Meinung

Böse Vorzeichen zum 9. Mai: Berlin will "Heil der Ukraine" statt Tag des Sieges

Den 8. Mai zu feiern, tat sich die Bundesrepublik immer schwer, und der Tag des Sieges am Treptower Ehrenmal war eine Veranstaltung, die man gerne los geworden wäre. Dieses Jahr will man sie ukrainisieren. Damit wird alles, wofür diese Tage stehen, infrage gestellt.
Böse Vorzeichen zum 9. Mai: Berlin will "Heil der Ukraine" statt Tag des SiegesQuelle: Sputnik © Alexey Vitvitsky

von Dagmar Henn

Die Meldungen der letzten Wochen, seit sich eine uneingeschränkte und unhinterfragte "Solidarität mit der Ukraine" hierzulande ausbreitet, haben sich in meinem Kopf zu einem Videoclip vermischt. Zur Melodie von "Football's coming home" mit angepasstem Text verwandeln sich die Zuseher vor dem Fernseher, die erst Aufnahmen aus der heutigen Ukraine sehen, von Schwenkern blaugelber Fähnchen bis zu Trägern von Naziuniformen, während auf dem Bildschirm am Ende Aufnahmen des Nürnberger NSDAP-Parteitags von Riefenstahl zu sehen sind..." Der Nazismus kehrt zurück", als locker-flockiger Popsong.

Vor wenigen Tagen gab es in Berlin eine kleine Gedenkkundgebung für die Opfer von Odessa. Alle Symbole und Fahnen waren verboten. Die Polizei achtete penibel darauf, dass kein Georgsband und keine sowjetische Fahne zu sehen war. Und auch wenn man denken sollte, dass das Erinnern an die Opfer eines Massakers, dessen Realität nicht geleugnet werden kann, eine andere Qualität hat als eine Kundgebung zur Forderung X oder Y, hatte die Verwaltung eine ukrainische Gegenkundgebung direkt daneben genehmigt, die auch ungehindert niederbrüllen durfte; mit den gleichen Parolen, die die Täter vor dem Gewerkschaftshaus in Odessa gerufen hatten.

Was war letztlich der Inhalt dieser Gegenkundgebung? Wäre es darum gegangen, zu behaupten, in Odessa sei nur ein Unglück geschehen, kein Verbrechen, selbst das hätte nicht gebrüllt werden können. Schon gar nicht mit "Heil der Ukraine!" Es gibt nur eines, was sich brüllen lässt: Die Befürwortung dieser Morde. Das ist die einzige Aussage, die als Gegenaussage möglich ist. Eine Aussage, die nicht hätte zugelassen werden dürfen, und doch zugelassen wurde. So steht es in Berlin wenige Tage vor dem 9. Mai.

Es hat lange genug gedauert, in der Westrepublik, bis die Formulierung "Tag der Befreiung" für den 8. Mai Teil des offiziellen Sprachgebrauchs wurde. Es dauerte genau vierzig Jahre. Auch wenn es objektiv eine Befreiung war, auch wenn diese Republik von sich behauptete, etwas ganz anderes, Demokratischeres zu sein, man machte sich lieber mit den Tätern gemein als mit den Opfern und redete weiter vom Tag der Kapitulation oder dem Tag der Niederlage. Die andere Erzählung, in der der Tag der Niederlage im Jahr 1933 zu suchen ist und in der der 8. Mai 1945 das ersehnte Ende einer langen Nacht war, konnte sich nur in der zweiten deutschen Republik behaupten.

Es gibt eine Geschichte, die in der DDR sehr bekannt war, dort zu einem Roman und dann zu einem Film wurde; eine wahre Geschichte, die illustriert, wie sich das Ringen um Vergangenheit und Gegenwart in dem Ringen um Symbole niederschlägt. Die Fahne von Kriwoj Rog. Die Fahne gibt es immer noch, sie liegt heute im Depot des Deutschen Historischen Museums.

1929 erhielten die Kommunisten in der Bergbauregion des Mansfelder Landes aus der Bergbauregion Kriwoj Rog in der Sowjetunion eine bestickte Fahne. Die Fahne wurde stolz bei allen Kundgebungen mitgetragen; Grund genug, dass ab 1933 die Nazis sehr interessiert daran waren, diese Fahne zu finden, um sie zu zerstören. Zwölf Jahre lang wurde sie versteckt und beschützt, zwischen Tischdecken eingenäht oder in der Mauer eines Kaninchenstalls, bis sie 1945 wieder hervorgeholt wurde, um die Rote Armee zu empfangen. Diese Geschichte machte diese Fahne zu einem Symbol der Befreiung.

Nicht nur die Fahne von Kriwoj Rog ist mit dem Ende der DDR in Kellern verschwunden. Die Berliner Regierungen taten sich immer schwer mit dem Treptower Ehrenmal, das sie nun einmal durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu erhalten verpflichtet waren. Zu groß, Denkmal und Friedhof mitten auf lukrativem Baugrund, und dann auch noch sowjetisch. Nein, nicht nur irgendein Denkmal, sondern der Schlusspunkt einer Reihe, die in Wolgograd mit dem erhobenen Schwert beginnt und in Treptow mit dem gesenkten endet. Eigentlich wäre es ihnen immer am liebsten gewesen, wenn die ganze Anlage einfach irgendwann vergessen wird.

Schließlich hatte man sich offiziell auf die Totalitarismusdoktrin verlegt, nach der der ganze Zweite Weltkrieg irgendwie ein Krieg zwischen zwei Übeln war. Das macht es leichter, die amerikanischen Verbündeten zu glorifizieren, deren eigentlicher militärischer Beitrag eher bescheiden war. Aber die Totalitarismustheorie war immer schon eine Lüge, eine im US-Auftrag erarbeitete Lüge, die dazu diente, zu vernebeln, was der Faschismus wirklich war und ist – in allen, wirklich allen Varianten, mit oder ohne Rassismus, mit Militärdiktatur oder ohne, immer militanter Antikommunismus.

Als in der Ukraine im Jahr 2014 die Nacht anbrach, begann das mit Auseinandersetzungen um Denkmäler und Gedenkveranstaltungen. Um Georgsbänder und Siegesfahnen. Das ging Ort für Ort, oft an den Jahrestagen der Befreiung. Wer die Rote Armee ehren wollte, wurde angegriffen. Erst mit Worten, dann mit Schlägen, mit Knüppeln, und in einer Spanne von nur zwei Monaten waren aus Worten Schusswaffen und Panzer geworden. Auf das Massaker von Odessa folgte das von Mariupol, am 9. Mai 2014. Verübt von jenen, die uns in Deutschland heute als Helden von Mariupol verkauft werden.

Die Berliner Stadtoberen tun so, als wollten sie sich der Auseinandersetzung entziehen, und beziehen doch Position. Sie teilen die heuchlerische Ansicht, der russische Militäreinsatz in der Ukraine wäre ein Grund, die Leistung der Roten Armee nicht mehr ehren zu müssen. Zugegeben, der deutsche Geschichtsunterricht schweigt sich gerne aus über diesen Krieg da im Osten. Aber es war sieben Mal die gesamte Bevölkerung der Stadt Berlin, die in diesem Kampf ihr Leben verlor. Auf sowjetischer Seite. Das war der Preis der Befreiung. Sieben Mal die gesamte Stadt, mit Mann und Maus, da darf das Denkmal auch etwas größer sein. Nicht zu vergessen all die Verbrechen, die auf der Wegstrecke beendet wurden, wie Auschwitz.

In den 1970ern entstand eine Dokumentarfilmreihe über den Krieg, den die Wehrmacht gegen die Sowjetunion führte, eine US-amerikanisch-sowjetische Koproduktion mit Burt Lancaster als Sprecher der amerikanischen Version. Sie hieß "Der unbekannte Krieg," eben weil im Westen nicht darüber gesprochen wurde. In der Bundesrepublik schon gar nicht. Schließlich war die Sowjetunion der aktuelle Feind. Bis heute gab es nie eine ernsthafte Bemühung, wahrzunehmen, wie erbittert dieser Kampf war, und wie hoch der Preis dieses Sieges.

Gab es ein einziges Jahr, in dem die Gedenkveranstaltungen in der Normandie von deutschen Offiziellen boykottiert wurden, weil die USA einen ihrer unzähligen Kolonialkriege führten und gerade wieder einmal ein Land zerbombten? Ein einziges? Nein, das gab es nicht. Aber man meint, sich von denen, die den wirklichen Blutzoll für das Ende des Naziterrors entrichtet haben, abwenden zu dürfen, wegen eines Militäreinsatzes, der im Vergleich zu den US-Kriegen, selbst wenn man ihn für völlig illegitim hält, eine Lappalie ist.

Was, bitte, hat Deutschland Vergleichbares für die Menschheit geleistet? Woher nehmen diese Herrschaften ihr Gefühl moralischer Überlegenheit? Als Leihgabe aus Washington, D.C.? Jeder einzelne der in Treptow bestatteten Rotarmisten hat Wertvolleres geleistet, hat mehr Ehre und Würde als der gebündelte Berliner Senat, der sich, um das Maß voll zu machen, mit seiner Mischung aus Totalitarismus-Gläubigkeit, Russophobie und US-Indoktrinierung auch noch für "links" hält.

Aber wenn es nur ein Boykott wäre. Der Ablauf der Gedenkkundgebung zu Odessa ist der Musterfall, nach dem sie auch an diesen beiden Tagen, dem Tag der Befreiung wie dem Tag des Sieges, verfahren wollen. Nicht nur, dass jedes Symbol verboten ist, das für diesen Sieg der Menschheit über das Ungeheuer des Faschismus steht. Nein, es ist eine Kundgebung "für die Ukraine" genehmigt. In Treptow. Auf dem Gelände des Ehrenmals.

Wenn man den Ereignissen in der Ukraine, jetzt und in den letzten acht Jahren, genau folgt, stellt man fest, dass der Umgang mit den Toten viel aussagt über den Umgang mit den Lebenden. Ich erinnere mich an ein Video mit Sachartschenko, aus dem Sommer 2014, in dem er beklagte, die ukrainische Armee kümmere sich nicht um ihre Toten. Nicht nur die Versuche, Gefangene auszutauschen, scheiterten regelmäßig; Gleiches galt auch für die Gefallenen. Sie bleiben liegen. Es gibt dieses Video von dem Mord an russischen Kriegsgefangenen durch georgische Söldner, die auch noch die Toten verspotten. Ich habe noch kein Video von russischer Seite gesehen, in dem dieser Ton vorkommt; obwohl es hunderte gibt, mit ukrainischen Toten. Es ist immer ein menschliches Leben, das endete, eine Geschichte, die abgebrochen ist, Möglichkeiten, die nie wirklich werden. Wo der Respekt davor fehlt, ist meist alles andere, was man unter Menschlichkeit zusammenfasst, ebenfalls verschwunden.

Wenn die Rotarmisten, die in Treptow, an den Seelower Höhen und so vielen anderen Orten bestattet sind, sähen, dass man ihre Gräber mit blaugelben Fahnen dekoriert und den Gruß der ukrainischen Faschisten ruft, was täten sie, könnten sie aus ihren Gräbern steigen? Sie würden nach den Waffen greifen, um diese Reste ihres alten Feindes auch noch zu bezwingen. Auch die Ukrainer unter ihnen würden nicht anders handeln.

Unzweifelhaft, die beiden Teile gehören zusammen. Der Berliner Senat verbietet nicht nur das Gedächtnis an die Befreiung und den Tag des Sieges, Ereignisse, die für Antifaschisten eben nicht Anlass für "stilles Gedenken" sind, sondern für Freude, Erleichterung, Dankbarkeit und Stolz auf all jene, die ihren Beitrag dazu geleistet haben; nein, er öffnet die Tür für Faschisten. Er öffnet die Tür für eine symbolische und, davon kann man ausgehen, auch ganz reale Schändung der Gräber. Und es steht zu fürchten, dass er die Polizei zum Schutz seiner ukrainischen Freunde einsetzt und nicht zum Schutz derer, denen diese Tage gehören.

Die Richtung ist bereits bestimmt. Am 28. April verabschiedete der Bundestag einen Antrag mit dem Titel "Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für die Ukraine." Darin findet sich unter III., "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf..." der Unterpunkt "36. die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Ermittlungsarbeit zu unterstützen." Klein und unauffällig. Man kann, man muss diesen Satz übersetzen. Das bedeutet, der Bundestag hat beschlossen, dass deutsche Behörden ihre Daten an den ukrainischen SBU weiterreichen sollen. An diesen mit Faschisten durchsetzten Dienst, der seit Jahren Informationen über die Gegner der ukrainischen Regierung sammelt, in der Ukraine wie außerhalb, und der dafür bekannt ist, diese Informationen gerne und reichlich an Truppen wie Asow weiterzugeben.

Das deutsche Parlament hat so deutsche Behörden zu Zuarbeitern der ukrainischen Gestapo gemacht. Und es ist damit wohl nicht alleine, wie die Festnahme von Anatoli Scharij in Spanien belegt. Verbunden mit der bereits belegten Anwesenheit ukrainischer Nazis wird das zu einer akuten Gefahr. Eine Gefahr, die das deutsche Parlament mit geschaffen hat. So weit ging nicht einmal die alte Bundesrepublik. Es wurde immer gern mal gemauschelt, ob gegen spanische, griechische oder chilenische Antifaschisten, und unter der Hand etwas weitergegeben, aber offen? Auf Parlamentsbeschluss? Das ist eine neue Qualität.

Frieden und Freiheit, ernst gemeint und nicht als dekorative Losung auf NATO-Bannern, gibt es nur, wenn das Hakenkreuz zerschlagen ist und der Soldat das Schwert wieder senken kann. Aber in Deutschland ist man gerade dabei, es wieder zu flicken. Und die Botschaft, die die bronzene Gestalt vermittelt, lautet nicht mehr, dass das Übel bezwungen wurde. Sie lautet, dass es bezwungen werden wird.

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