Warum China die BRICS braucht
Von Iwan Suenko
Der 16. BRICS-Gipfel, der in Kasan in Russland stattfand, wurde eines der wichtigsten Treffen in der Geschichte der Organisation. Zum ersten Mal nahm eine erweiterte Gruppen von Mitgliedern daran teil (die ursprünglichen BRICS-Mitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika trafen auf die neuen Mitglieder – die Vereinigten Emirate, den Iran, Ägypten und Äthiopien). Auf der Tagesordnung standen auch Debatten um weitere Erweiterungen, wobei Saudi-Arabien, Malaysia, die Türkei und andere Länder als mögliche Mitglieder erwogen wurden.
Gastgeber für ein derart bedeutendes Forum zu sein, stellt für Moskau einen größeren diplomatischen Erfolg dar. Die Umarmungen, mit denen Staatschefs der Welt den russischen Präsidenten Wladimir Putin begrüßten, sind für uns ein überwältigendes Symbol für das Scheitern des Westens darin, Russland zu isolieren.
Auch wenn alle Mitglieder der BRICS in der Organisation eine wichtige Rolle spielen, eines sticht besonders hervor – China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt (nach Kaufkraftparität gar die größte) und der Hauptrivale der Vereinigten Staaten um globalen Einfluss. Das wirft eine grundsätzliche Frage auf: Sind die BRICS ein Mittel, um Chinas Einfluss auszuweiten? Und könnten sie sich in eine Art "Allianz des Globalen Südens" unter chinesischer Führung entwickeln, die gegen einen von den USA dominierten "Globalen Norden" steht?
Chinas offizielle Stellungnahmen bieten eine differenziertere Sicht auf dieses Thema, das wir hier detaillierter beleuchten wollen.
Was die BRICS für China bedeuten
Man muss verstehen, dass die BRICS eher eine Plattform für den Dialog sind als ein Bündnis, das seinen Mitgliedern spezifische Pflichten auferlegt. Es ist unwahrscheinlich, dass die BRICS sich in eine integrierte Organisation wie die Europäische Union verwandeln. Wenn es einen bedeutenden Vergleich als Diskussionforum gibt, dann ähneln die BRICS eher den G7.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens, es gibt gewisse innere Widersprüche zwischen den BRICS-Mitgliedsstaaten, und die Teilnahme an der Organisation bedeutet nicht, dass diese Themen gelöst werden. Ein gutes Beispiel dafür sind die Grenzstreitigkeiten zwischen China und Indien, aber es gibt auch andere Herausforderungen. Und während die Organisation sich ausdehnt – was unvermeidlich scheint –, wird die Zahl dieser Themen nur zunehmen.
Zweitens, Bündnisse und eng strukturierte Eingliederungen zu schaffen, widerspricht der Philosophie der chinesischen Außenpolitik, die die alte Logik des "Blockgegensatzes" zurückweist und lieber "einen neuen Typ internationaler Beziehungen" entwickelt – Partnerschaften zwischen Ländern ohne bindende Vereinbarungen. Nach chinesischen Aussagen ist die Beziehung zwischen Russland und China ein Beispiel für diese Herangehensweise, und sie gilt als "stärker als traditionelle Bündnisse".
Für China ist die vollständige Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung in die innenpolitischen Fragen anderer Länder (und andersherum – äußeren Einmischungen in heimische Angelegenheiten widerstehen) von grundlegender Bedeutung. China folgt dieser Herangehensweise im Umgang mit anderen Ländern. Es ist kein Zufall, dass die Initiative Neue Seidenstraße, die länger als ein Jahrzehnt besteht, keine integrierte Allianz wurde; sie bleibt schlicht eine "Initiative".
Die Umsetzung des Konzepts der Initiative, einer "Gemeinschaft für eine von der Menschheit geteilte Zukunft", setzt die gemeinsame Entwicklung einer unbegrenzten Zahl von Ländern auf Grundlage wechselseitigen Zusammenspiels voraus. Auf der einen Seite beinhaltet es Integration (da die grenzüberschreitenden Bewegungen von Kapital, Waren und Dienstleistungen liberalisiert werden); auf der anderen Seite respektiert diese Form der Integration die Souveränität der Teilnehmer und diktiert ihnen nicht, welchen internationalen Organisationen sie sich anschließen sollen.
Chinas außenpolitische Philosophie schließt die Beteiligung an verschiedenen Initiativen der Integration nicht aus; tatsächlich sieht sie diese positiv. Und die BRICS sind eine davon.
Für China dienen die BRICS vor allem als Plattform, auf der Peking seine Perspektive zu globalen Themen anderen Nationen kommunizieren und zu verschiedenen Fragen Positionen koordinieren kann. Die Mitgliedschaft anderer Länder bei den BRICS (von denen viele komplizierte Beziehungen zu China haben) dient letztlich als Schutz und verhindert, dass sie in westliche Koalitionen gezogen werden, die China gegenüber feindlich sein könnten.
Diese Herangehensweise verhindert jede Möglichkeit einer chinesischen Dominanz. Wenn Peking sein eigenes "Westentaschenbündnis" formen würde, täte es das unter seinen eigenen Bedingungen und würde Nationen einladen, die sich wirtschaftlich auf China verlassen. Russland und Indien passen jedoch sicher nicht in diese Kategorie.
Braucht China die BRICS? Definitiv!
Die Hauptinteressen Chinas innerhalb der BRICS umfassen die Dedollarisierung, die Errichtung von Alternativen zu Weltbank und IWF und Hilfe für den Globalen Süden dabei, aus der Abhängigkeit von westlichen Institutionen auszubrechen. Die Plattform BRICS erleichtert diese Initiativen in globaler Größenordnung und erhöht ihre Reichweite über eine einzelne Region hinaus, während sie gleichzeitig die Sorgen der Partner bezüglich möglicher mit Chinas Expansion verbundener Risiken verringert.
Aus dieser Perspektive ist es desto besser, je mehr Länder den BRICS beitreten. Wie Russland mag China Karten und Grafiken, die verbildlichen, wie die BRICS-Länder gemeinsam die G7-Länder bei der Bevölkerung und einer Reihe von Wirtschaftsindikatoren überholen. Das passt zu Chinas Sicht auf die gegenwärtige Phase der Weltgeschichte als eine des "nie dagewesenen Wandels", charakterisiert durch den Aufstieg ehemaliger Kolonien und Halbkolonien – Veränderungen, die, glaubt China, die Welt als Ganze verbessern können.
Das bedeutet jedoch nicht, dass China die BRICS einzig als antiwestlichen Block sieht. Es hofft ebenso, sich mit dem Westen zu befassen und die beidseitig nützliche Zusammenarbeit im Geist einer "Gemeinschaft für eine von der Menschheit geteilte Zukunft" zu fördern.
An diesem Punkt ist natürlich keine Rede davon, dass EU-Länder, Australien oder Kanada – Nationen, die angespannte Beziehungen zu China haben – den BRICS beitreten. Wenn wir jedoch die geografische Spannweite der Initiative Neue Seidenstraße betrachten, wird klar, dass China in Fragen der Integration Flexibilität und Offenheit zeigt und bereit ist, mit jedem zusammenzuarbeiten.
Diese Perspektive legt nahe, dass China die BRICS nicht als Werkzeug gegen die USA nutzt. Im Gegenteil, je weiter sich die Organisation ausdehnt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in eine "militärisch-politische Allianz" verwandelt. Wie wir oben jedoch erläutert haben, ist das für China kein Nachteil, sondern ein Vorzug.
Warum Chinas Teilnahme an den BRICS für Russland wichtig ist
Chinas Herangehensweise passt gut zu Moskaus politischer Strategie. China hält keine dominante Stellung in den BRICS, wennn es um Entscheidungen geht; alle Resolutionen entstehen durch wechselseitigen Konsens, und Russlands Einfluss entspricht dem Chinas.
Chinas Beteiligung macht jedoch die BRICS (auf Chinesisch "Jinzhuang" oder "goldener Ziegel" genannt) zu einer wirklichen Alternative zu dem, was oft die westliche "goldene Milliarde" genannt wird.
Ohne China können die BRICS die Interessen der globalen Mehrheit nicht repräsentieren, vor allem nicht in wirtschaftlicher Hinsicht.
China dient den meisten BRICS-Ländern als wichtigster Handelspartner und Investor. Daher können Initiativen, die darauf abzielen, den Handel zwischen BRICS-Ländern gleichzurichten, nur dann bedeutende Ergebnisse bringen, wenn China beteiligt ist. Vorschläge, zu nationalen Währungen zu wechseln oder Alternativen zum SWIFT-System zu schaffen, wären ohne Chinas Beteiligung bedeutungslos.
Die Investitionsprojekte, die mit den BRICS verbunden sind, werden ohne China ebenfalls irrelevant. Die Neue Entwicklungsbank, deren Zentrale in Shanghais Finanzbezirk Lujiazui sitzt, ist weitgehend mit chinesischem Kapital finanziert. Ihre Projekte in Russland umfassen etwa Kredite für die nachhaltige Entwicklung kleiner historischer Städte, die Verbesserung der Wasserversorgungssysteme von Städten im Wolgabecken und die Verbesserung von Transport- und Logistikinfrastruktur in der Arktis.
Kurz gesagt, der Zugang zu Chinas wirtschaftlichen Ressourcen ist für die gegenwärtigen wie die möglichen Mitglieder der BRICS besonders attraktiv, auch für Russland. Da dieser Zugang nicht direkt ist, sondern durch die BRICS "gefiltert" wird, hilft das, die Risiken zu begrenzen, die mit der Abhängigkeit von finanziellen Institutionen verbunden werden – nicht nur westlichen, auch chinesischen.
Noch wichtiger ist, dass die kollaborative Beteiligung Russlands und Chinas an den BRICS die Wirkung ihrer bilateralen strategischen Partnerschaft verstärkt und sie in den Grundstein verwandelt, eine neue Weltordnung zu errichten, die auf Multipolarität beruht (China zieht den Ausdruck "Multilateralität" vor, der trotz einiger Nuancen eine ähnliche Idee vermittelt).
Russland hat enge Partnerschaften mit allen BRICS-Ländern, doch China sticht als permanentes Mitglied des UN-Sicherheitsrats hervor, das imstande ist, den Westen im Hinblick auf die Entwicklung fortgeschrittener Technologien herauszufordern. Die Vision, die Russland und China hinsichtlich der Zukunft globaler Politik teilen, ihre Fähigkeit, zu verhandeln und Differenzen zu lösen (die sie, wie alle souveränen Staaten, sicherlich haben), und ihre Offenheit für die Zusammenarbeit mit anderen Nationen bilden das Fundament der BRICS.
Die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China wurde von ihren Staatschefs wiederholt als "einer der wichtigsten stabilisierenden Faktoren auf der Weltbühne" beschrieben. Und innerhalb der BRICS wird diese stabilisierende Wirkung noch stärker.
Angesichts des bedeutenden westlichen Drucks auf Russland erlangt die Zusammenarbeit mit China innerhalb der BRICS für Moskau eine neue Bedeutung. Wenn Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping sich auf bilateralen Gipfeln treffen, reden westliche Medien von einer angeblichen "Allianz der zwei Autokratien". Wenn sich ihnen jedoch UN-Generalsekretär António Guterres, der indische Premierminister Narendra Modi, der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa und weitere globale Staatslenker hinzugesellen, wird es schwierig, dieses Narrativ zu halten.
Der jüngste BRICS-Gipfel in Kasan beweist, dass die Beziehungen zwischen Russland und China so stark sind wie immer. Diese Partnerschaft kennt keinen Herrn und keinen Knecht – es ist eher eine gleiche, beidseitig nützliche Allianz, die zur Zusammenarbeit mit anderen Nationen ermutigt. Glücklicherweise besteht der angemessene Rahmen für solche Partnerschaften bereits und vergrößert sich weiter.
Iwan Suenko ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Moskauer Universitätsinstituts für Internationale Studien (MGIMO).
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