Nachdenken über die Pressefreiheit: Aufgabe von Journalisten ist es nicht, Kriege zu gewinnen
von Rainer Rupp
Der diesjährige Bundespresseball im Berliner Luxushotel Adlon Kempinski war der allseits bewunderten "jungen und lebendigen Demokratie Ukraine" und "deren Pressefreiheit" gewidmet. Star dieser Feier mit 1.800 handverlesenen Gästen war der ukrainische Botschafter in Berlin, Dr. Andrei Melnyk. Ein Mann, der Deutschland provoziert und sich offen als Nazi-Sympathisant zeigt. Melnyk erfreut sich bei den deutschen Konzern- und Regierungsmedien außerordentlicher Beliebtheit, was auch an den zahllosen Interviews und Talkshow-Einladungen messbar ist. Das hat ihn offensichtlich ermutigt, den deutschen Bundespräsidenten Steinmeier wie auch den Bundeskanzler Scholz in aller Öffentlichkeit in einer Form verbal zu erniedrigen, was selbst jedem deutschen Firmenchef, der seinen Angestellten so behandelt, sofort eine Strafanzeige ins Haus gebracht hätte.
Bei dem Presseliebling Melnyk wagt jedoch kaum jemand, mit gleicher Münze heimzuzahlen, und wenn das doch jemand tut, muss er sich anschließend entschuldigen. Melnyk führt sich weiterhin auf wie ein von Washington, D.C. entsandter Vize-König, der die Deutschen auf Trapp gegen die Russen bringen soll. Bei den deutschen Qualitätsmedien hat Melnyk das zweifelsfrei bereits geschafft. Daher hat er sich auf dem Parkett im Adlon auch bei allen Vertretern der deutschen Presse für deren Propagandakrieg bedankt, den diese in den letzten Monaten unermüdlich an der Seite der Ukraine gegen die russischen "Untermenschen" geführt haben. Er sagte wörtlich:
"Liebe deutsche Journalistinnen und Journalisten, herzlichen Dank für Ihre unermüdliche Arbeit! Nur mit Ihrer Hilfe und Unterstützung kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen."
Zum Glück gibt es daneben noch einige Journalisten in Deutschland, die sich von einer derart primitiven Anmache nicht geschmeichelt fühlen, sondern entsetzt sind. So schrieb Ramon Schack in einem offenen Brief am 2. Mai 2022 in der Tageszeitung Neues Deutschland unter anderem:
"Die Aufgabe von Journalisten ist es nicht, Kriege zu gewinnen, wie Sie es in Ihrer Lobhudelei anzudeuten pflegen. Guter Journalismus zeichnet sich durch genaues Hinschauen, durch Grautöne und eben nicht durch Schwarz-Weiß-Bilder aus. Sicherlich, der Gesinnungsjournalismus ist zu einem Machtinstrument geworden. Sie, sehr geehrter Herr Botschafter, schreiben von Journalismus, meinen aber Propaganda, genauer ausgedrückt Kriegspropaganda.
Kriegspropaganda ist eine stete Begleiterscheinung von militärischen Konflikten. Diese muss man dabei als eine Art Waffe begreifen, als Bestandteil der politisch-militärischen Strategie jeder beteiligten Seite. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass Sie die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda verinnerlicht haben, welche der englische Diplomat Baron Arthur Ponsony einst erstellt hatte. Von Kriegspropaganda verstehen Sie mehr als vom Journalismus, auch mehr als von der Diplomatie, ihrem Metier – erstaunlicherweise.
Sicher habe ich Verständnis für eine Regierung und ihr diplomatisches Personal, wenn in Zeiten eines Verteidigungskrieges nicht immer die Klaviatur der diplomatischen Gepflogenheiten erklingt. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass ein Botschafter versucht, die außen- und innenpolitischen Gegebenheiten des Gastlandes zu beeinflussen, so wie Sie es versuchen – nicht ohne Erfolg.
Dies wird zum Beispiel daran deutlich, dass mit Beginn des Krieges in der Ukraine bestimmte Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg, die in der Bundesrepublik als Staatsräson galten, quasi über Bord geworfen und entsorgt werden. Ihre betrübliche Bewunderung für Stepan Bandera, dessen Anhänger in Ihrer Geburtsstadt Lwiw 1941 – und nicht nur dort und dann – die schlimmsten Massaker an der jüdischen, später der polnischen Bevölkerung anrichteten, ist sicher das düsterste Beispiel. Selbst jene Medien, die sich ansonsten gegen »jeden Antisemitismus« positionieren, lassen Ihnen das durchgehen. In der Bevölkerung der Bundesrepublik kommt dieses aber immer weniger an.
Sehr geehrter Herr Botschafter, Sie drängen ja quasi darauf, dass Berlin Ihre historische Perspektive zu übernehmen hat. Geben Sie sich diesbezüglich keinen Illusionen hin, es wird Ihnen nicht gelingen, einen Antisemiten und Hitler-Bewunderer der deutschen Öffentlichkeit als ukrainischen Freiheitskämpfer zu verkaufen. Dieses steht Ihnen auch nicht zu
…Ebenso wenig haben Sie der hiesigen Öffentlichkeit mitzuteilen, wer in Deutschland als »Fremdkörper« zu gelten hat.
Am heutigen Tag der Pressefreiheit darf ich Sie auch daran erinnern, dass die Ukraine auch vor Ausbruch dieses Krieges nur Platz 97 auf der Rangliste der Pressefreiheit belegte. Schon vor dem Krieg wurde die Ukraine von ihren Eliten und der jeweiligen politischen Führung unter Wert verkauft und schlecht vertreten.
Ihre Amtszeit als Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Sie vertreten die Ukraine schlecht und unter Wert.
Hochachtungsvoll, Ramon Schack
In der Tat: Kiews Erfolgsbilanz in Bezug auf Demokratie, bürgerliche Freiheiten und Pressefreiheit war schon vor der aktuellen Verschärfung des seit acht (!) Jahren tobenden Krieges in der Ostukraine nicht viel besser als die Meisterleistungen des Regimes in puncto Korruption. Hier, bei der Korruption, nimmt die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit im internationalen Ranking einen absoluten Spitzenplatz ein. Zugleich hatten die seit 2014 durchgeführten, oft tödlichen ethnischen Säuberungsaktionen des Kiewer Regimes, um die Ukraine russenfrei zu machen, überhaupt nichts mit Demokratie, bürgerlichen Freiheiten und Pressefreiheit zu tun. Auf der Rangliste der freien oder unfreien Demokratien der Welt, die alljährlich von dem in Washington, D.C. beheimateten "Freedom House" angefertigt wird, kam das Kiewer Putsch-Regime im Bericht 2022 nur auf Platz 61, womit es zwei Punkte schlechter dasteht als Malawi mit 59 und einen Punkt besser als Angola mit 62 Punkten. Dabei kann man gewiss diesem "Freedom House" in den USA keine Sympathie für Russland nachsagen.
Interessanterweise rangierte Ungarn auf derselben Liste sogar 8 Punkte besser als die Ukraine; und dies, obwohl Ungarn wegen einer sozial-konservativen Innenpolitik des Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dessen Ablehnung des EU-Neoliberalismus häufiges Ziel heftiger Kritik vonseiten militanter Demokratie-Kreuzritter ist, die zugleich jedoch ständig die Ukraine unkritisch loben.
Der Bericht von "Human Rights Watch" über die Ukraine für das Jahr 2021 ließ das Regime in Kiew alles andere als gut aussehen. Dort heißt es: "Gerechtigkeit für konfliktbedingte Misshandlungen von Menschen durch Regierungstruppen, einschließlich willkürlicher Inhaftierungen, Folter oder Grausamkeiten, blieb schwer erreichbar." Ebenso beunruhigend ist, dass die Regierung Gesetzesänderungen zur Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit durgesetzt hat. Wörtlich heißt es bei Human Rights Watch: "Journalisten und Medienschaffende wurden im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung belästigt und bedroht." Das sind nicht gerade die Merkmale dessen, was westliche Bewunderer gern als die "junge und lebendige Demokratie" bezeichnen.
Schon vor Beginn der russischen Operation zur Entwaffnung und Entnazifizierung der Ukraine sei "das Ausmaß der Repression unter Präsident Selenskij besorgniserregend gewesen", schrieb jetzt Ted Galen Carpenter, Senior Fellow und ehemals langjähriger Vize-Präsident für Verteidigungs- und Außenpolitikstudien am Cato Institute. Als Autor von 12 Büchern und mehr als 950 Artikeln über internationale Angelegenheiten ist Carpenter kein Unbekannter. Seine nachfolgende Analyse der Pressefreiheit in der "jungen und lebendigen Demokratie" Ukraine ist vernichtend:
Im Februar 2021 schloss die ukrainische Regierung mehrere oppositionelle Medien mit dem Vorwurf, sie seien russische Propagandainstrumente. Der Besitzer von drei der geschlossenen Fernsehsender, Wiktor Medwedtschuk, war zwar ein langjähriger Freund von Wladimir Putin, aber er war auch ein ukrainischer Staatsbürger, der angeblich berechtigt war, an einer freien Presse teilzunehmen. Im Mai 2021 verhaftete die Selenskij-Regierung Medwedtschuk und klagte ihn wegen Hochverrats an. Als sich das Jahr 2021 dem Ende zuneigte, gab es unheilvolle Anzeichen dafür, dass die 'demokratische' Regierung der Ukraine immer autokratischer wurde
…Ende Dezember klagten die Behörden sogar den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko wegen Hochverrats an. Ähnlich wie die Französische Revolution wurde die ukrainische Maidan-Revolution zunehmend intolerant und zeigte Anzeichen dafür, dass sie einige ihrer eigenen Anführer verschlang.
Die Dinge sind seit Beginn der Kriegszeiten entschieden schlimmer geworden. Selenskij nutzte den Krieg prompt als Rechtfertigung für das Verbot von 11 Oppositionsparteien und die Zusammenlegung aller nationalen Fernsehsender in einer Plattform, um eine einheitliche Botschaft über den Krieg zu gewährleisten und sogenannte Desinformation zu verhindern. Das allgemeine Miasma der Repression wird immer dicker. Selenskij feuerte zwei hochrangige nationale Sicherheitsbeamte und beschuldigte sie, Verräter zu sein. Andere, weniger bekannte Beamte haben ähnliche Schicksale erlitten.
Tatsächlich sind vage 'Verrats'-Anschuldigungen zu einer Waffe geworden, um Verhaftung, Folterung und sogar Ermordung einer wachsenden Zahl von Regimegegnern zu rechtfertigen. Die Vorfälle sind viel zu zahlreich geworden, um in einem Kommentar diskutiert zu werden, aber man kann hier
und hier gute, detaillierte Recherchen dazu finden.Zelenskajas Verhalten macht die Heldenverehrung, die ihm jetzt in vielen amerikanischen Nachrichtenmedien zukommt, zu einem Witz. Ein typisches Beispiel ist ein schmeichelhafter Artikel des Kolumnisten Bret Stephens in der 'New York Times' vom 19. April 2022, in dem die vielen Gründe beschrieben werden, warum [US-]Amerikaner den ukrainischen Führer so sehr mögen. Eine davon ist: "Wir bewundern Selenskij, weil er die Idee der freien Welt an ihren richtigen Platz zurückgebracht hat … Und die Verantwortung der freien Welt besteht darin, jedem ihrer Mitglieder, die von Invasion und Tyrannei bedroht sind, zu helfen und sich dafür einzusetzen."
Wem das noch nicht genug ist, der lese weiter. In dem von Carpenter zitierten Artikel der New York Times fährt der Schreiberling Bret Stephens noch fort:
"Wir bewundern Selenskij, weil er die Hoffnung hegt, dass unsere eigenen unruhigen Demokratien noch Führer wählen können, die uns inspirieren, adeln und sogar retten können. Vielleicht können wir das tun, wenn die Stunde für die Menschen in der Ukraine und ihren unbeugsamen Führer noch nicht ganz so spät ist wie jetzt."
Dazu kommentiert Ted Galen Carpenter: "Selenskijs Opfer, die sich jetzt in seinen Folterkammern befinden, würden Stephens' Narrativ wahrscheinlich widersprechen." Dann vergleicht Carpenter die Ukraine mit dem Pulverfass Balkan im 19. Jahrhundert und zitiert dazu den damaligen deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck:
Der hatte damals Argumente für eine militärische Intervention auf dem chronisch instabilen Balkan zurückgewiesen und erklärt, dass der Balkan "nicht das Leben eines einzigen pommerschen Grenadiers wert" sei.
Carpenter schließt mit den Worten: "Die korrupte und zunehmend autoritäre Ukraine ist nicht das Leben eines einzigen Amerikaners wert. Das Risiko eines Krieges mit einem atomar bewaffneten Russland, der Millionen von Amerikanern das Leben kosten könnte, ist mehr als beschämend. Die Biden-Regierung muss mehrere entschlossene Schritte vom Abgrund zurücktreten."
In Berlin scheinen die "Ampel"-Koalition und die CDU/CSU-Fraktion, vor allem aber die Bündnis-Grünen, mit Hurra-Demokratismus bereit zu sein, nicht nur die Bundeswehr, sondern ganz Deutschland für "die korrupte und zunehmend autoritäre Ukraine" zu opfern.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.