Fakten unerwünscht: Wer der offiziellen Doktrin widerspricht, fliegt
von Susan Bonath
Deutsche Medien, Politiker und Institutionen überbieten sich dieser Tage mit moralischen Bewertungen. Der Ukraine-Krieg hat die aus der Corona-Krise bekannte Hybris noch einmal auf die Spitze getrieben. An Analysen und Hintergrundinformationen mangelt es indes. Es "rollen Köpfe": Weltberühmte Künstler, geframet als "Putinfreunde", verlieren ihre Jobs, russische Medien werden verbannt. In der Causa Corona geht es ähnlich weiter: Die Krankenkasse BKK ProVita feuerte ihren Vorstand Andreas Schöfbeck fristlos. Sein "Vergehen": Er wollte Abrechnungsdaten zu Impfnebenwirkungen überprüfen lassen. Das ist offensichtlich nicht erwünscht.
Ohne Prüfung: Rauswurf nach über 20 Jahren
Schöfbeck war mehr als 20 Jahre lang Vorstandschef der zu den Betriebskrankenkassen BKK gehörenden BKK ProVita. Ihm war aufgefallen, dass sich vermehrt Mitglieder mit mutmaßlichen Impfnebenwirkungen in ärztliche Behandlung begeben haben. Das habe ihn besorgt, sagte er im Gespräch mit der Autorin. So holte sich Schöfbeck einen Informatiker und Datenanalysten zu Hilfe, um sich einen Überblick über die gesamten Abrechnungsdaten aller zur BKK gehörenden Kassen zu verschaffen. Insgesamt haben diese fast elf Millionen Mitglieder.
Dabei stellte sich heraus, dass sich von Januar bis Mitte August 2021 rund 224.000 Patienten insgesamt fast 250.000 Mal wegen ärztlich diagnostizierter Impfnebenwirkungen behandeln ließen. Im gleichen Zeitraum der Vorjahre erhielten lediglich rund 8.000 Patienten eine solche Diagnose, diese Zahl war über Jahre sehr stabil. Nach Abzug dieses Mittelwerts kam damit ein Überschuss von 216.000 Patienten mit Impfnebenwirkungen zustande.
Ihre Fälle hatten die ambulant behandelnden Ärzte mit den ICD-Codes T88.1, T88.0 oder Y59.9 für allgemeine Impfnebenwirkungen abgerechnet, später vermehrt mit dem Code U12.9, den die WHO – eher still und leise – zum 1. April speziell für Probleme im Zusammenhang mit der Verabreichung von COVID-19-Vakzinen eingeführt hatte.
Schöfbeck sagte, er habe nach dieser Analyse im Sinne seiner Patienten handeln müssen. In seinem Schreiben an das für Impfstoffüberwachung zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sprach er von einem "erheblichen Alarmsignal, dem dringend nachgegangen werden müsse. Denn hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung und das ganze vergangene Jahr könne dies bedeuten, dass bis zu drei Millionen Menschen wegen diagnostizierter Impffolgen ärztlich behandelt wurden. Das PEI verzeichnet hingegen "nur" rund 244.500 Meldungen von Nebenwirkungen, darunter knapp 30.000 schwerwiegende.
Nachdem zuerst die Welt darüber berichtet hatte und einige weitere Zeitungen, darunter der Nordkurier und die Berliner Zeitung, das Thema kurz darauf ebenfalls aufgriffen, reagierte das PEI. Es wolle die Daten überprüfen und bewerten. Am Dienstag wollte es sich zudem mit Schöfbeck und weiteren Fachleuten dazu austauschen. Doch Ex-Vorstand Schöfbeck hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Posten verloren. Den Part sollte nun sein bisheriger Stellvertreter und neuer Vorstandschef der BKK ProVita, Walter Redl, übernehmen. Darüber informierte die Kasse selbst. Den Grund verschwieg sie dabei aber.
Shitstorm mit unbelegten Behauptungen
Hat der Verwaltungsrat der BKK ProVita mit Schöfbecks Rauswurf auf den medialen Shitstorm reagiert? Das Vorgehen der Medien ist sehr gut dokumentiert. Nachdem die Welt, dann die Berliner Zeitung, der Nordkurier und einige private Blogs über die BKK-Zahlen berichtet hatten, herrschte kurzzeitig Schweigen im Walde. Dann brach der Shitstorm los: Der Virchowbund, ein Ärzteverband, denunzierte die Kasse als "Schwurbel-BKK".
Sein weitgehend einziges Argument: Wahrscheinlich habe es sich um normale Impfreaktionen gehandelt, dies sei nicht überprüft worden. Belege für seine Vermutung brachte der Verband nicht. Man begnügte sich mit Mutmaßungen. Zahlreiche Medien allerdings übernahmen diese undifferenzierte Kritik. Der Spiegel bezweifelte gar die Kompetenz dieser Krankenkasse und riet von Fragen an diese ab.
Der die Öffentlich-Rechtlichen hielten sich insgesamt zurück bei diesem Thema. Nur der Bayrische Rundfunk (BR) schlug in die Kerbe des Virchowbundes – mit einem Beitrag, den er nach der Kündigung Schöfbecks noch einmal umschrieb. Der frühere Titel lautete noch "BKK verbreitet irreführende Zahlen zu Impfnebenwirkungen".
Twitter-Beitrag als "Quelle"
Der BR führte die gleiche problematische Begründung für seine Behauptung an: Wenn Ärzte ihre Behandlungsfälle mit ICD-Codes abrechnen, die ausdrücklich für Nebenwirkungen und nicht bloß 'normale' Impfreaktionen stehen, bedeute dies noch keine tatsächliche echte Nebenwirkung. Womöglich seien hier in der Mehrzahl der Fälle nur kurzzeitige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden, weil "der Patient sich wegen bekannter Impfreaktionen, wie Müdigkeit, einen Tag oder länger nicht fit fühlte". Die Quelle des BR: Ein Twitter-Beitrag des Hausarztes und Internisten Christian Kröner. Fachliche Belege sucht man auch hier vergeblich – wie auch: Die Sache wurde ja bisher nicht untersucht.
Der Faktenprüfung würdig ist aber auch noch eine weitere Behauptung des öffentlich-rechtlichen BR: Das PEI sammele überhaupt keine Impfreaktionen, "die bereits aus den Zulassungsstudien bekannt und in den Beipackzetteln und Aufklärungsbögen der Impfstoffe aufgeführt sind. Abgesehen davon, dass man nicht weiß, wie viele von diesen 216.000 BKK-Patienten tatsächlich "nur" normale Impfreaktionen hatten: Das stimmt schlicht nicht. Das PEI ist durchaus auch dafür zuständig, "normale" Impfreaktionen zu erfassen, schon um zu wissen, ob etwa nur einer von tausend oder einer von zehn Geimpften an tagelangen Kopfschmerzen leidet. Und um beim Beispiel Kopfschmerz zu bleiben: Der kann sehr verschiedene Ursachen haben.
"Sollten wir die Studie vorher selbst machen?"
Die fehlende Untersuchung ist genau die Krux: "Es ging uns überhaupt nicht darum, selbst zu überprüfen, was genau die Patienten für Erkrankungen hatten, sondern darum, die Daten bereitzustellen, um sie dann überprüfen zu lassen", erläutert der Informatiker, der die Zahlen ausgewertet hatte, im Gespräch mit der Autorin. Nicht umsonst habe Schöfbeck von einem Alarmsignal gesprochen.
"Hätten wir erst eine fertige Studie anfertigen lassen müssen – und wen hätten wir damit beauftragen sollen?", fragt er rhetorisch und betont nochmals: "Wir wollten lediglich eine belastbare Datengrundlage für eine Analyse schaffen." Nur durch eine umfassende Untersuchung könne abgeklärt werden, ob es sich tatsächlich um harmlose Impfreaktionen handelt. "So etwas kann man doch nicht einfach behaupten, ohne dass es dafür Belege gibt", kritisiert er und pflichtet Schöfbeck bei: Es sei besser, lieber einmal zu oft genauer hinzuschauen, als Alarmsignale zu ignorieren – gerade bei einer Behandlung, die massenhaft angewendet wird und die bereits ab Mitte März verpflichtend für Beschäftigte im Gesundheitssektor ist. "Alles andere wäre doch fahrlässig", so der Informatiker.
Auch Krankenhausdaten sind ein Alarmsignal
Mit dem offiziellen Bezweifeln von Impfnebenwirkungen dürfte es angesichts einer weiteren Datenanalyse zudem noch schwerer werden: Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) erfasst jährlich die genauen Abrechnungsdaten aller Patienten. Diese sind für jeden auf einem öffentlichen Browser einseh- und auswertbar.
Demnach hat sich die Zahl der mit einem der Codes für Impfnebenwirkungen abgerechneten Krankenhausfälle um etwa das 19-fache gegenüber dem Jahr 2020 erhöht, die der entsprechenden Intensivbehandlungen um mehr als das 13-fache. Insgesamt entspricht dies einem Plus von rund 24.000 Fällen, bei den Intensivpatienten etwa 2.500 Fällen mehr als im Vorjahr. Fast 16.000 Patienten erhielten demnach sogar Diagnosen mit dem Code U12.9, der Schäden nach Corona-Impfungen bezeichnet und erst seit April 2021 gültig ist.
Viele Hauptdiagnosen passen hier genau in das Spektrum bereits bekannter, jedoch offiziell als "sehr selten" deklarierter unerwünschter Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Kreislaufkollaps, Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung, Embolie und verschiedene Arten von Herzproblemen. Der Unterschied zu den Kassendaten der ambulanten Behandlungsfälle: Die Patienten waren so schwer krank, dass sie in einer Klinik behandelt wurden.
Darüber hinaus ist bereits ohne Analyse von einer Untererfassung auch schwerer Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen auszugehen. Grund ist das passive Meldesystem. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass viele Ärzte aus Zeitmangel oder Unkenntnis Arzneimittelnebenwirkungen nicht melden. Frühere Studien gehen davon aus, dass gerade einmal ein bis zehn Prozent tatsächlicher Nebenwirkungen gemeldet werden.
Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, wären repräsentative Kohortenstudien nötig. Das heißt: Eine Gruppe von Geimpften, die von ihrem Alter und ihrem Gesundheitszustand her repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist, müsste nach ihrer Impfung genau beobachtet und untersucht werden. Von solchen Studien ist der Autorin bisher aber nichts bekannt.
Repressalien sind auch eine politische Drohung
Bleibt die politische Dimension des fristlosen Rauswurfs. Schöfbeck ist nicht der erste, der wegen einer abweichenden Ansicht in Corona-Fragen mit Repressalien belegt wurde. Wer als Arzt Atteste für Befreiungen von Impfungen und der Maskenpflicht ausstellt, muss fürchten, strafrechtlich verfolgt zu werden. Richter können mit den gleichen Folgen rechnen, wenn sie politisch unliebsame Urteile fällen. Das alles ist bereits geschehen. Auch eine differenzierte Sichtweise zur Ukraine-Krise kann nunmehr existenzielle Folgen haben. Und vielleicht auch bald die Arbeit für zu "Feindsendern" erklärte russische Medien.
Das alles sind politische Signale, mehr noch: Drohungen. Die Botschaft dahinter: Es reicht nicht, wenn du friedlich deine Arbeit machst. Du darfst nicht aufmucken, nicht dem politischen Narrativ widersprechen, es nicht mit Fakten torpedieren. Hüte dich vor Kontaktschuld. Reiß dich zusammen und schweige, sonst geht's dir an den Kragen. Gesetzlich geregelt ist das freilich nicht. Doch dies scheint ohnehin mehr und mehr eine untergeordnete Rolle zu spielen – in Deutschland.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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