Meinung

Trotz Bekenntnis zur Solidarität zeitigt der Druck bereits Risse in der EU-Fassade

Die EU-Administration in Brüssel zeigt sich sehr umtriebig, um die "Einheit" der Union gegen Russland zu demonstrieren, aber hinsichtlich des Energiebedarfs sind offenbar gewisse Dinge für einige Mitgliedsstaaten zu weit gegangen. Die nicht zustande gekommene Einigung über ein Gasabkommen zeigt, wie die Europäische Union nur solange "zur Ukraine stehen" kann, bis echte Opfer gebracht werden müssten.
Trotz Bekenntnis zur Solidarität zeitigt der Druck bereits Risse in der EU-FassadeQuelle: Gettyimages.ru © picture alliance

Ein Kommentar von Rachel Marsden

In der vergangenen Woche schlug die Kommission der Europäischen Union eine EU-weite Reduzierung des Gasverbrauchs um 15 Prozent vor, beginnend ab dem 1. August und bis mindestens März des kommenden Jahres. Ranghohe Offizielle aus allen 27 Mitgliedsstaaten kamen vergangene Woche zusammen, um den Vorschlag zu diskutieren und zu verabschieden, woraufhin die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter bereits jubelte: "Ich begrüße nachdrücklich die Billigung der Verordnung zur Reduzierung der Gasnachfrage und zur Vorbereitung auf den Winter durch den Rat. Es ist ein entscheidender Schritt, um der Gefahr einer vollständigen Unterbrechung der Gasversorgung zu begegnen. Dank der heutigen Entscheidung ist Europa nun bereit, seine Energiesicherheit als Union anzugehen."

Diese öffentliche Erklärung von Ursula von der Leyen birgt die Gefahr, dass die Öffentlichkeit in die Irre geführt wird und glauben könnte, dass alle Mitgliedsstaaten der gesamte EU mit an Bord sind – bei dieser von der EU-Kommission präsentierten Vision. Aber die einzige wirkliche Einigkeit besteht darin, dass jene EU-Länder, die sich weigern, ihren Gasverbrauch zu reduzieren, tatsächlich zustimmten, dass diejenigen, die keine Alternativen haben und denen keine Wahl bleibt, möglicherweise ihre Versorgung rationieren müssen. Es gibt also in Wirklichkeit keine Solidarität innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten, gemeinsam den Verbrauch freiwillig um 15 Prozent zu senken. Und die EU-Kommission ist gezwungen, diese unangenehme Realität zu akzeptieren, auch wenn sie versucht, daraus eine Demonstration der Einheit zu machen.

In Wirklichkeit ging es nur darum, dass die gesamte EU Deutschland als dem wichtigsten Wirtschaftsmotor zu Hilfe kommt, weil den Politikern in Berlin der Mut fehlte, sich selbst dem US-amerikanischen Druck zu widersetzen, als seine Pipeline-Projekte mit Russland sanktioniert wurden und dann tatenlos zusah, während die EU ebenfalls vor dem Druck aus Washington einknickte – und das alles offenbar, ohne einen tragfähigen Plan B für die eigene Volkswirtschaft zu haben. Die Regierung in Berlin hat einen schweren strategischen Fehler begangen, indem sie dermaßen stark auf erneuerbare Energien gesetzt hat, obwohl grüne Energie eindeutig für die Spitzenbedarfszeit nicht ausreicht. Aus Brüssel angestachelt führten deutsche Politiker kurzerhand ihre harte Sprachregelung vor, dass man gefälligst stark und unabhängig sei und gar keine russische Energie mehr benötige.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck prahlte öffentlich damit, im Zuge der Energiekrise die Dauer seines morgendlichen Duschens verkürzt zu haben – denn offenbar reicht das aus, um die deutsche Industrie am Laufen zu halten – wenn das nur alle so machen. Aber es war eindeutig ein reines mediales Getöse. Deutschland ist immer noch dermaßen abhängig von russischem Gas, dass es allein wegen einer turnusmäßigen 10-tägigen Abschaltung von Nord Stream 1, auf Grund lange geplanter Wartungsarbeiten, ausgeflippt und zwischenzeitlich erneut in Panik geraten ist, weil Gazprom als Betreiber der Pipeline das Liefervolumen seit vergangener Woche um 80 Prozent reduziert hat – unter Berufung auf anhaltende Probleme bei der Wartung von wichtigen technischen Komponenten infolge der westlichen Sanktionen.

Es ist die eine Sache, ständig "Erpressung mit Gas" zu krakeelen, wie es Brüssel und Berlin getan haben. Aber auf der anderen Seite haben sich beide diesen Schmerz selbst zugefügt, indem sie ihre eigene lebenswichtige Energieversorgung sanktioniert haben. Aber es ist nun einmal keine Erpressung, wenn man erst mit dem Nachbarn Streit anfängt, dann alle Kontakte zu ihm abbricht, damit dann auch noch vor der ganzen Welt prahlt, und sich dann am Ende darüber ärgert, dass besagter Nachbar den Schuppen mit einem Vorhängeschloss versehen hat, damit man nicht weiter dessen Rasenmäher mitnutzen kann.

Um den Regierenden in Berlin eine helfende Hand zu bieten, haben sich die Mitgliedsstaaten der EU nun alle darauf geeinigt, dass sie – falls Brüssel jemals eine 15-Prozent-Reduktion beim Gasverbrauch als verbindliche Maßnahme verhängen sollte – einfach fordern werden, dass man sich eben auch dagegen entscheiden darf. Das ist diese ganz spezielle Art von "Einigkeit", mit der sich die EU-Granden gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Länder wie Malta, Zypern, Irland und Portugal sind entweder nicht entscheidend am EU-Energieversorgungsnetz angeschlossen oder aber nicht wesentlich auf Gas angewiesen und wollen somit ihre Unabhängigkeit bewahren. In der Zwischenzeit traf Frankreich fast die gleichen dummen Entscheidungen wie Deutschland, indem es kopfüber in die "grüne" Energie einstieg, wich dann aber einem scharfen Konter noch aus, als es Anfang dieses Jahres erfolgreich Lobbyarbeit in Brüssel leistete, um die Atomkraft – auf die Frankreich stark angewiesen ist – neuerdings als "grün" einzustufen. Man rechnet in Paris damit, gerade noch hinreichend viele erodierende weil in der Wartung lange Zeit vernachlässigte Kernkraftwerke in Kürze wieder hochfahren zu können, um die aktuellen Turbulenzen zu überstehen.

Wie das französische Umweltministerium sodann bekannt gab, ist Paris also überhaupt nicht mit an Bord, wenn es darum geht, wirtschaftlichen und politischen ritualen Selbstmord zu begehen, um diese neuen EU-Zwangsmaßnahmen einzuhalten. Griechenland und Spanien lehnten den Vorschlag der EU-Kommission ebenfalls ab, und beide Länder bestehen darauf, die souveräne Kontrolle über ihre eigene Versorgung zu behalten.

Und dann ist da noch Ungarn, das bereits auf Hochtouren in genau die entgegengesetzte Richtung steuert und neue russische Gasabkommen unterschreibt, während andere EU-Mitglieder händeringend darüber nachdenken, wie sie den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij weiterhin bei Laune halten können, ohne ihre eigenen Volkswirtschaften vollständig zu ruinieren. Das ist eine große Herausforderung, denn selbst während sich die EU-Staaten trafen, um Brüssels neuesten Vorschlag zu erörtern, mit denen man den eigenen Bürgern noch mehr Leid auferlegen würde, wiederholte Selenskij sein Mantra, dass die EU nicht genug für die Ukraine tue und man Russland mit noch mehr Sanktionen zusetzen müsse.

Aber in Brüssel ist man offensichtlich blind oder unbeeindruckt von der Tatsache, dass Sanktionen genau der Grund dafür sind, dass sich die EU in einem wirtschaftlichen Sturzflug befindet, der letztendlich zu ernsthaften politischen Auswirkungen führen kann.

So sehr die "Eurokraten" Lippenbekenntnisse zu solcher Art Solidarität ablegen, bleibt die Realität unübersehbar, dass ein erhöhter Druck – verursacht durch die eigenen Fehlentscheidungen – bereits Risse in der Fassade verursacht.

Übersetzt aus dem Englischen

Rachel Marsden
ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite finden man unter rachelmarsden.com

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