Meinung

China könnte sich für den Besuch von Pelosi rächen – nur nicht so, wie wir es vielleicht erwarten

Warum der Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan für Peking so eine ernste Sache ist – und wie China darauf reagieren könnte. Es bleibt jedermanns Vermutung, wie sich die Dinge entwickeln. Unser Autor hat eine, die er für am wahrscheinlichsten hält.
China könnte sich für den Besuch von Pelosi rächen – nur nicht so, wie wir es vielleicht erwartenQuelle: www.globallookpress.com © imagebroker.net

Ein Kommentar von Bradley Blankenship

Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, machte am vergangenen Dienstag eine nicht offiziell angekündigte, aber mit Spannung erwartete Landung in Taiwan und stürzte damit die Beziehungen zwischen den USA und China auf einen neuen Tiefpunkt. Trotz Bedenken und Warnungen hochrangiger Washingtoner Regierungsbeamter, ist Pelosi jetzt die ranghöchste US-Politikerin, die der Insel seit 25 Jahren einen Besuch abgestattet hat. Die Umstände heute sind jedoch ganz anders als damals.

Zunächst muss erkannt werden, wie folgenreich die Entscheidung von Pelosi war, Taiwan zu besuchen. Für die USA selbst ist dies keine so ernsthafte Angelegenheit. Kongress- und Parlamentsdelegationen, nicht nur aus den USA, sondern aus vielen westlichen Ländern, reisen häufig nach Taiwan. Diese werden aber als von der jeweiligen Regierung getrennt betrachtet, da die Legislative von der Exekutive – der Regierung – getrennt ist, wobei letztere mit der Ausgestaltung der Außenpolitik beauftragt ist.

Tatsächlich bemerkte Pelosi dies in einem Tweet, nachdem sie auf der Insel gelandet war. "Unser Besuch in Taiwan ist nur einer von mehreren Delegationen des Kongresses – und er widerspricht in keiner Weise der langjährigen Politik der Vereinigten Staaten, die von der Verordnung über die Beziehungen zu Taiwan von 1979, den gemeinsamen chinesisch-amerikanischen Verlautbarungen und den Sechs Zusicherungen geleitet wird", schrieb sie.

Aber China sieht das anders. Und das liegt daran, dass die Situation heute ganz eine andere ist, als vor 25 Jahren, als der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, Taipeh besuchte. Das liegt vor allem daran, dass die damals regierende Partei Kuomintang (KMT) an der "Ein-China"-Politik festhielt, die im Rahmen des Konsenses von 1992 vom Nationalen Vereinigungsrat der Republik China – offizieller Titel für das, was im Westen als Taiwan bezeichnet wird – beschlossen wurde.

Es lohnt sich, kurz daran zu erinnern, wie Taiwan, wie wir es kennen, entstanden ist. Der Inselstaat wurde während des chinesischen Bürgerkriegs gegründet, als die regierende KMT in das chinesische Taiwan floh, nachdem sie von Kräften unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas besiegt worden war.

Die Republik China ist das Überbleibsel einer rückständigen, vorkommunistischen Regierung. Aus diesem Grund erkannte die Republik China von 1992 sich selbst – und nicht jene der Volksrepublik China (VRC) – als legitime Regierung von ganz China an. Sie verstand sich als Exilregierung. Diese Haltung war jedoch für das Festland, also die VRC, durchaus tolerierbar, da dadurch anerkannt wurde, dass es nur ein einziges China gibt und dass Taiwan ein Teil von China ist.

Erst im Jahr 2019 lehnte die derzeitige taiwanesische Präsidentin, Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP), den etablierten Konsens von 1992 vollständig ab. Zu diesem Zeitpunkt änderten sich die Dinge und Peking begann, die taiwanesische Regierung unter der DFP als "Taiwanesische Separatisten" zu bezeichnen. An diesem Punkt begann sich eine unabhängige "taiwanesische" Identität herauszubilden.

Der Besuch von Newt Gingrich wurde damals also nicht als eine Anerkennung separatistischer Kräfte gewertet – weil die damals regierende KMT sich de jure als Herrscher über China sah – während der Besuch von Pelosi als Angriff auf die nationale Souveränität Chinas betrachtet wird. Auch das Verhalten der taiwanesischen Regierung betrachtet China als stillschweigende Billigung einer Verletzung chinesischer Souveränität.

Zunächst einmal bestieg Pelosi für ihre Reise nach Taipeh ein offizielles Regierungsflugzeug, was eine offizielle Verbindung zwischen Regierungsmitgliedern in Taipeh und Washington impliziert. Teil der "Ein-China"-Zusicherung der USA ist, dass nur inoffizielle Beziehungen zu Taiwan unterhalten werden. Gleichzeitig plante das US-Militär – auch das als Teil der Regierung – Berichten zufolge, das Flugzeug von Pelosi bei einem allfälligen Notfall zu beschützen. Und um das Ganze abzurunden, sind sowohl Pelosi als auch US-Präsident Joe Biden Mitglieder derselben politischen Partei. All dies unterstreicht Chinas Beharren darauf, dass die US-Regierung die Aktion von Pelosi gebilligt und substanziell unterstützt hat.

Der Besuch von Pelosi in Taiwan wird die Beziehungen zwischen Peking und Washington auf einen neuen Tiefpunkt stürzen. "Die Taiwan-Frage ist das bedeutsamste und heikelste Thema im Herzen der Beziehungen zwischen China und den USA. Die Taiwanstraße steht vor einer neuen Runde von Spannungen und unerwarteten Herausforderungen, und die klassische Ursache sind die wiederholten Schritte der taiwanesischen Behörden und der Vereinigten Staaten, um den Status quo zu ändern", heißt es in einer offiziellen Erklärung des chinesischen Außenministeriums.

Die Frage ist nun, wie es hier weitergeht, denn die Spannungen sind bereits kurz vor dem Überkochen. Aufgrund der Spekulationen über den bevorstehenden Besuch von Pelosi, wurden Flüge in der chinesischen Provinz Fujian in der Nähe von Taiwan abgesagt oder mussten umgeleitet werden. Das Büro der taiwanesischen Präsidentin wurde Ziel eines DDoS-Angriffs aus Übersee und es wurde sogar eine Bombendrohung an Taiwans internationalen Flughafen Taoyuan gesendet. China führt zudem eine breit angelegte militärische Übung durch, die am 4. August begonnen hat und bis zum 7. August dauern sollen, und mit der praktisch die gesamte Insel Taiwan eingekreist wird und die teilweise Taiwans Hoheitsgewässer berührt.

Es macht den Eindruck, dass die USA als Reaktion Chinas nicht viel mehr als militärische Übungen und diplomatische Protestnoten erwartet haben und ebenso stellt es sich so dar, dass Peking keine unerwarteten, reflexartigen Reaktionen auf den Besuch von Pelosi zeigt. Chinesische nationalistische Kommentatoren wie Hu Xijin von der Global Times haben zwar unmittelbare militärische Reaktionen angedeutet – aber diese scheinen unwahrscheinlich.

Ein Sprichwort besagt, dass Rache ein Gericht ist, das am besten kalt serviert wird. Und China hat sicherlich viel Zeit, um dieses Gericht garen zu lassen und seinen eigenen Zeitpunkt und Ort zu wählen, um es zu servieren. Wie chinesische Kommentatoren schrieben, scheint eines sicher zu sein, dass nämlich dieser jüngste diplomatische Stunt seitens der USA, die Möglichkeit einer Wiedervereinigung von Taiwan mit China durchaus auch beschleunigen könnte.

Es gibt interne politische Dynamiken, die dies nahelegen, da die öffentliche Meinung auf dem Festland entschlossen dafür ist, Taiwan zurück in Pekings Einflusssphäre zu holen und Präsident Xi Jinping zudem bestrebt ist, sein Erbe als einer der historischen Führer Chinas zu festigen. In der zweiten Hälfte des laufenden Jahres, während des 20. Nationalkongresses der Kommunistischen Partei Chinas, strebt er eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas an – oder möglicherweise sogar die Wahl zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, eine Position, die im Jahr 1982 abgeschafft und vor allem von Mao Zedong gehalten wurde. Die Wiedervereinigung – und damit das endgültige offizielle Ende des chinesischen Bürgerkriegs – würde ihn sicherlich zu einem der wichtigsten chinesischen Führer aller Zeiten machen.

In Bezug darauf, wie China auf den Hauptverursacher der aktuellen Krise – Washington – zurückschlagen wird, so werden die Schläge wahrscheinlich dort zum Liegen kommen, wo es wirklich weh tut und wo die USA bereits die größte Destabilisierung erleben – im Wirtschafts- und Handelsbereich. Die US-Lieferketten sind unendlich mit jenen von China verflochten und der anhaltende Handelskrieg zwischen den beiden Seiten war bereits eine Quelle für die derzeitige weltweite Inflation.

Mit einem Federstrich könnte China die US-Wirtschaft ernsthaft in Bedrängnis bringen, die Inflation verschärfen und Bidens Demokraten bei den diesjährigen Zwischenwahlen aus dem Kongress fegen, was auch bedeuten würde, dass Nancy Pelosi als Sprecherin entthront wird. Es ist jedermanns Vermutung, wie sich die Dinge entwickeln, aber meiner Meinung nach scheint dies am wahrscheinlichsten zu sein.

Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Er twittert auf @BradBlank_

Übersetzt aus dem Englischen

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