Ukrainische Korruption beschleunigt den Rückzug
Von Andrei Restschikow
Nach der Befreiung Awdejewkas bauen Russlands Streitkräfte ihren Erfolg in der Volksrepublik Donezk weiter aus. In der laufenden Woche rückten sie in direkte Nähe der Dörfer Archangelskoje und Nowoalexandrowka vor. Etwa zehn Kilometer von hier liegt die wichtige Kreuzung der Straße T-0504 zwischen Krasnoarmeisk (Pokrowsk) und Konstantinowka, die nur noch 36 Kilometer von der Stadt Kramatorsk entfernt ist.
Während des vergangenen Tages wurden an diesem Abschnitt etwa viereinhalb Quadratkilometer befreit, was die Front nordwestlich von Otscheretino begradigte und die Positionen des Truppenverbands Zentrum verbesserte. Das ukrainische Militär musste Reserven in den Kampf schicken. Die Befreiung eines Teils von Otscheretino könnte zu einem Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigungslinie westlich von Awdejewka führen.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums setzen Russlands Truppen den Sturm von Archangelskoje nordöstlich von Otscheretino fort. Die Offensive verläuft aus mehreren Richtungen – von Südwesten, aus dem eigentlichen Gebiet von Otscheretino, sowie aus Südosten, aus den Orten Keramik und Nowokalinowo. Nordwestlich von Otscheretino rücken Russlands Verbände in Richtung Nowoalexandrowka vor. Die Befreiung dieser Siedlung könnte den Vormarsch nach Westen aus Otscheretino entlang der Eisenbahnlinie erleichtern.
Wie Verteidigungsminister Sergei Schoigu in der vergangenen Woche erklärte, haben Russlands Streitkräfte entlang der gesamten Frontlinie die Initiative ergriffen und vertreiben das ukrainische Militär aus dessen Verteidigungsstellungen. Schoigu zufolge wird Russland seine Angriffe auf das gegnerische Hinterland intensivieren. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Alexander Syrski bezeichnete die Orte Iwanowskoje und Tschassow Jar als die größten Brennpunkte. Nicht minder kritisch sei die Lage für das ukrainische Militär an den Abschnitten Krasnoarmeisk und Kurachowo.
Dass es der ukrainischen Armee diesbezüglich an Verteidigungsanlagen mangelt, berichtet AP News unter Verweis auf Militärs und Leiter von Bauunternehmen. Wie der Kommandeur eines Verbands mitteilte, müsse die Ukraine das Bautempo von Verteidigungsanlagen steigern, damit sich die Armee beim Rückzug auf ausgebaute Stellungen zurückziehen könne. Der Munitionsmangel des ukrainischen Militärs zwinge die Soldaten trotz zahlenmäßiger Überlegenheit, im Donbass "ein Dorf nach dem anderen zu verlassen".
Im laufenden Jahr bewilligte die Ukraine knapp 38 Milliarden Griwna (umgerechnet rund 960 Millionen US-Dollar) für den Bau eines ausgedehnten Netzwerks von Befestigungen. Zu Beginn des Frühlings kündigte Wladimir Selenskij den Bau von Befestigungen von 2.000 Kilometer Länge in drei Linien an. Dennoch sagen ukrainische Militärs, dass die Befestigungen noch im letzten Jahr während der "Gegenoffensive" und nicht erst jetzt hätten gebaut werden sollten.
Nun klagen die Frontkämpfer, dass sie nicht nur Krieg führen, sondern auch Schützengräben ausheben müssen – der Mangel an Ingenieurstruppen, die nach der Unabhängigkeit der Ukraine teilweise aufgelöst wurden, wirkt sich aus. In den postsowjetischen Jahren wurden Bagger und Pflüge, die mittlerweile vom Militär dringend benötigt werden, aktiv ausverkauft.
Dabei beobachten russische Drohnen die Bautätigkeit des ukrainischen Militärs bis zur dritten Verteidigungslinie und zerstören regelmäßig die Bautechnik. Somit verhindern das Fehlen von Verteidigungslinien und Angriffe der russischen Streitkräfte den Bau von Verteidigungsanlagen an der zweiten und dritten Linie. Dies begünstigt nach westlicher Ansicht die militärischen Erfolge der russischen Streitkräfte.
"Es wäre falsch zu sagen, dass das ukrainische Militär im Donbass gar keine Feldverteidigungslinien hat. Nördlich von Otscheretino und westlich von Archangelskoje ist ein System aus Schützengräben und Bunkern vorhanden, die vor Kurzem gebaut wurden. Sie sollten nicht unterschätzt werden. Doch im Vergleich zur Verteidigungslinie, die Russlands Armee bei Awdejewka überwand, sind diese Verteidigungslinien viel schwächer", erklärt Boris Roschin, ein Experte vom Zentrum für militärpolitische Journalistik.
Roschin zufolge rechnete Kiew nicht damit, dass der befestigte Raum von Awdejewka so schnell fallen werde. "Das Geld, das für den Bau der zweiten und dritten Verteidigungslinie bewilligt wurde, wurde missbraucht und teilweise gestohlen. Das ukrainische Militär dachte, dass Awdejewka gehalten werden kann und niemand den Bau von Verteidigungslinien überprüfen wird", erklärte der Kriegsberichterstatter.
"Die Ukraine wurde zu einer Geisel der eigenen Propaganda, Korruption und westlichen Erwartungen. In dem Wunsch, Finanzen und Waffen zu erhalten, versuchte das ukrainische Militär, zu beweisen, dass es angreifen und Gebiete erobern und nicht in die Defensive gehen werde. Der sogenannte Friedensplan von Selenskij sieht eine Rückeroberung aller verlorenen Gebiete vor. Diese Haltung führte dazu, dass sie sich nicht auf eine Verteidigung vorbereitet hatten", erklärte Wadim Kosjulin, Leiter des Zentrums des Instituts für aktuelle internationale Probleme der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums.
Als das ukrainische Militär versuchte, aufzuholen und den Bau von Verteidigungslinien zu beginnen, war es teilweise schon zu spät. "Jetzt bauen die Ukrainer aktiv die zweite und dritte Verteidigungslinie. Möglicherweise gelingt es mancherorts mehr oder weniger erfolgreich, dennoch wurde insgesamt viel Zeit verloren", meint der Experte. Roschins Prognosen zufolge wird sich das ukrainische Militär mit natürlichen Geländedetails wie Höhen und Gewässern decken müssen.
"Bisher gelingt es ihnen nicht besonders gut, weil eine wenig effektive Verteidigung durchbrochen wurde und sie es abfangen müssen. Wir spürten ihre Schwachstelle auf. Unsere Truppen können manövrieren und die Kampfhandlungen intensivieren. Das trägt Früchte, die wir heute beobachten. Hatte es bei Awdejewka sehr lange gedauert, die Schwachstelle aufzuspüren, gelang es diesmal recht schnell", betonte Roschin.
Andererseits steigerte das ukrainische Militär im letzten Jahr die Menge an Spezialtechnik und verstärkte seine Ingenieurstruppen. Doch allein schaffen es die Militärs nicht. Im Donbass investierten der lokale Oligarch Rinat Achmetow und der Rada-Abgeordnete, Geschäftsmann und Ex-Gouverneur des Gebiets Donezk Sergei Taruta in den Bau von Verteidigungsanlagen.
"Gleichzeitig baut der Gegner aktiv Befestigungen an den Grenzen zu Gebieten Belgorod, Kursk und Brjansk. Dazu zählen etwa Betonbunker. Um das Bautempo zu beschleunigen, werden neben Ingenieurstruppen auch zivile Firmen und Arbeiter beauftragt", erklärte Roschin.
Darüber hinaus schlossen Privatfirmen zur Beschleunigung des Baus der dritten Verteidigungslinie Verträge ohne gewöhnliche Ausschreibungen, was die Korruption begünstigte, bemerkt Roschin. "In der Ukraine war es immer so, angefangen mit der bekannten Geschichte über 'Awakow-Rucksäcke' im Jahr 2014 – eines Korruptionsskandals, in den der damalige Verteidigungsminister Arsen Awakow und sein Sohn verwickelt waren. Dieses Schema existiert immer noch. Korruptionsskandale setzten sich nach dem Beginn der speziellen Militäroperation fort. Eben jenen Menschen, die für den Bau der zweiten Verteidigungslinie westlich von Awdejewka verantwortlich waren, wurden Bestechungen vorgeworfen", rief der Experte in Erinnerung.
Kosjulin stimmt der Ansicht zu, dass es Korruptionsrisiken in der Ukraine schon immer gegeben habe, "besonders in einer Kriegssituation". "Es steht außer Zweifel, dass sich an den Bauverträgen für Verteidigungslinien gerade jene bereichern, die dem Oberhaupt des Präsidialamts Andrei Jermak nahestehen, der in der heutigen Ukraine faktisch alle wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten leitet", erklärte der Militärexperte.
Die Verminderung der Effektivität der ukrainischen Feldverteidigungsanlagen führte zu einem beschleunigten Vorrücken der russischen Truppen, die weiterhin schwierige Aufgaben lösen und Schwachstellen in der ukrainischen Verteidigung aufspüren müssen. "Die nächsten ernsthaften Verteidigungslinien liegen bei Selidowo, Kurachowo und Pokrowsk (Krasnoarmeisk) und im Ballungsraum Slawjansk-Kramatorsk. Hier wird die Verteidigung unter Berücksichtigung von ausgedehnten Industrieanlagen gebaut. Und zu ihrem Durchbruch werden wir viel Kraft aufbringen müssen", erklärt Roschin.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 2. Mai bei Wsgjlad.
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