Umgang mit Telegram – deutsche Politiker und Medien vielfach überfordert
von Christian Harde
In den letzten Tagen ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder damit aufgefallen, besonders scharfe Maßnahmen gegen den "russischen" Messenger-Dienst Telegram zu fordern, der seinen Firmensitz in Dubai, den Sitz der Muttergesellschaft aber auf den britischen Jungferninseln hat.
Unter den deutschen Politikern tat Söder sich mit rigiden Forderungen besonders hervor und verlangte, eine "gesetzliche Möglichkeit zu schaffen", den Dienst in Deutschland komplett "abzuschalten", wie die Welt den bayerischen Regierungschef zitiert.
Widerstand gegen Söders Pläne aus der "Ampel" – und der AfD
Die Zeitung schreibt in ihrer Online-Ausgabe, die "radikale 'Querdenker-Szene'" würde sich über Telegram austauschen und organisieren. Söders Pläne liefern eine schöne Vorlage für Politiker aus der Berliner "Ampel"-Koalition, die sich prompt dagegen wenden, trotz mancher inhaltlicher Übereinstimmung, und die sich bei dieser Gelegenheit gerne als vergleichsweise moderat in dieser Frage präsentieren. So zitiert die Welt etwa den stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Konstantin Kuhle zu Söders Plänen:
"Es passt nicht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat, digitale Plattformen einfach abzuschalten. Dieser Vorschlag passt in totalitäre Regime, aber nicht in unsere Verfassungsordnung."
Es blieb der digitalpolitischen Sprecherin der AfD-Fraktion vorbehalten, eine Aufzählung derjenigen Staaten zu liefern, die bereits und meist erfolglos versucht haben, gegen den Messenger-Dienst vorzugehen:
"Die AfD lehnt diesen Vorschlag vehement ab. Länder, die bisher gegen Telegram vorgegangen sind, sind: China, Russland, der Iran, Weißrussland und Indonesien. Deutschland sollte sich hier unter keinen Umständen einreihen."
Messenger oder Soziales Netzwerk?
Dennoch fordert auch die AfD mehr staatliche Kontrolle. Und auch in ihrem Falle sollen es "mehr Polizisten" richten, die mittels spezieller Ausbildung, aber im Rahmen der "normalen Ermittlungsarbeit" gegen bestimmte Chat-Gruppen ermitteln und Straftaten "konsequent verfolgen" sollen.
Koalitionspolitiker befürchten dagegen bei einem Verbot von Telegram, dass sich die Kommunikation bloß auf andere Kanäle verlagert. Daher solle nun das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) auf den Messenger-Dienst angewandt werden. Begründet wird dies vom innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Sebastian Hartmann mit dem Doppelcharakter des Telegram-Dienstes:
"Telegram ist kein reiner Messenger-Dienst, sondern unterliegt als soziales Netzwerk mit seinen teilweise weit mehr als 100.000 Personen umfassenden Gruppen der Regulierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes."
Aber selbst im Justizministerium sieht man keine Möglichkeit, Telegram mithilfe des NetzDG abzuschalten. Das Gesetz erlaube es nicht, einem "sozialen Netzwerk" den Betrieb zu untersagen, wird eine Sprecherin des Ministeriums von der Welt zitiert. Allein schon die rechtlichen Hürden, um Telegram das Leben in Deutschland schwer zu machen, sind also recht hoch.
"App-Stores" und "Europa"
Eine weitere Möglichkeit, die Nutzung von Telegram einzuschränken, sieht der SPD-Innenpolitiker darin, die Telegram-"App" aus den Webstores von Apple und Google entfernen zu lassen. Da dieses Vorhaben ebenfalls schwierig umzusetzen sein dürfte, tritt der SPD-Mann für ein gemeinsames "europäisches Handeln" ein (gemeint ist vermutlich die EU). Telegram verdiene Geld mit Werbung – und ein angedrohter Verlust des Zugangs zum europäischen Markt samt der Werbeeinnahmen könne die Betreiber des Online-Dienstes zur Kooperation bewegen. An dieser Stelle fragt es sich, ob Sebastian Hartmann sich je genauer mit Telegram beschäftigt hat. Denn der Messenger-Dienst ist, bislang jedenfalls, komplett werbefrei.
"Hartes Durchgreifen"
Im Gegensatz zu diesem um eine gewisse Differenzierung bemühten Bericht fordert ein Welt-Kommentar rundheraus: "Ja, Telegram gehört verboten". Telegram sei "nicht erst seit Corona ein Ort des Hasses und der Gewalt". Es sei an der "Zeit, hart durchzugreifen". Die Bundesregierung müsse "endlich" ein "Verbot von Telegram prüfen". "Seit Jahren" sei der Messenger "bei Radikalen beliebt", wie der Mordanschlag auf den sächsischen Ministerpräsidenten, den Telegram-Gruppen geplant haben sollen, gezeigt habe.
Als weitere Begründung wird angeführt: Die Betreiber von Telegram ignorierten "dreist" die deutschen Gesetze und reagierten nicht einmal auf Briefe der Behörden.
Rechtliche Grundlagen für Abschaltung fehlen noch
Daher habe Söder zu Recht gefordert, "rasch" eine gesetzliche Grundlage für die Abschaltung von Telegram zu schaffen. Es stimme zwar, wenn die Gegner eines Verbots einwenden, dass Hass und Hetze nach der Abschaltung von Telegram nicht aus dem Internet verschwinden würden. Doch mache es der Messenger-Dienst denjenigen, die "zu Gewalt und Straftaten aufrufen, besonders einfach, eine breite Masse zu erreichen. Auch, weil die Macher hinter der App es so wollen."
Immerhin weiß die Welt-Kommentatorin, dass es auf Telegram keine Werbung gibt und das Druckmittel, Werbeeinnahmen zu verlieren, bei Telegram nicht verfangen kann. Sie muss auch zugeben, dass "ein komplettes Abschalten des Dienstes ... technisch nahezu unmöglich" sei. Daher schlägt sie vor:
"Was bleibt, ist die Möglichkeit, den Download der App in Deutschland zu verbieten und dafür Druck auf die großen App-Store-Anbieter Apple und Google auszuüben."
Die Grundlagen, auf die sich dieser Appell an die Politik stützt, scheinen schlecht recherchiert zu sein – was etwas verwundert, hatte doch die Welt selbst vor kurzem, am 15. und 19. Dezember, zwei Hintergrundartikel gebracht, die sich mit den Grundlagen von Telegram beschäftigen.
Repressive Fantasien fernab der Realität
Somit erscheint Druck auf die Internet-Konzerne theoretisch zwar möglich, würde aber selbst im Erfolgsfalle wenig bringen, denn die Messenger-App lässt sich direkt von der Telegram-Homepage herunterladen. Also müsste auch der Zugang zur Telegram-Adresse weltweit gesperrt werden, was sich als technisch undurchführbar erweisen dürfte.
Wie ratlos Politik und Mainstream-Medien im Umgang mit den spontan und an vielen Orten gleichzeitig stattfindenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen sein müssen, zeigt der Schluss des Kommentars in der Welt. Die politische Verzweiflung scheint groß zu sein, wenn der eine oder andere Ministerpräsident oder auch Bundespolitiker ausgerechnet durch ein Verbot und das Abschalten von Telegram das Ende aller Corona-Spaziergänge herbeizuführen versucht – Maßnahmen, die dieselben Politiker (oder Massenmedien) sonst nur weißrussischen und russischen oder den Behörden anderer Staaten vorwerfen, die man im Westen üblicherweise nicht zu seinen Freunden zählt. Es muss schon ziemlich schlimm stehen, wenn erst eine AfD-Politikerin auf diesen Tatbestand in aller Deutlichkeit hinweisen muss.
Klischees
Angesichts des Umstandes, dass Telegram sich bisher der deutschen Rechtsprechung erfolgreich zu entziehen vermochte und weiterhin als Kommunikationsplattform frei zugänglich ist, bleibt als letzte Möglichkeit der Abschreckung der alten und möglicher neuer Nutzer nur die pauschale Diffamierung von Telegram als "rechts". Bei alldem ginge es eigentlich nur um die Durchsetzung von Recht und Gesetz:
"Ein drohendes Verbot wird nicht dafür sorgen, dass Mordaufrufe im Netz verschwinden. Es wird auch nicht dafür sorgen, dass Baupläne für Bomben nicht mehr geteilt werden. Aber es könnte dafür sorgen, dass Telegram sich endlich an Gesetze hält und Beiträge, die eindeutig nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, löscht."
Verfassungsschutz im Hintergrund
Dass es auch etwas differenzierter geht, zeigt ein Interview, das die Welt mit Jörg Müller, dem Präsidenten des Verfassungsschutzes Brandenburg, vor Weihnachten über die Teilnehmer an den Corona-Protesten geführt hat: "Bei weitem seien nicht alle Rechtsextreme oder Leugner der Pandemie", fasst die Redaktion das Gespräch zusammen. Allerdings meinte auch Müller, die Extremisten würden die normalen Demonstranten "missbrauchen". Teile und herrsche. Ein Verbot von Telegram hält der Verfassungsschutzpräsident aber "nicht für realistisch", "zumal in anderen Ländern Telegram auch positive Botschaften versenden kann". Siehe oben. Müller habe von "Impfterminen gelesen, die über Telegram verteilt worden sind". Straftaten, die im "realen Leben verfolgt" werden, müssten auch im Falle von Telegram verfolgt werden: "Aufrufe zu Gewalt, Aufrufe zu Mord, und eben auch tatsächlich Hass und Hetze in permanenter Form". Deshalb müsse das bereits erwähnte Netzwerkdurchsetzungsgesetz Anwendung finden.
Um nicht allzu streng mit der Welt zu sein: Auch der Spiegel reibt sich an Telegram auf ganz ähnliche Weise, und es ließen sich Dutzende weitere Beispiele in derselben Tonlage und mit denselben Doppelstandards in der deutschen Presse finden. Aber das ist ein anderes, wenn auch verwandtes Thema.
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