Der Euro ist 20 Jahre alt, aber seine Tage könnten gezählt sein
Ein Kommentar von Paul A. Nuttall
Obwohl der Euro bereits 1999 zunächst virtuell als Buchgeld ins Leben gerufen wurde, jährte sich am 1. Januar 2022 der Tag, an dem viele Europäer zum ersten Mal die knisternden frischen Banknoten der neuen Währung in die Hände bekamen. An diesem Tag wurde der Euro damals in 12 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Verschwunden waren bald die D-Mark, der Franc, die Peseta, die italienische Lira – um nur einige zu nennen – und der von Frankfurt am Main aus kontrollierte Euro betrat die Bühne.
Es war ein Tag, der von denjenigen gefeiert wurde, die seit vielen Jahren von einem föderalen Europa geträumt hatten. Tatsächlich war eine gemeinsame Währung seit Anbeginn in den 1950er Jahren, das Herzstück des "europäischen Projekts", obwohl dieser Aspekt noch viele Jahre lang auf Eis lag. Die Erzföderalisten mussten bis zum Vertrag von Maastricht von 1992 warten, um ihre Träume wahr werden zu lassen. Dieser Vertrag, der beinahe eine britische Regierung zu Fall brachte, führte die "Europäische Union" (EU) offiziell auch auf den Weg zu einer Währungsunion und damit zur Schaffung des Euro.
Gemäß den Bestimmungen musste ein Mitgliedsstaat bestimmte wirtschaftliche EU-Konvergenzkriterien erfüllen, um sich für den Beitritt zur neuen Währungsunion zu qualifizieren. Allerdings wurden diese Kriterien auch manipuliert oder teilweise ignoriert, was den Verdacht erhärtete, dass es bei dieser Währung immer mehr um Politik als um Wirtschaft ging. Eines der Schlüsselelemente der Kriterien war beispielsweise, dass ein Mitgliedsstaat ein Haushaltsdefizit von nicht mehr als 3 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufweisen darf. Dennoch durften die Länder ihre Zahlen manipulieren, um dennoch sicherzustellen, dass sie der jungen Währung beitreten konnten.
Mein ehemaliger Chef, der Ökonom und ehemalige Abgeordnete im EU-Parlament Dr. John Whittaker, warnte im Jahr 2006, dass die Mittelmeerstaaten durch ihre Mitgliedschaft im Euro wirtschaftlich in eine prekäre wirtschaftliche Lage geraten wären. Und er hatte Recht, obwohl seine Warnungen in Brüssel dennoch ignoriert wurden. Als es 2008 zur globalen Wirtschaftskrise kam, sahen insbesondere Spanien, Portugal, Italien und Griechenland ihre Volkswirtschaften dezimiert. Griechenland zum Beispiel war in einer Währung gefangen, die seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen nicht angemessen war. Die Lohnkosten waren hoch, die Produktivität niedrig, die Kreditaufnahme war zu hoch, und der Euro-Kurs raubte dem Land auf dem Weltmarkt jegliche Wettbewerbsfähigkeit.
Ich argumentierte damals, dass es für Griechenland besser gewesen wäre, den Euro zu verlassen und zur Drachme zurückzukehren, die es dem Land ermöglicht hätte, seine eigenen Zinsen und Wechselkurse festzulegen und dadurch die Wirtschaft wieder wachsen zu lassen. Auch wenn wahrscheinlich auch die Fürsten in Brüssel und die Erbsenzähler in Frankfurt wussten, dass dies für die Griechen besser gewesen wäre, konnten sie es sich nicht leisten, dies zuzulassen. Wäre Griechenland zu seiner eigenen Währung zurückgekehrt und hätte seine Wirtschaft umkrempelt, so hätten Spanien, Portugal und womöglich sogar Italien nachgezogen. Die Entscheidung, Griechenland in der Euro-Zwangsjacke zu halten, war offensichtlich ein Vorsatz, der von der Politik und nicht von der Wirtschaft diktiert wurde.
Die Griechen waren daher gezwungen, Brüssels bittere Medizin zu schlucken, gemixt aus der Absetzung der demokratisch gewählten Regierung, drastischen Haushaltskürzungen und der Ernennung einer "Troika" aus dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission, um die Finanzangelegenheiten Griechenlands zu regeln. Die griechische Situation hat bewiesen, dass der Beitritt zur Eurozone mit dem Eintritt in das albtraumhafte "Hotel California" vergleichbar ist; man kann es einfach nicht mehr verlassen. Einmal drin, ist man immer drin – und es wird beim Euro zur Einbahnstraße in Richtung einer immer enger werdenden Fiskalunion.
Das Problem mit dem Euro ist, dass er nicht zu den jeweiligen lokalen wirtschaftlichen Bedingungen passt. Er ist eine Einheitswährung, die eine Vielzahl unterschiedlicher Volkswirtschaften umfasst. Und das erklärt auch, warum die EU noch mehr wirtschaftliche Konvergenz anstrebt. Nehmen wir zum Beispiel die Zinssätze. Wenn eine Wirtschaft boomt, ist in der Regel ein höherer Zinssatz wünschenswert. Aber wenn eine Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert, sind niedrige Zinsen an der Tagesordnung. Allerdings legt ja die Europäische Zentralbank (EZB), die den Euro beaufsichtigt, einen einheitlichen Zinssatz für alle derzeit 19 Mitgliedsstaaten der Eurozone fest. Daher ist es schlichtweg unmöglich, immer allen gerecht zu werden, weshalb viele Mitgliedsstaaten mit Zinssätzen zu kämpfen haben, die mit ihrer derzeitigen Volkswirtschaft unvereinbar sind.
Tatsächlich hat sich in den letzten 20 Jahren gezeigt, dass der Euro-Zinssatz am besten der deutschen Wirtschaft angepasst ist. Die Bedürfnisse der Menschen in den Volkswirtschaften an der Peripherie der EU waren zweitrangig. In gewisser Hinsicht ist das verständlich, denn Deutschland ist die größte und wichtigste Volkswirtschaft der EU und stellt auch deshalb mit Frankfurt am Main den Sitz der EZB. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Studie des Zentrums für Europäische Politik aus dem Jahr 2019 bestätigt, dass nur Deutschland und die Niederlande von der Euro-Einführung profitiert haben, während viele andere Länder, darunter Frankreich und Italien, Wohlstandsverluste hinnehmen mussten.
Vernünftigerweise – würde ich urteilen – sind nicht alle EU-Mitgliedsstaaten dem Euro beigetreten. Polen und Ungarn blieben draußen, die Dänen lehnten die Einführung der Währung im Jahr 2000 in einem Referendum ab und die Schweden folgten dem im Jahr 2003.
Auch Großbritannien weigerte sich als EU-Mitgliedsstaat, dem Euro beizutreten. Der frühere Premierminister Tony Blair wollte zwar den Euro im Land einführen, wurde aber vom damaligen Schatzkanzler Gordon Brown geerdet und sah sich dann gezwungen, ein Referendum über die die Einführung der Währung in Betracht zu ziehen, was dann aber nie stattfand. Wäre Großbritannien damals dem Euro beigetreten, wäre der Brexit noch schwieriger geworden.
Vor einigen Wochen trafen sich die Finanzminister der Eurozone in Brüssel, um auf das 20-jährige Jubiläum der Währung anzustoßen. Ohne Zweifel hat es bei diesem Anlass viel Schulterklopfen und Champagner gegeben. Aber wird der Euro auch noch seinen 30., 40. oder 50. Geburtstag erleben? Ich bin mir keineswegs sicher. Die Risse innerhalb der EU weiten sich aus, und irgendwann muss sich die Union entscheiden, was sie sein will: entweder ein europäischer Superstaat oder eine lockerere Ansammlung unabhängiger Staaten. Wenn sie diese Entscheidung nicht klar fällt, könnte die EU daran auseinanderbrechen – und der Euro würde infolgedessen unweigerlich dasselbe Schicksal erleiden.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments sowie ein prominenter Aktivist für den Brexit.
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