Meinung

"Protestieren statt frieren" – Protest, um Protest zu verhindern

Die Bühne für den Herbst wird aufgebaut, und man kann zusehen, wie Kulissenteil für Kulissenteil auf Position geschoben wird. Das beginnt mit Denunziationen und Vorbereitungen der Bundeswehr, geht weiter über Inszenierungen und wird nun durch zahnlose Proteste ergänzt.
"Protestieren statt frieren" – Protest, um Protest zu verhindernQuelle: www.globallookpress.com © Stefan Sauer

Von Dagmar Henn

Wenn Uwe Hiksch irgendwo auftaucht, weiß man schon, dass etwas faul ist. Schließlich war er nicht umsonst die letzten Jahre hindurch Organisator und treibende Kraft diverser Regierungsprozessionen unter dem Titel "Unteilbar", jene Pseudodemonstrationen, die nur bestätigen sollten, dass eigentlich alles gut ist. Wenn Hiksch, Bundesgeschäftsführer der Naturfreunde, nun eine Demonstration organisiert, die sich gegen die Verschlechterung der Lebensverhältnisse in Deutschland richtet, dann muss da ein Wurm drin sein.

Und da ist ein Wurm. Die Nachdenkseiten haben Hiksch interviewt und berichten: "Auf die Frage der NachDenkSeiten, wie sich das Bündnis zur Forderung nach der Aufhebung der Sanktionen verhält, wurde uns erklärt, dass diese Forderung bisher keinen Konsens im Bündnis fand und diese Frage derzeit noch weiter diskutiert wird. Allerdings sei die Forderung, artikuliert als Meinung einzelner Bündnispartner, im Rahmen der Bündnisaktivitäten zulässig."

Schönen Dank auch. Die lebenswichtige, zentrale Forderung, den Wirtschaftskrieg zu beenden, darf gerade mal mitgetragen werden. Kein Wunder, neben "Aufstehen" finden sich auch Vertreter der Linkspartei im Bündnis, die im ganzen Zusammenhang um die Ukraine nicht gerade durch überentwickelte Rückenmuskeln aufgefallen ist (wenn sie nicht gerade selbst leidenschaftlich Denunziation betreiben, wie der Bürgermeister von Lichtenberg, der eine Straße dort nach Odessa benennen will und jetzt serienweise Anzeigen gegen jene verteilt, die meinen, das wäre dann ein passender Ort, um an das Massaker vom 2. Mai 2014 zu erinnern).

Die Mehrheit zumindest derjenigen, die Zorn auf diese Politik verspüren und sich nicht still leidend in einen Katastrophenwinter schicken lassen wollen, weiß sehr wohl, dass sowohl die hohen Energiepreise als auch die ungeheuren Gewinne mancher Energiekonzerne das Ergebnis der Sanktionspolitik sind. Und sie wollen ihr Ende. Das aber will die Regierung nicht.

Ganz im Gegenteil. Die letzten Wochen haben längst gezeigt, in welche Richtung die Rhetorik gehen wird – jeder, der die Sanktionen in Frage stellt, ist rrrrrechts. Auf diese Weise hofft man, möglichst viele von einer Teilnahme an Protesten abhalten zu können. Es gibt auch noch andere Ereignisse in diese Richtung – letzte Woche fand ein, interessanterweise nicht weit verbreiteter, Besetzungsversuch bei Nord Stream 2 statt, der aus dem Umfeld der neonazistischen "Identitären" gestartet wurde. Dass dieses Ereignis nicht sofort breit ausgeschlachtet wurde, lässt sich im Grunde nur auf eine Weise deuten – die Bilder werden in Reserve gehalten, um sie zu nutzen, falls es zu größeren Protesten kommt. Das hat schließlich mit dem vermeintlichen "Sturm auf den Reichstag" im vergangenen Jahr auch gut funktioniert. Und seit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren ist ganz klar, wer diese Organisationen steuert.

Hiksch steht gewissermaßen für den zweiten Flügel einer Zangenbewegung. Auf der einen Seite gibt es den rechten Popanz, der gut inszeniert wird, und auf der anderen Seite wird eine weitgehend entleerte Demonstration als Möglichkeit zu "legitimen Protesten" angeboten; eine Art betreutes Demonstrieren, bei dem jeder wirkliche Angriff auf die Regierungspolitik schon in der Konstruktion des Bündnisses unterbunden wird. Die Forderungen sind dementsprechend eine Mischung aus halbherzig und illusionär. Alles ist gut, solange niemand eine Einstellung des Wirtschaftskriegs fordert.

Die erste lautet: "Weg mit der unsozialen Gasumlage". Die zweite: "Lebensmittelpreise runter, Löhne und Einkommen rauf!". Die dritte: "Gesetzliche Deckelung der Gas- und Strompreise", die vierte: "Krisengewinne besteuern", und die fünfte: "Energiewirtschaft in öffentliche Hand."

Schließung der Spekulationsmärkte für Gas und Strom ist ihnen noch nicht einmal eingefallen. Gut, Gasumlage weg ist vernünftig. Lebensmittelpreise runter? Das Problem bei den Lebensmittelpreisen sind gestiegene Dünger- und Treibstoffpreise; dazu kommt ein durch die Düngerpreise ausgelöster Rückgang der Produktion, was das Angebot verknappt. Das Angebot würde nur dann steigen, wenn die Voraussetzung des Rückgangs, sprich, die Sanktionen verschwunden wären. Aber das ist ja die verbotene Forderung.

Gesetzliche Deckelung der Gas- und Strompreise? Die wäre gar nicht nötig, ohne diesen unsinnigen Wirtschaftskrieg. Wenn sich Deutschland nicht momentan in einer Art NATO-Geiselhaft befände und noch dazu als Spielfeld zur Verwirklichung irrwitziger grüner Pläne diente, wären die Gas- und Strompreise genau da, wo sie letztes Jahr auch waren.

Krisengewinne besteuern und Energiewirtschaft in öffentliche Hand? Was daran schwer zu begreifen ist – wenn eine Bewegung so stark wäre, dass es ihr gelingen könnte, die Energiewirtschaft zu verstaatlichen, dann wäre sie auf jeden Fall so stark, die Sanktionen zu beenden und für etwas Vernunft in der deutschen Politik zu sorgen. Aber in der gegenwärtigen Lage würde eine Verstaatlichung der Energiewirtschaft zwar vielleicht einen Teil der durch die steigenden Preise erzielten Sondergewinne der Allgemeinheit zuführen, aber nichts, rein gar nichts am fehlenden Angebot ändern. Und es ist das fehlende Angebot, das die Probleme auslöst. Und das ist wiederum die Folge – Tusch – der Sanktionen. Und eines unglaublich arroganten, gedankenlosen Verhaltens der Bundesregierung.

Die übrigens nicht nur aus den Grünen besteht, und die für ihren Irrsinn die Rückendeckung fast des gesamten deutschen Parlaments hat, das offenkundig eine unstillbare Sehnsucht verspürt, einmal einen Untergang live zu erleben.

"Lasst uns gemeinsam ein Bündnis für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit schmieden und auf die Straße gehen. Wir fordern: Energie und Essen für alle! Schluss mit der Eskalation – die Waffen nieder! Für einen heißen Herbst – soll sich die Regierung warm anziehen!"

Es ist schon erbaulich, wenn Hiksch, der für all die Demonstrationen verantwortlich war, die bekundeten, dass die Bundesrepublik ein Hort von Demokratie, Frieden und sozialer Gerechtigkeit sei, plötzlich eine solche Forderung stellt. Aber diesmal hat er ja die Funktion des Grenzpostens. Seine Aufgabe besteht darin, durch das Angebot einer harmlosen Demonstration mögliche Proteste zu spalten und sicherzustellen, dass das Narrativ von den pösen Rrrrechten, die hinter allen Protesten gegen die Sanktionen stecken, erhalten bleibt.

"Die Waffen nieder"... niemand ist für nichts verantwortlich. Zumindest nicht im Westen. Nicht für den Bruch der Minsker Vereinbarungen, nicht für die Aufrüstung der Ukraine, nicht für die Sabotage der Verhandlungen in Istanbul im April, das alles ist nicht passiert, wir fordern einfach "die Waffen nieder". Selbst wenn man nur diesen Satz ernst nähme, wäre eine Beendigung des Wirtschaftskrieges notwendiger Teil dieser Forderung. Denn Sanktionen sind nur die moderne Form der Belagerung, auch wenn sie in diesem konkreten Fall mal dazu führen, dass die Belagerer hungern und frieren.

Nein, bei einer solchen Demonstration muss sich die Regierung nicht warm anziehen, außer, es steht den Herrschaften gerade der Sinn nach dem Kaschmirpullover. Sie können sich zufrieden zurücklehnen, weil die entscheidende Funktion erfüllt ist – zu verhindern, dass sich die Wut, wie es logisch und faktisch angebracht ist, gegen die Sanktionspolitik richtet. Und womöglich gar noch Frieden mit Russland und China fordert.

Bedauerlich, dass es immer noch so viele gibt, die den Braten nicht riechen, wenn irgendwo Uwe Hiksch steht. Sich darauf einlassen, für eine vermeintliche Breite des Bündnisses die eine Forderung fallen zu lassen, deren Umsetzung das Elend tatsächlich beenden und das Land vor einer Katastrophe bewahren könnte. So ähnelt dieser Protest, wie groß oder klein er auch werden mag, einem Schwerverletzten, der Bluttransfusionen fordert, statt die Blutung zu stillen. Nein, schlimmer noch, der gleichzeitig hilft, eine Stillung der Blutung zu verhindern.

Denn, wie gesagt, diese Art des Protestes wird nur eines bewirken – dabei mitzuhelfen, dem wirklichen Protest die Legitimität abzusprechen. Denn es ist der verbotene Gedanke, die gerade gnadenhalber noch halb geduldete Forderung, die den Weg zu einer Lösung weist: Frieden mit Russland, Beendigung des Wirtschaftskriegs, Öffnung von Nord Stream 2.

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