Nicht wie der Rest: Der große US-amerikanische Mythos ist tot
Von Pjotr Akopow
Es läuft ein Wahljahr, in dem die Mehrheit der Menschheit tatsächlich wählen geht. Und dieses Wahljahr entlarvt einen der großen liberalen Mythen. Jeder kennt ihn: "Demokratie gibt es nur dort, wo es direkte und allgemeine Wahlen gibt, denn das führt zu einem Wechsel der Machthaber und verhindert die Bildung von vererbbaren Eliten". Dieser Mythos ist europäischen Ursprungs und erlebte seine Blütezeit nach der Gründung der Vereinigten Staaten und der Großen Französischen Revolution, doch seine größte Stunde schlug nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich die Zahl der unabhängigen Staaten innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfachte. Wie steht es nun um die Vererbung von Macht? Nicht in Monarchien, die es in 29 der 200 Staaten der Welt gibt, sondern in Ländern, die ihre Regierungs- und Staatschefs wählen?
Verteidigungsminister Prabowo Subianto hat am Mittwoch die Wahlen in Indonesien gewonnen und wird im Herbst die Nachfolge des zweimaligen Präsidenten Joko Widodo antreten. In Indonesien gibt es keine dritte Amtszeit, doch der Ex-General wird den Sohn des scheidenden Präsidenten Gibran Rakabuming Raka als Vizepräsidenten haben. In fünf oder zehn Jahren wird er für das Präsidentenamt kandidieren können, sodass sich eine Widodo-Dynastie bilden könnte. Und das wird in Indonesien einzigartig ein – im Gegenteil, es ist ganz logisch. Denn der neue Präsident Subianto ist der Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Haji Mohamed Suharto, der das Land fast ein Dritteljahrhundert lang, bis 1998, regierte. Und die Tochter von Suhartos Vorgänger, dem Gründer des unabhängigen Indonesiens Achmed Sukarno, Megawati Sukarnoputri, war vor zwanzig Jahren Präsidentin des Landes. Eine Dynastie löst also eine andere ab – und das in der nach westlichen Maßstäben drittgrößten Demokratie der Welt (nach Indien und den Vereinigten Staaten)? Man könnte sagen, dass dies vielleicht eine muslimische Besonderheit ist.
Schauen wir uns Indonesiens Nachbarland an – nein, nicht die absolute Monarchie Brunei oder das konstitutionelle Königreich Malaysia, sondern das in Bezug auf Gesetzgebung und Image sehr prowestliche Singapur. Seit seiner Unabhängigkeit 1959 bestimmt dort die Lee-Dynastie alles: Erst war Lee Kuan Yew 30 Jahre lang Premierminister, dann hielt er als Senior-Minister die Fäden in der Hand, und vor zwanzig Jahren wurde sein Sohn Lee Hsien Loong Premierminister. Er hat zwar versprochen, sein Amt bald an einen Nachfolger (nicht an einen Verwandten) zu übergeben, wird aber die Dinge bestimmt weiterhin im Auge behalten.
Und dann gibt es da noch ein weiteres Land in der Region – Kambodscha. Es scheint dort eine Monarchie zu geben, aber das Amt des Premierministers ist seit vier Jahrzehnten in den Händen der Familie Hun. Der ehemalige Kommunist Hun Sen, der eins den König zurückbrachte, übergab die Macht vor sechs Monaten an seinen Sohn Hun Manith. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Vater erst 72 Jahre alt ist und den Königlichen Rat leitet, ist klar, in wessen Händen die wahre Macht liegt.
Kambodschas Nachbarland Thailand ist ebenfalls eine Monarchie, allerdings gibt es dort mehr als nur die Dynastie von König Rama. An diesem Wochenende wird Thaksin Shinawatra, der ehemalige Premierminister, der nach 15 Jahren im Exil freiwillig ins Gefängnis zurückkehrte, aus dem Gefängnis entlassen. Er wird vorzeitig entlassen, weil die Partei, die seine Tochter Paetongtarn anführt, jetzt an der Macht ist. Außerdem war seine jüngere Schwester Yingluck von 2011 bis 2014 Premierministerin.
Haben Sie genug von Südostasien? In Südasien ist es nicht anders: In Indien regierte die Nehru-Gandhi-Dynastie bis Anfang der 90er-Jahre (mit einer sehr kurzen Unterbrechung); in Sri Lanka wurde der ermordete Premierminister Solomon Bandaranaike zunächst von seiner Frau und dann von seiner Tochter abgelöst. In Pakistan erhebt die dritte Generation der Bhutto-Dynastie Anspruch auf die oberste Macht, und der Clan der Sharif-Brüder macht ihr Konkurrenz. In Bangladesch ist die gesamte Geschichte der Unabhängigkeit des Landes ein Kampf zwischen den Rahman-Familien, die nicht verwandt, sondern verfeindet sind. Das Land wird heute von Scheich Hasina Wajed, der Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman, regiert, und ihre Hauptrivalin ist die ehemalige Premierministerin Khaleda Zia, die Witwe des ehemaligen Präsidenten Ziaur Rahman.
Ja, in Südasien bezahlen Dynastien für ihre Macht oft mit eigenem Blut: Zwei der drei Nehru-Gandhis wurden ermordet, Bhutto wurde hingerichtet und seine Tochter ermordet, und beide Rahmans wurden erschossen. Aber weder die Dynastien selbst noch die Wähler ändern ihre Präferenzen – vorerst, versteht sich. In Pakistan ist die Popularität beider Dynastien so weit gesunken, dass sie sich zusammentun mussten, um den Emporkömmling Imran Khan von der Macht zu entfernen und ins Gefängnis zu stecken, aber selbst das hat ihnen nicht geholfen, die jüngsten Wahlen zu gewinnen. In Indien wurde der Nehru-Gandhi-Clan, obwohl er die Partei Indischer Nationalkongress (INC) kontrolliert, vor einem Jahrzehnt von Narendra Modis Nationalisten von der Macht verdrängt und hat keine Chance, bei den nächsten Wahlen an die Macht zurückzukehren.
Aber Asien ist vielfältig. Es gibt nicht-muslimische und nicht-buddhistische Länder, nicht wahr? Natürlich gibt es sie – die Philippinen zum Beispiel. Ferdinand Marcos Jr. ist dort der aktuelle Machtinhaber. Der Senior herrschte zwischen den 1960er- und 80er-Jahren, dann wurde er gestürzt. Die Marcos sind jedoch nicht die erste Dynastie – seit den frühen 60er-Jahren hatten Mitglieder der Familien Macapagal und Aquino jeweils zweimal das Amt des Präsidenten der Philippinen inne.
Das sind alles nicht tragfähige Demokratien? Aber fast überall gibt es konkurrenzbetonte Wahlen... Was ist denn mit den asiatischen Ländern, die als Maßstab gelten können – Japan zum Beispiel? Ja, dort gibt es eine Monarchie, aber es ist eine dekorative Monarchie, und der wahre Herrscher ist der Premierminister. Die Tatsache, dass der derzeitige Kabinettschef Fumio Kishida den ehemaligen Premierminister Kiichi Miyazawa zu seinen entfernten Verwandten zählt, kann hier außer Acht gelassen werden, denn der berühmteste und am längsten amtierende japanische Premierminister, Shinzō Abe (der vorletztes Jahr ermordet wurde), hatte mehrere Vorgänger, die mit ihm verwand waren: Sein Großvater mütterlicherseits und sein Großonkel waren ebenfalls als Premierminister tätig. Sein Vater, der das Außenministerium leitete, zählen wir mal nicht mit. Natürlich ist Japan kein Nordkorea, das seit acht Jahrzehnten von der Kim-Dynastie regiert wird, aber das kommunistische Korea gibt auch nicht vor, eine Wahldemokratie nach westlichem Vorbild zu sein.
Lassen wir Afrika außen vor – dort gibt es natürlich viele Fälle, in denen sowohl die direkte Nachfolge des Vaters durch den Sohn (auch bei Wahlen) als auch der Sieg von Erben bei fairen Wahlen Jahre nach dem Tod des Vaters, der Präsident war, zu verzeichnen sind. In der arabischen Welt gibt es viele absolute Monarchien, aber selbst dort, wo sie abgeschafft wurden, gibt es eine Nostalgie für die Nachfolge. Selbst wenn das Land mit dem Tod des Staatschefs aufgehört hat zu existieren, wie in Libyen. Seit der Ermordung Muammar Gaddafis im Jahr 2011 konnte das zerrissene und vom Bürgerkrieg gebeutelte Land keine allgemeinen Präsidentschaftswahlen abhalten. Aber wenn sie endlich stattfinden, wird der klare Favorit Muammars Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi sein.
Liegt Südamerika außerhalb des Mainstreams? Dort gab es doch nur im 19. Jahrhundert Präsidentendynastien, und auch dann nicht überall, oder? Ja, die Macht konzentriert sich dort traditionell im Kreis von einigen hundert Elitefamilien (oder regionalen Eliten, wie in Brasilien), aber es gibt auch heute noch genügend Länder mit dynastischen und familiären Traditionen. Und es sind nicht nur kleine mittelamerikanische oder karibische Länder – in Argentinien regierten ganze Ehepaare (zuerst Perón und dann Kirchner), die Tochter des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori war mehr als einmal nur einen Schritt vom Wahlsieg entfernt, die Kolumbianer haben die Präsidentschaft wiederholt der Familie Santos anvertraut.
Bleibt nur noch Europa, und das ist wirklich nicht wie der Globale Süden. Allerdings gibt es in der Alten Welt elf Monarchien, und Geld und Macht sind in den Händen der alten Eliten konzentriert. Deshalb können und sollten die obersten Amtsträger auch von außerhalb des Kreises dieser Eliten gewählt werden. Noch weniger akzeptabel ist es, wenn angeheuerte Manager die Macht von Generation zu Generation weitergeben. Auch wenn es in Europa Ausnahmen gibt – in Griechenland finden sich die Mitglieder der Familien Papandreou und Karamanlis regelmäßig auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten wieder.
Die Idee, Monarchien im Interesse des Fortschritts, des Glücks und der Befreiung der Völker zu bekämpfen, hatte auf der Insel zwar maximale Unterstützung gefunden, aber Großbritannien selbst bleibt eine Klassenmonarchie, die nicht nur die Krone, sondern auch die Aristokratie bewahrt hat. Gleichzeitig werden dort seit langem konkurrenzbetonte Wahlen abgehalten, bei denen es recht turbulent zugeht – die Premierminister sind mal klug, mal weniger klug, doch jeder von ihnen kennt seinen Platz. Das alte Geld und die alten Familien bestimmen die Strategie, und die Premierminister müssen die Erwartungen und Enttäuschungen der Menschen "managen". Der Mechanismus ist in den großen Commonwealth-Ländern ähnlich (wenn auch einfacher). Allerdings hat Kanada bereits seinen zweiten Premierminister aus der Familie Trudeau innerhalb eines halben Jahrhunderts.
Eine besondere Version des angelsächsischen Machtmodells gab es in den Vereinigten Staaten, doch dort gelang es, die öffentliche Macht in eine Erbherrschaft zu verwandeln. Oder besser gesagt, es wurde versucht, sie umzuwandeln: Wenn alles nach Plan verlaufen wäre, wäre Hillary Clinton jetzt an der Macht. Oder Jeb Bush. Aber alles wurde 2016 durch den Emporkömmling Donald Trump zunichtegemacht, und seither ist das US-amerikanische System der eliteninternen Auswahl von Kandidaten für das höchste Amt ins Wanken geraten. Diejenigen, die durch den Lauf der Zeit auf die Liste der Nominierten kamen, werden von den Eliten nicht gemocht oder sogar gefürchtet (Donald Trump, Bernie Sanders, Rand Paul), und ihre eigenen Kinder und Ehefrauen schaffen es nicht, diese Leute zu übertreffen. In diesem Sinne wäre die Nominierung von Michelle Obama eine wunderbare Veranschaulichung der Sackgasse, in der sich das politische System der USA befindet: wenn das eigene Blut scheinbar die letzte Chance für die Rettung, für die Rückkehr der Stabilität, für die Bewahrung der Ordnung im Sinne des Establishments ist.
Das Problem mit den Vereinigten Staaten ist jedoch, dass die USA im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen die Machtübertragung entlang von Verwandtschaftslinien tatsächlich dem Land oder zumindest der Elite zugutekommt, für sich in Anspruch nehmen, den Rest der Welt auf der Grundlage einer "regelbasierten Ordnung" zu regieren. Und eine der wichtigsten US-amerikanischen "Regeln" war die vorgebliche Verurteilung des Familialismus an der Macht, also das, worauf sich der "Washingtoner Sumpf" heute selbst stützt.
Übersetzt aus dem Russischen. Die Erstveröffentlichung erfolgte am 15. Februar 2024 bei RIA Nowosti.
Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.
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