China gewinnt im Rennen um die Kontrolle über das Wertvollste des 21. Jahrhunderts
Ein Kommentar von Norman Lewis
Der Bericht vom Belfer Center an der Harvard-Universität mit dem Titel "The Great Technological Rivalry" (Die große technologische Rivalität) kommt zu dem Schluss, dass China nicht nur außergewöhnliche technologische Fortschritte gemacht hat, die es zu einem "Vollspektrum-Konkurrenten" haben werden lassen, sondern auch, dass China gut positioniert ist, um in der Zukunft zu dominieren. In weniger als einem Vierteljahrhundert wurde die herausragende technologische Führungsrolle der USA in der Welt aufgehoben. China hat die USA als weltweit führender Hightech-Hersteller abgelöst und im Jahr 2020 so etwa 250 Millionen Computer, 25 Millionen Autos und 1,5 Milliarden Smartphones produziert. Aber abgesehen davon, dass China zu einem Machtzentrum der Produktion geworden ist, führt es praktisch auf allen Feldern der Technologie, wie Graham Allison (einer der Autoren des Belfer-Berichts) und Eric Schmidt (ehemaliger CEO von Google) in einem Kommentar für das Wall Street Journal anmerkten: "In jeder der grundlegenden Technologien des 21. Jahrhunderts – Künstliche Intelligenz (KI), Halbleiter, 5G-Wireless, wissenschaftliche Quanteninformation, Biotechnologie und grüne Energie – könnte China bald weltweit führend sein. In einigen Bereichen ist das Land bereits die Nummer eins."
Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, die von den meisten westlichen Experten in ihrer Arroganz nicht für möglich gehalten wurde. Der Bericht von der Harvard-Universität stellt beispielsweise fest, dass die Nationale Akademie für Wissenschaft, Ingenieurwesen und Medizin noch 1999 erklärte, dass die USA mit ihrem "einzigartig mächtigen System, neues Wissen zu schaffen und es zum Nutzen aller einzusetzen" der größte treibende Einzelfaktor für das 21. Jahrhundert bleiben würden.
Der Harvard-Bericht erinnert auch daran, wie das Time Magazine in seiner Sonderausgabe "Beyond 2000" (Jenseits von 2000) behauptete, dass "China im 21. Jahrhundert nicht zu einem Industriegiganten heranwachsen kann. Seine Bevölkerung ist zu groß, und sein Bruttoinlandsprodukt zu klein." Der China-Experte William Kirby, der die vorherrschende Ansicht aller damaligen Experten widerspiegelte, behauptete in der Harvard Business Review, dass "China weitgehend ein Land regelgebundener Auswendiglerner ist", das nur nachahmen, aber nicht erfinden könne. Im Zeitalter der Informationstechnologie konnten offenbar nur Freidenker – und keine Nachahmer unter autoritärer Herrschaft – Innovationen hervorbringen. Soviel zum Thema "Experten".
Heute führt das autoritäre China, wie der Harvard-Bericht einräumt, bei praktischen KI-Anwendungen – einschließlich der Gesichtserkennung, Spracherkennung und der Finanztechnologie – klar vor den USA. Der Bericht stellt auch fest, dass China im vergangenen Jahr 50 Prozent aller Computer und Mobiltelefone der Welt produziert hat; die USA hingegen nur 6 Prozent. Für jedes einzelne in den USA gebaute Solarmodul produziert China jetzt 70, das Land verkauft viermal so viele Elektrofahrzeuge und verfügt über neunmal so viele Typen von 5G-Basisstationen, mit fünfmal so hohen Netzwerkgeschwindigkeiten wie die US-amerikanischen Äquivalente.
Man sollte Chinas Position sicherlich nicht übertrieben darstellen. Die USA haben nach wie vor eine beherrschende Stellung in der Halbleiterindustrie, die sie seit fast einem halben Jahrhundert besitzen und verteidigen. Die Fahrtrichtung ist dennoch unverkennbar, China holt in zwei weiteren wichtigen Bereichen auf: in der Halbleiterfertigung und dem Chipdesign. Bei der Herstellung von Halbleitern hat China die USA bereits überholt. Chinas Anteil an der Weltproduktion ist von weniger als 1 Prozent im Jahr 1990 auf heute 15 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der entsprechende Anteil der USA von 37 Prozent auf etwa ein Drittel, nämlich 12 Prozent gesunken.
Ein Indikator für Chinas zugrundeliegende und aufstrebende Macht bei dem zukünftigen wissenschaftlichen Potenzial für Fachwissen und Innovation ist sein intellektuelles Kapital. Mit 1,4 Milliarden Einwohnern verfügt China über einen beispiellosen Pool an Talenten und Daten. Universitäten in China bilden Informatiker in einer vielfach höheren Anzahl als die ihrer US-amerikanischen Kollegen aus. In China schließen viermal so viele Bachelor-Studenten mit MINT-Abschlüssen [MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik] ab und bis 2025 werden doppelt so viele MINT-Doktoranden abschließen. Im Gegensatz dazu ist die Zahl der in den USA geborenen KI-Doktoranden seit 1990 nicht gestiegen. Im internationalen Ranking für Wissenschaft und Technologie bei Schülern im Abschlussjahr übertrifft China die Vereinigten Staaten durchweg in Mathematik und Naturwissenschaften – im Jahr 2018 rangierten Chinas PISA-Ergebnisse, in denen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen bewertet wurden, auf Platz eins, während die USA auf Platz 25 lagen.
Vor drei Jahrzehnten kehrte nur einer von zwanzig chinesischen Studenten, die im Ausland studiert hatten, nach Hause zurück. Heute kehren 80 Prozent nach China zurück, nämlich vier von fünf. Und obwohl die USA in der Vergangenheit von seiner Fähigkeit profitiert hat, Talente aus aller Welt anzuziehen, riskieren die USA jetzt, den Wettbewerb um Talente an der Front der Wissenschaften zu verlieren. Das Problem für die USA besteht darin, dass die zugrunde liegenden Trends darauf hindeuten, dass sie in fast allen Bereichen übertroffen werden, auch in jenen, in denen sie heute noch einen Vorteil genießen.
So bleiben die USA beispielsweise derzeit unangefochten führend in der Biotechnologie, mit einem bedeutenden Innovationsvorsprung und mit sieben der zehn wertvollsten Life-Science-Unternehmen weltweit. Allerdings bewertet China auch die Biotechnologie mittlerweile als einen der kritischen Bereiche für die nationale Entwicklung, wobei auch erhebliche Investitionen darauf hindeuten, dass es im gesamten biotechnologischen Spektrum der Forschung und Entwicklung in einem harten Wettbewerb steht. Chinesische Forscher haben die führende Position der USA bei der CRISPR-Gen-Manipulationstechnik sehr bedrängt und bei der CAR-T-Zelltherapie sogar übertroffen.
Die USA waren in den letzten zwei Jahrzehnten auch der wichtigste Innovator für neue, "grüne" Energietechniken. Aber heute ist China der weltweit führende Hersteller, Anwender und Exporteur mit diesen Technologien und festigt sein Monopol über die zukünftigen Lieferketten für "grüne" Energien. Noch wichtiger ist, dass China nahezu ein Monopol auf mehrere der kritischen Komponenten hat, die für Solarmodule, Akkumulatoren und andere grüne Technologien erforderlich sind. Darunter sind chemisches Lithium (50 Prozent der weltweiten Produktion), Polysilizium (60 Prozent), Metalle der Seltenen Erden (70 Prozent), natürliches Graphit (70 Prozent) und das Raffinieren sowohl von Kobalt (80 Prozent) als auch von Seltenen Erden (90 Prozent). Und wo es China im eigenen Land an Ressourcen mangelt, hat sich China die im Ausland gesichert.
Der Belfert-Bericht ist damit ein Weckruf an die USA und an den Westen. Er unterstreicht, dass China jetzt eine riesige Wirtschaftsmacht darstellt, die imstande ist, die wissenschaftliche und technologische Zukunft zu dominieren. Kein Wunder, dass Allison und Schmidt ihren Artikel im Wall Street Journal daher mit einer ernsten Warnung beenden: "Wenn die USA nicht eine nationale Antwort organisieren können, analog zu der Mobilisierung, mit der jene Technologien hervorbracht wurden, die über den Zweiten Weltkrieg entschieden, könnte China bald die Technologien der Zukunft und die durch sie geschaffenen Möglichkeiten dominieren."
Diesmal könnten die Experten Recht behalten. Und es scheint, dass diese "Zukunft" bereits geschehen ist.
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Übersetzung aus dem Englischen.
Norman Lewis ist Autor, Redner und Berater für Innovation und Technologie und war zuletzt Direktor bei PriceWaterhouseCoopers, wo er den Service der Crowdsourcing-Innovation aufgebaut und geleitet hat. Er twittert unter @Norm_Lewis
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