Kolumbiens erster linker Präsident strebt historische Veränderungen an – falls die USA es zulassen
von Daniel Kovalik
Das letzte Mal, dass es so aussah, als würde Kolumbien einen linken Präsidenten bekommen, war im Jahr 1948 mit der Kandidatur des feurigen und populären Vorsitzenden der Liberalen Partei, Jorge Gaitán. Tragischerweise wurde Gaitán noch vor dem Wahltag ermordet, was zur Periode von "La Violencia" (Die Gewalt) führte, in der im folgenden Jahrzehnt zwischen 200.000 und 300.000 Kolumbianer getötet wurden. Im Wirrwarr, das unmittelbar auf die Ermordung von Gaitán einsetzte, trafen sich der junge Fidel Castro und Gabriel Garcia Márquez, die später zeit ihres Lebens Freunde bleiben sollten, kurz in den Straßen von Bogotá. Es ist immer noch ungewiss, wer hinter der Ermordung von Gaitán steckte, obwohl eine der Versionen – und die sicherlich auch meiner Überzeugung entspricht –, dass es die neu geschaffene CIA war, die für die kommenden Jahrzehnte das Instrument der USA für Regimewechsel weltweit wurde.
Auch nach der Zeit der "Violencia" blieb Kolumbien bis heute von grausamer politischer Gewalt geprägt, wobei seit 1958 über 220.000 Menschen dadurch ums Leben kamen. In den letzten Jahren wurde diese Gewalt hauptsächlich vom Militär und von paramilitärischen Todesschwadronen verübt, die eng mit den rechtsgerichteten Regierungen verbunden waren, die Kolumbien seit 2002 ununterbrochen regiert haben und die von den USA unterstützt wurden. Die staatliche Gewalt seit 2002 ist erschütternd, wobei das Militär allein zwischen 2002 und 2008 mindestens 6.400 – möglicherweise gar bis zu 10.000 Menschen – ermordet hat. Inzwischen gelten über 92.000 Kolumbianer als spurlos verschwunden und über 5 Millionen Kolumbianer sind Binnenvertriebene, was einer der größten Zahlen von Binnenvertriebenen weltweit entspricht.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der zahlreichen Morddrohungen, die sowohl Gustavo Petro als auch Francia Márquez während des Präsidentschaftswahlkampfs und in den Jahren zuvor erhalten haben, befürchteten viele, dass beide dasselbe Schicksal wie Gaitán erleiden könnten. Tatsächlich bestritten beide ihre Wahlkampfauftritte hinter kugelsicheren Glaswänden, um sich vor der sehr realen Bedrohung durch ein Attentat zu schützen. Diese Bedrohung hat nicht etwa nachgelassen, nur weil sie jetzt gewählt wurden. Selbst die ganze Amtszeit zu überleben, wird eine sehr reale Herausforderung sein.
Die Bedrohung, die Petro und Márquez für das System und die Machtstrukturen, sowohl in Kolumbien als auch in Washington, darstellen, geht von ihrem Versprechen aus, jenen Einfluss zu brechen, den reiche Oligarchen seit Jahrhunderten über Kolumbien ausüben, den Reichtum umzuverteilen, indem die Steuerlast zugunsten der ärmeren Schichten verschoben wird, und das soziale Sicherheitsnetz auszubauen, was der armen und entrechteten indigenen Bevölkerung zugutekommen soll. Kolumbien ist von seiner Struktur her eine der ungleichsten Gesellschaften der Welt. Diejenigen an der Spitze der Pyramide werden ihren Reichtum, ihre Ländereien oder ihre Macht nicht einfach so abtreten. Auch die USA, die Kolumbien mittels dieser Elite dominieren, werden dies nicht einfach so zulassen. Darüber hinaus ist Kolumbien der einzige NATO-Partner in dieser Hemisphäre außerhalb Nordamerikas, der engste Verbündete der USA in Lateinamerika und eine Operationsbasis, um die gesamte Region zu dominieren. Die USA, die diesen Teil der Welt immer noch durch die Brille der Monroe-Doktrin sehen, werden sich jedem Versuch von Petro und Márquez, dies zu ändern, entschieden entgegenstellen.
Washington gerät bereits jetzt schon in Panik, angesichts der Tatsache, dass mit der Wahl von Petro und Márquez fünf der größten Volkswirtschaften Lateinamerikas nun von linken Präsidenten regiert werden – und es könnten bald sechs werden, falls Luiz Inácio Lula da Silva, der derzeitige Spitzenkandidat in Brasilien, in diesem Jahr wiedergewählt wird. Das offizielle Washington spricht unverblümt darüber, dass es die Kontrolle über die riesigen Ressourcen der Region nicht abgeben will und diese linken Präsidenten, die beabsichtigen, die Ressourcen ihrer Länder zum Wohle des eigenen Volkes zu nutzen, stehen der US-Dominanz im Weg. Die Kommandeurin des United States Southern Command (SOUTHCOM), General Laura Richardson, machte kürzlich deutlich, dass der Schwerpunkt der Operationen der USA in der Region darauf liegt, die Kontrolle über die "außergewöhnlichen" Ressourcen der Region beizubehalten. Wie sie erklärte, befänden sich 60 Prozent des weltweiten Vorkommens an Lithium in dieser Region, es gebe große Reserven an schwerem Rohöl und leichtem süßem Rohöl, Seltene Erden und noch den gigantischen Amazonas-Regenwald. Die USA haben nicht die Absicht, sich die Kontrolle über all diese Ressourcen aus den Händen nehmen zu lassen.
Kurz gesagt, über der neuen Regierung von Petro und Márquez schwebt die reale Gefahr eines Regimewechsels und es wird Wachsamkeit und internationale Solidarität erfordern, um sicherzustellen, dass diese Bedrohung nicht in Taten umgesetzt wird. Lateinamerika braucht dringend jene Art von sozialem Wandel, die von Petro und Márquez versprochen wurde und es muss sichergestellt werden, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, die andere wie Gaitán oder Präsident Salvador Allende in Chile ereilte, die beide dasselbe versprochen hatten.
Übersetzt aus dem Englischen.
Daniel Kovalik lehrt Internationale Menschenrechte an der University of Pittsburgh und ist Autor des kürzlich erschienenen Buches "No More War: How the West Violates International Law by Using 'humanitarian' Intervention to Advance Economic and Strategic Interests".
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