Hybride Kriegsführung: Die moderne NATO-Strategie
von Hasan Posdnjakow
Schon 2007 veröffentlichten NATO-Generäle unter dem Titel "Towards a Grand Strategy for an Uncertain World" (Hin zu einer Gesamt- und Leitstrategie für eine Welt der Ungewissheit) ein Strategiepapier, in dem die Grundsätze der hybriden Kriegsführung präzise formuliert werden, wie die Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) "Krieg im Informationsraum" feststellt. Im NATO-Papier wird analysiert:
Die Globalisierung der Informationsströme hat zur direkten Auswirkung, dass alle möglichen Formen von irrationalen Vorstellungen oder politischem Fanatismus frei zugänglich im Umlauf sind. Grundzüge der offenen Gesellschaft wie die Redefreiheit können infolge dessen gegen sich selbst und andere Freiheiten verwendet werden.
Deswegen müsse die NATO "dringend eine Informationsstrategie" entwickeln,
die es ihr selbst und ihren Mitgliedsstaaten ermöglicht, das Steuer wieder in die Hand zu nehmen; andernfalls riskiert sie die Niederlage an der Heimatfront, selbst wenn ihre Streitkräfte auf taktischer oder operativer Ebene gewinnen.
Dabei müsse die NATO drei Ziele anstreben:
• Sie muss die Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit dahingehend beeinflussen, dass es sich bei der NATO um eine Macht des Guten handelt.
• Zweitens muss sie auf den Bildschirmen präsent sein, noch bevor es dem Gegner gelingt, die Nachrichten zu verbreiten, d.h. die NATO muss die Informationshoheit im Öffentlichkeitsbereich gewinnen und behalten.
• Sie muss drittens helfen, die Herzen und Köpfe sowohl ihrer eigenen Nationen (für das gerechte Vorgehen der NATO) als auch der Menschen in den Einsatzgebieten zu gewinnen.
Die IMI-Studie hält fest, dass sich "gerade NATO-Staaten schon lange 'hybrider' Mittel (bedienen), um in verschiedensten Ländern missliebige Machthaber zu stürzen". Dabei zitiert die Studie aus einem Dokument, das gegen die sogenannte Lawfare (mit diesem Kofferwort kennzeichnet die NATO-Propaganda jeglichen Versuch, die völkerrechtswidrigen Kriege der westlichen Kriegsallianz mittels juristischer Mittel zu bekämpfen oder zumindest zu begrenzen) gerichtet ist:
Die NATO muss sich aggressiv der Lawfare-Bewegung entgegenstellen.
Folgende Botschaft müsse verbreitet werden:
Die NATO bekämpft wirklich böse Menschen, die die Menschenrechte verletzen.
Diese Taktik nutzt zudem die Methoden des sogenannten Framings – eine bewusste Manipulation der öffentlichen Meinung für gewisse Partikularinteressen, mit der zuletzt vor allem die ARD auffiel.
Der NATO-Rat selbst erklärte im Jahr 2009, wie der Friedensaktivist Bernhard Trautvetter in der neusten Ausgabe der Zeitschrift Marxistische Blätter zitiert:
Immer mehr (kommt es) darauf an, dass das Bündnis seine […] Rolle, Ziele und Missionen in geeigneter Weise, zeitgerecht, genau und flexibel vermittelt. Die strategische Kommunikation ist ein fester Bestandteil unserer Bemühungen um die Erreichung der politischen und militärischen Ziele des Bündnisses.
Trautvetter verweist im besagten Artikel auch auf eine pikante Aussage des US-Militärstrategen Colonel John Boyd:
Du musst in die Köpfe der Menschen gehen. Das ist der Ort, an dem Schlachten gewonnen werden.
In welchen Riesenmaßstäben die hybride Kriegsführung der NATO inzwischen operiert, zeigt ein Beispiel aus der Studie. Im Rahmen der NATO/EU-Übung PACE 2017 wurden Cyber-Angriffe auf EU-Staaten simuliert. Die feindlichen Akteure bei dieser Übung waren unter anderem ein fiktionaler Staat "Froterre", mit dem Russland gemeint war, sowie auch eine Antiglobalisierungsbewegung, die von Froterre gesteuert werde. Das Fazit der IMI-Studie dazu:
Jegliche kritische Position wird als von Russland gesteuert bzw. unterwandert diskreditiert und damit auch eine Legitimationsbasis für Gegenmaßnahmen an der Heimatfront postuliert.
Dieses Szenario wurde auch während der Gelbwesten-Proteste in Frankreich deutlich, als die westliche Presse und Politiker fast unisono Russland beschuldigten, diese zu befeuern.
Auch die Bundeswehr nutzt längst die Strategie der hybriden Kriegsführung. Ein weiteres Zitat aus der IMI-Studie, das auf die zunehmende Bedeutung des Informationskampfes für die Landstreitkräfte hinweist, diesmal aus einem Thesenpapier der Bundeswehr aus dem Jahr 2017:
Das Gefechtsfeld wird transparenter und komplexer, sowohl im Sinne von verbesserten Aufklärungsfähigkeiten aller Seiten als auch hinsichtlich der Verbreitung von Meldungen/Nachrichten/Gerüchten quasi weltweit, in alle gesellschaftlichen Bereiche und in die eigene Truppe hinein. […] Taktische Cyber-Kräfte unterstützen offensiv und defensiv den Einsatz von Landstreitkräften und […] ermöglichen auch […] den Angriff auf gegnerische Systeme und die offensive Beeinflussung von Entwicklungen im Informationsraum.
Das Thesenpapier fabuliert auch von einem möglichen Krieg mit Russland, bei dem die NATO Täuschungsmanöver auf dem Informationskampffeld einsetzt (was die westliche Militärallianz gerne immer wieder Moskau vorwirft):
Parallel wird in offenen Quellen (soziale Netzwerke, Messenger Services, Nachrichtenkommentare etc.) eine Vielzahl von Meldungen platziert, die auf ein Ausweichen der NATO-Kräfte hindeuten und so die eigene Absicht verschleiern helfen.
Doch nicht nur das:
Nachdem sich der Erfolg des Gegenangriffs abzeichnet, befiehlt der BrigKdr (Brigardekommandierende) eine offensive und mehrsprachige Informationskampagne, die durch Bilder, Text, Videos etc. die Erfolge der NATO-Truppen herausstreicht und zeigt, dass Kollateralschäden vermieden werden, aber auch eigene Verluste nicht verschweigt. Zeitgleich werden ausgesuchte Angehörige des Gegners und deren Angehörige adressiert. Durch diese zeitnahe, ehrliche und offene Berichterstattung wird gegnerischer Propaganda entgegengewirkt, die öffentliche Meinung sowohl in den NATO-Staaten als auch beim Gegner beeinflusst und die Informationshoheit umstritten oder gewonnen.
Hier verwischt sich die Grenze zwischen der Planung der Propaganda und der eigentlichen Propaganda, denn ist die NATO-Propaganda nur "ehrliche und offene Berichterstattung", während Nachrichten des bösen Iwan natürlich nur "gegnerische Propaganda" sein kann. Der Freiheitskämpfer des einen ist der Terrorist des anderen, wie ein englisches Sprichwort besagt.
Auch ein Dokument der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, eines wenig bekannten Thinktanks, der führend an der Gestaltung der deutschen Militärpolitik beteiligt ist, beschreibt die offensive hybride Kriegsführung seitens der NATO freimütig, wie die IMI-Studie zitiert:
Wichtiger Bestandteil unserer Maßnahmen gegen Russland sollte das verstärkte Einbinden der russischen Zivilgesellschaft sein, sowohl in Russland selbst als auch im Ausland (unter anderem der russischen Diaspora), zum Beispiel durch die Förderung von unabhängigen Initiativen in den Medien, der politischen Debatte, des gesellschaftlichen Handelns etc. Obgleich sie keinen direkten Versuch darstellen, einen Regimewechsel in Russland herbeizuführen, könnten derartige Bestrebungen langfristig zur Entstehung alternativer politischer Eliten in Russland beitragen.
Was jetzt der genaue Unterschied sein soll zwischen einem "direkten Versuch […], einen Regimewechsel in Russland herbeizuführend" und "Bestrebungen", "langfristig […] alternative politische Eliten in Russland" zu züchten, das wissen wohl nur die NATO-Scholastiker. Zumal in dem besagten Plan auch die Mittel, wie ein Regime-Change in Russland erreicht werden soll, genau beschrieben sind: "Fördermittel, Netzwerkarbeit, Satellitenfernsehen, soziale Medien, Internetportale und das Umgehen von VPN-Sperren".
Die IMI-Studie erwähnt eine Entscheidung des EU-Parlamentes aus dem Jahr 201. Diese zeigt, dass die angebliche Gegenpropaganda nicht nur mutmaßlich feindliche Akteure im Ausland im Auge hat, sondern auch inländische kritische Medien und Organisationen zum Schweigen bringen will. Im Beschluss wird Besorgnis "über die zahlreichen EU-internen Multiplikatoren der gegen die Union gerichteten Propaganda" geäußert. Als Handlungsempfehlung an die EU-Staaten formulieren die EU-Parlamentarier:
Die Mitgliedsstaaten (sind) dafür verantwortlich […], feindliche Informationsmaßnahmen, die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführt werden oder darauf abzielen, ihre Interessen zu untergraben, aktiv, vorbeugend und gemeinsam zu bekämpfen.
Diese Fakten zeigen, dass der Ursprung der hybriden Kriegsführung und die besten Anwendungsbeispiele in der Politik der NATO-Staaten zu suchen ist. Wenn jetzt NATO-Propagandisten und ihr verlängerter Arm in den westlichen Staats- und Konzernmedien von einer angeblichen russischen hybriden Kriegsführung fabulieren, dann ist das nichts weiter als der sprichwörtliche Dieb, der da ruft: "Haltet den Dieb!"
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