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Selenskij verliert die Kontrolle – der Ukraine steht eine schwierige Wahl bevor

Große Teile der ukrainischen Gesellschaft, alte und neue Eliten, sind mit Selenskijs Versuch, die Macht in seinen Händen zu bündeln und mit seiner Unfähigkeit, das Land aus der Krise zu führen, unzufrieden. Es werden Gespräche über einen "dritten Maidan" geführt.
Selenskij verliert die Kontrolle – der Ukraine steht eine schwierige Wahl bevorQuelle: AFP © Pressedienst des ukrainischen Präsidialamts

Von Michail Katkow

Die zweite Front

Noch im Herbst 2021 hat sich in der Ukraine eine breite Oppositionskoalition gebildet. Sogar eine Verschwörung wurde vermutet, wobei in erster Linie der Oligarch Rinat Achmetow beschuldigt wurde. Damals betrugen dessen Zustimmungswerte 17,4 Prozent, die des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko 15,5 Prozent. Den beiden hätte sich Vitali Klitschko, Vorsitzender der Assoziation der Städte der Ukraine und der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, anschließen können. Vor diesem Hintergrund äußerten einige Experten Zweifel, dass Selenskij wiedergewählt wird, einige schlossen vorgezogene Wahlen nicht aus.

Während der russischen Militäroperation schoss die Popularität von Selenskij, der zum Symbol des ukrainischen Widerstands wurde, in die Höhe. Seine Gegner nahmen eine Erwartungsstellung ein, doch inzwischen schreiten sie zur Tat.

In erster Linie ist dies ein Ergebnis des Scheiterns der Gegenoffensive, die Selenskijs Team weltweit über ein halbes Jahr beworben hatte. Selenskijs Zustimmungswerte sanken von 80 bis 90 Prozent auf knapp über 30 Prozent. Wohl wissend, dass es später schlimmer kommen kann, versuchte er, die planmäßigen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 zu organisieren, um die Reste seiner Popularität in Legitimität zu konvertieren. Vertreter des Präsidialamts und der Regierungspartei "Diener des Volkes" tasteten den Boden dazu mehrmals über lokale Medien ab. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Opposition der Herausforderung nicht nur gewachsen ist, sondern auch einen eigenen Kandidaten hat, nämlich den Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs Saluschny.

Selenskij revidierte eilig seine Strategie und behauptete, dass jetzt "kein richtiger Zeitpunkt für Wahlen" sei. Doch es war zu spät. Seine Opponenten traten öffentlich gegen die totale Mobilmachung, die ausufernde Korruption und den offensichtlichen Autoritarismus ein. Im Präsidialamt sprach man vom Versuch eines Staatsstreichs, den Russland zweifellos ausnutzen würde. Dennoch beharren die Anführer der Opposition auf ihren Argumenten.

Wer ist wer

Es bildete sich folgende Koalition: Poroschenko und seine Partei "Europäische Solidarität", Klitschko, die Oligarchen Igor Kolomoiski, der im Gefängnis sitzt, und Tomasz Fiala, Bürgermeister von großen Städten wie Charkow, Odessa, Dnjepropetrowsk und Lwow. Dazu kamen diverse nichtkommerzielle Organisationen, die die Korruption bekämpfen, denn im Westen werden Vorwürfe an Selenskij, finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe zu veruntreuen, immer lauter. Darüber hinaus wächst der Unmut bei den Militärs, die von vornherein unausführbare, selbstmörderische Befehle erhalten.

Selenskijs Lage wird dadurch erleichtert, dass seine Gegner bisher ihre Aktionen schlecht koordinieren. Auch Saluschny schweigt sich vorerst über politische Ambitionen aus, obwohl nach Angaben der Agentur "Rating" seine theoretische Partei bei den Parlamentswahlen 36 Prozent der Stimmen erhalten würde. Selenskijs Partei würde indessen nur 26,7 Prozent der Stimmen erhalten. Dabei vertrauen dem General persönlich 82 Prozent der Befragten.

Selenskij brachte auch zahlreiche westliche Medien gegen sich auf. Denn de facto erpresste er die "Partner" damit, dass sie im Falle des Ausbleibens von Dutzenden Milliarden für Waffen selbst gegen Russland kämpfen werden müssen. Nach dem Scheitern der Gegenoffensive fragen sich US-amerikanische und europäische Zeitungen: wozu wurde das Geld der Steuerzahler ausgegeben und lohnt es sich, das Kiewer Regime im bisherigen Umfang weiter zu unterstützen?

Indessen steht der Westen Poroschenko und Klitschko durchaus loyal gegenüber. Selenskij wird es schwerfallen, die beiden ins Gefängnis zu sperren, obwohl er dazu Anlass genug hätte. So fungiert der Ex-Präsident im Verfahren gegen Wiktor Medwedtschuk wegen des Verkaufs von Kohle aus den Donbassrepubliken. Klitschko wird der schlechte Zustand der Kiewer Luftschutzbunker vorgeworfen, von denen viele ganz geschlossen sind.

Zwischen Hammer und Amboss

"Das für Selenskij gefährlichste Kraftzentrum bildet sich um Saluschny herum. Im Falle von Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen wird er zum Hauptwettbewerber werden. Noch im Jahr 2022 begannen einige Geschäftsleute und Politiker, ein Team um ihn herum zu bilden", erklärt Denis Denissow, Experte der Finanzuniversität bei der Regierung Russlands, im Gespräch mit RIA Nowosti.

Auch das neonazistische Asow-Bataillon sei nicht zu vergessen, fügt der Experte hinzu. Sie haben ein ausgedehntes Netz von Zellen im ganzen Land sowie eine eigene Partei, "Nationaler Korps". Denissow warnt: "Es ist eine effektive und straffe Struktur, die Radikale, die mit dem Verlauf der Kampfhandlungen unzufrieden sind, um sich vereinigen kann."

Heute bereiten Selenskij die westliche Unterstützung und die Lage an der Front mehr Sorgen als die politische Krise, fügt er hinzu. Doch sollte Saluschny politische Ambitionen verkünden, werde der Konflikt schnell eskalieren, bis zu einer offenen Konfrontation und vorgezogenen Wahlen, wobei dies noch ein gemäßigtes Szenario wäre. Es sei auch nicht auszuschließen, dass das Präsidialamt Wahlen ablehnt und damit den Weg für einen Staatsstreich ebnet.

Nach Angaben des Kiewer internationalen Instituts für Soziologie (KMIS), nahm Selenskijs Anti-Rating zwischen Dezember 2022 und Dezember 2023 von fünf auf 18 Prozent zu. Sollte er sein Spiel fortsetzen, werde er auch 50 Prozent erreichen und die Macht mit Sicherheit verlieren, sagt der ukrainische Politologe Ruslan Bortnik. Bemerkenswerterweise stieg die Misstrauensquote gegenüber der Werchowna Rada in der gleichen Periode von 34 auf 61 Prozent. Das heißt, dass das Parlament inzwischen nicht als Stütze, sondern als Belastung des Regimes auftritt.

Der Leiter des Fonds "Ukraine" Konstantin Bondarenko meint, dass eines der Hauptprobleme der Opposition darin bestehe, dass Selenskij durch niemanden ersetzt werden könne. Selbst Saluschny werde nicht über genug Legitimität verfügen, falls er zu einem Interimspräsidenten und nicht zu einem rechtmäßig gewählten Staatsoberhaupt werden sollte. Insbesondere könnte der Westen in diesem Fall seine Finanzierung einstellen, ohne die das Kiewer Regime nicht überleben würde.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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