Wie ist der Wunsch vieler Ukrainer nach "Verhandlungen mit Russland" zu verstehen?
Von Wassili Stojakin
Es scheint, dass es seit Langem unmöglich ist, sich auf die Daten der ukrainischen Soziologie zu berufen, weil es keine Möglichkeit gibt, den Grad ihrer Zuverlässigkeit zu bestimmen. Es gibt jedoch Fälle, in denen die Zuverlässigkeit der soziologischen Daten an sich nicht wichtig ist. Einer dieser Fälle ist die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse, die das Rasumkow-Zentrum im Auftrag der ukrainischen Zeitung Serkalo Nedeli für deren intellektuellen Leser durchführte.
Sowohl der Auftraggeber als auch der Durchführende zeichnen sich durch zwei Eigenschaften aus. Einerseits sind sie äußerst sensibel für die westliche Agenda, da sie mit westlichen Zuschüssen arbeiten. Andererseits werden sie nicht direkt vom Büro des Präsidenten der Ukraine kontrolliert.
Gerade wegen der westlichen Finanzierung ist es schwer, Druck auf sie auszuüben. Aus soziologischer Sicht ist die Genauigkeit der Zahlen daher nicht wichtig. Wichtig ist, dass das, was wir vor uns haben, tatsächlich ein direktes Signal westlicher Akteure an die "intellektuelle Öffentlichkeit" (einschließlich derer im Büro des ukrainischen Präsidenten) ist.
Die Forschungsdaten erwiesen sich als brisant. Deshalb kommentierten ukrainische Journalisten sie auf besondere Weise: "Das ist eine andere Form der Folter, der die ukrainische Gesellschaft ausgesetzt ist: über mögliche Optionen für den Frieden mit einem Feind nachzudenken, der dich loswerden will", so die Wochenzeitung Serkalo Nedeli. Mit anderen Worten: Verstehen Sie uns nicht falsch, wir begreifen, dass es sich hier um "srada" (zu Deutsch: Verrat) handelt, aber wir verbreiten es nicht um des Hypes willen, sondern nur auf Wunsch Washingtons, das uns beauftragt hat.
Was will Washington also von dem Kiewer Regime? Zuallererst eine Zusage, mit Russland zu verhandeln. Auf die Frage: "Glauben Sie, dass es an der Zeit ist, offizielle Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland aufzunehmen?", antworteten 44 Prozent der Befragten mit Ja, 35 Prozent mit Nein. Ein Fünftel hatte Zweifel bei der Beantwortung der Frage.
Wir erfahren also, dass ein großer Teil der Ukrainer bereit ist, mit Russland zu verhandeln. Aber zu welchen Zugeständnissen sind sie bereit? Kurz gesagt: zu keinen.
Soziologen haben ihre Version der Moskauer Positionen zu den Bedingungen des Friedensvertrags vorgelegt und sind zu folgenden Ergebnissen gekommen:
- sind mit dem Abzug der ukrainischen Streitkräfte aus den Gebieten Donezk, Lugansk, Saporoschje und Cherson einverstanden – 6 Prozent;
- sind bereit, die neuen Regionen als Teil Russlands anzuerkennen – 4,5 Prozent;
- sind mit der Aufhebung der westlichen Sanktionen einverstanden (fragt sie überhaupt jemand?) – 9 Prozent;
- sind mit einem neutralen und atomfreien (!) Status der Ukraine einverstanden – 22 Prozent.
In einer anderen Formulierung antworteten 61 Prozent der Befragten ehrlich, dass sie zu keinerlei Zugeständnissen bereit sind. Was sind die Ukrainer bereit, als "minimal notwendige Bedingung für den Abschluss eines Friedensabkommens mit Russland" zu betrachten?
- 51,5 Prozent – Rückzug der russischen Truppen in Übereinstimmung mit den Grenzen von 1991;
- 26 Prozent – Rückzug der russischen Truppen bis zur Demarkationslinie von Anfang 2022;
- 9 Prozent – Festlegung der Truppen entlang der Frontlinie.
Es war nicht in den Antwortmöglichkeiten, aber wir haben oben angegeben – sechs Prozent halten den Rückzug der ukrainischen Streitkräfte über die Grenzen der russischen Regionen hinaus für akzeptabel. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob die Ukrainer nicht zu viel wollen? Die Umfrage hat eine Antwort: Nein, nicht zu viel. Schon allein deshalb, weil 49 Prozent der Befragten glauben, dass es im Lande zu Massenprotesten kommen wird, wenn man auf die "besetzten Gebiete" verzichtet.
In der Tat hat es in der jüngeren Geschichte der Ukraine bereits einen solchen Moment gegeben – am 31. August 2015 warf ein Nazi, der gegen die Minsker Vereinbarungen protestierte, eine Granate auf Soldaten, die die Werchowna Rada bewachten. Aber es gibt allen Grund zur Annahme, dass Petro Poroschenko damals keine Angst vor den Protesten hatte, sondern neue Anweisungen aus Washington erhielt.
Natürlich wird es auch heute keine Massenproteste in der Ukraine geben, die nicht von Washington sanktioniert werden, und wenn es diese geben sollte, hindert nichts daran, sie aufzulösen – mit dem Einsatz von Abrams und F-16. Die Demonstranten werden diese nicht verbrennen – es ist exklusive westliche Militärhilfe. Dennoch wird es einige innenpolitische Spannungen geben. Aber die wird es auf jeden Fall geben – sie sind bereits da.
Aber darüber hinaus glauben 66 Prozent der Befragten, dass ein militärischer Sieg im Krieg mit Russland möglich ist. In Russland ist es üblich, in diesem Fall denjenigen einen Vogel zu zeigen, aber man muss sich über die ukrainische Agenda im Klaren sein. Aus der ukrainischen Propaganda geht hervor, dass das Ziel Russlands darin angeblich besteht, die gesamte Ukraine zu erobern, alle Ukrainer zu töten und in Europa einzumarschieren. Uns ist klar, dass Russland solche Ziele nicht verfolgt, aber den Ukrainern ist das nicht klar. Deshalb wird die ukrainische Propaganda jedes Ergebnis der SWO (Russische Abkürzung für militärische Sonderoperation), wonach die Ukrainer nicht nach Magadan geschickt werden, unweigerlich zum "peremoga" (zu Deutsch: Sieg) erklären.
Unabhängig davon, ob diese Studie tatsächlich durchgeführt wurde oder nicht, sind ihre Ergebnisse eine Botschaft, ein Signal des Westens an die ukrainische Führung und intellektuelle Elite. Der Kern dieses Signals ist, dass die Ukraine mit Russland verhandeln sollte.
Zugleich sollte die Ukraine keine übermäßigen Zugeständnisse machen, um nicht den Eindruck eines russischen Sieges zu erwecken und das Risiko einer übermäßigen Destabilisierung der Lage im Lande zu vermeiden.
Wladimir Selenskij akzeptierte dieses Signal. Am 15. Juli erklärte er, dass "russische Vertreter am zweiten Gipfel teilnehmen sollten" (gemeint ist ein Gipfel zur ukrainischen Friedensformel), und er ist entschlossen, dass "wir im November einen vollständig ausgearbeiteten [Friedens-]Plan haben werden".
Natürlich hat der ukrainische Diktator nicht auf die Daten der Soziologen reagiert, sondern auf direktere Anweisungen aus Washington. Der Artikel enthält lediglich eine Begründung dafür, warum die Ukraine verhandeln wird (das Volk fordert es). In Washington begrüßte man Selenskijs Verständnis – der Leiter des Pressedienstes des Außenministeriums, Matthew Miller, sagte: "Wenn sie Russland zu dem Gipfel einladen wollen, werden wir das natürlich unterstützen."
Für die Aufnahme von Verhandlungen sind jedoch noch einige weitere Bedingungen erforderlich: die Aufhebung des Verbots von Gesprächen mit Russland, die Anerkennung der Ergebnisse der Wahlen 2024 in Russland durch die Ukraine und das Vorhandensein einer legitimen Macht in der Ukraine (die derzeit durch die Werchowna Rada und ihren Vorsitzenden, nicht aber durch den Bürger Selenskij vertreten wird). Wenn all dies erfüllt wird, ist es möglich, dass der Wunsch von 44 Prozent der ukrainischen Bürger nach Verhandlungen mit Russland in greifbare Nähe rückt. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass Moskau die vom Kiewer Regime organisierten "Friedensgipfel" nicht als Plattform für Verhandlungen mit der Ukraine ansieht. Zudem hält Moskau die Signale des Kiewer Regimes über die Bereitschaft zu Verhandlungen für "Augenwischerei".
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 17. Juli bei Wsgljad.
Wassili Stojakin ist ein russischer Journalist, Politikwissenschaftler, Soziologe, Publizist.
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