen Bevölkerung Angst einzuflößen und zu argumentieren, dass Europa Ressourcen abzweigen muss, um seine Logistik auf einen bevorstehenden Krieg mit Russland vorzubereiten. Dies stellt eine weitere Wendung im Teufelskreis eines drohenden Krieges dar, der sich negativ auf Europa auswirken wird. Für Europa gab es kein russisches "Problem", bis die US-Neokonservativen die Gelegenheit nutzten, die der Maidan bot, um zu versuchen, Russland zu schwächen.
Dieser Text erschien in englischer Sprache bei Strategic Culture Foundation.
Alastair Crooke ist ein ehemaliger britischer Diplomat, Gründer und Direktor des in Beirut ansässigen Conflicts Forum.
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