Meinung

Washington ist Moral egal – es sorgt sich nur darum, nicht erwischt zu werden

Recherchen der Washington Post haben ergeben, dass das Pentagon eine "umfassende interne Überprüfung" über seine heimliche Informationskriegsführung durchführte. Grund für die Überprüfung war, dass zuvor eine Vielzahl von Pentagon-"Bots" in den sozialen Medien aufgedeckt wurde.
Washington ist Moral egal – es sorgt sich nur darum, nicht erwischt zu werdenQuelle: www.globallookpress.com © Ron Sachs/CNP/AdMedia

Von Felix Livschitz

Eine investigative Recherche der Washington Post hat ergeben, dass das Pentagon eine "umfassende interne Überprüfung darüber durchführt, wie es seine heimliche Informationskriegsführung betreibt". Zuvor wurde eine Vielzahl von Social-Media-Konten aufgedeckt, mit denen Auftragsagenten des Pentagon ein ausländisches Publikum in aufwändigen Bemühungen der psychologischen Kriegsführung ansprachen. Diese Konten verstießen gegen Regeln der Social-Media-Plattformen und wurden schließlich von internen Fachleuten ermittelt und aus den sozialen Netzwerken entfernt.

Der Berater für Verteidigungspolitik Colin Kahl soll gefordert haben, dass jede Abteilung des Pentagon, die an "psychologischen Online-Operationen" beteiligt ist, bis Oktober einen vollständigen Bericht über ihre Aktivitäten vorlegt. Grund waren Bedenken auf hoher Ebene, dass das Verteidigungsministerium versucht habe, "ein Publikum im Ausland zu manipulieren", und damit deutlich über das Ziel hinausschoss.

Diese Befürchtungen wurden offenbar durch die Veröffentlichung eines wegweisenden Berichts des Unternehmens für Social-Media-Analyse Graphika und des Stanford Internet Observatory im August geschürt. Dieses fand heraus, dass in den letzten fünf Jahren hunderte von Social-Media-Konten prowestliche Narrative verbreitet haben – wie im aktuellen Propaganda-Blitz mit fortgeschrittenen Anti-Russland-Narrativen, einschließlich der Kritik am Krieg des Kreml in der Ukraine – und die wahrscheinlich von der Centcom-Einheit des Pentagon betrieben wurden.

Centcom ist für militärische Operationen aller Art in 21 Ländern im Nahen Osten, in Nordafrika sowie in Zentral- und Südasien verantwortlich. Laut dem Bericht von Graphika befand sich unter den gelöschten Konten eine fiktive Nachrichtenagentur in persischer Sprache, die Inhalte teilte, die von den staatlichen US-Propagandaplattformen Voice of America Farsi und Radio Free Europe repostet wurden. Es wurde festgestellt, dass ein Konto Inhalte gepostet hatte, in denen behauptet wurde, Angehörige verstorbener afghanischer Flüchtlinge hätten gemeldet, dass die Leichen ihrer Angehörigen mit fehlenden Organen aus Iran zurückgebracht worden seien. Offensichtlicher Zweck der Übung war es, die Flucht der Afghanen in das Nachbarland zu verhindern. Der Grund dafür ist nicht klar, obwohl ein Verteidigungsbeamter der Washington Post sagte, dass eine solche Aktivität "absolut eine Verletzung der Doktrin und der Trainingspraktiken" wäre.

Bemerkenswerterweise erfuhr die Zeitung auch unabhängig davon, dass Facebook im Jahr 2020 Fake-Accounts dauerhaft verbannte, die von Centcom erstellt wurden, um Behauptungen entgegenzuwirken, dass das Coronavirus aus dem US-Labor für Biowaffen in Fort Detrick entwichen sein könnte. In anderen Fällen propagierten diese Accounts Informationen, die von Faktenprüfern als falsch beurteilt wurden.

Das Problem ist, dass man erwischt wurde

Die von Kahl angeordnete Prüfung ist tiefgreifend und umfassend. Er möchte wissen, "welche Arten von Operationen durchgeführt wurden, auf wen sie abzielten, welche Mittel verwendet wurden und warum Militärkommandanten diese Taktiken gewählt haben und wie effektiv sie damit waren".

Die Washington Post äußert ohne Ironie Bedenken hinsichtlich der Taktiken der psychologischen Kriegsführung des Pentagon, die in erster Linie Washingtons angebliche "moralische Überlegenheit" weltweit gefährdet, wobei ein namentlich nicht genannter Diplomat mit den Worten zitiert wird:

"Im Allgemeinen sollten wir nicht die gleichen Taktiken anwenden wie unsere Gegner. Wir sind eine Gesellschaft, die auf bestimmten Werten aufgebaut ist. Wir fördern diese Werte auf der ganzen Welt und wenn wir solche Taktiken anwenden, untergräbt das nur unsere Argumentation darüber, wer wir sind."

Einwohner des globalen Südens – darunter viele der Länder, die in den Zuständigkeitsbereich von Centcom fallen – könnten bei der Rede von "Werten" kurz aufhorchen, wenn man bedenkt, wie die USA in ihren Ländern jahrzehntelang durch offene Interventionen und heimliche Einmischung operiert haben.

Was erklärt also die plötzliche Zunahme interner Besorgnis über die Exzesse der psychologischen Kriegsführung des Pentagon? Hinweise sind an anderer Stelle im Bericht der Washington Post zu finden. In einer merkwürdigen Passage im Text wird beispielsweise festgestellt, dass Vertreter von Facebook und Twitter das Pentagon direkt kontaktierten, um es zu warnen, dass man dessen Social-Media-Konten hochnehmen werde.

Bereits im Sommer 2020 nahm David Agranovich, Facebooks Leiter für globale Gefahrenabwehr, der selbst sechs Jahre im Pentagon und dann als Direktor für Geheimdienste im elitären Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses tätig war, Kontakt mit seinen ehemaligen Mitarbeitern auf. Er warnte, dass "wenn Facebook sie ausfindig machen könne, dann können es die Gegner der USA auch". Sein Punkt war: "Leute, ihr wurdet erwischt. Das ist ein Problem."

Führungskräfte großer sozialer Netzwerke halten es eindeutig für durchaus akzeptabel, dass ihre Plattformen als Waffen in der Informationskriegsführung benutzt werden, solange es sich um US-Militär- und Geheimdienstagenten handelt und sie dabei nicht erwischt werden. Bei welchen anderen Gelegenheiten Facebook, Twitter und Co. amerikanischen Spionen hilfreiche Hinweise gegeben haben, wie sie ihre operative Sicherheit auf Social Media verbessern und ihre schändlichen Aktivitäten effektiver verschleiern und durchführen können, ist eine offene Frage.

Tritt mir nicht zu nahe

Noch aufschlussreicher stellt die Washington Post fest, dass die vom Kongress im Dezember 2019 ratifizierte Gesetzgebung das Pentagon im Durchführen von "heimlichen psychologischen Operationen" zügellos gemacht hat, was ihm zuvor verboten war. Dies führte dazu, dass höhere Dienststellen "sehr aufgeregt" und "sehr begierig" darauf waren, diese neuen Möglichkeiten zu nutzen. Auch Rüstungsunternehmen waren "ebenso begierig darauf, lukrative geheime Aufträge an Land zu ziehen, um klandestine Einflussnahmen zu ermöglichen".

Dabei könnte die Nacht-und-Nebel-Taktik des Pentagon in das übergetreten sein, was die CIA als ihre verdeckte Autorität beansprucht, was dazu führte, dass man in Langley "beunruhigt" wurde. Auch wenn es die Washington Post nicht explizit nennt, war dies zweifellos was dem Pentagon zum Verhängnis wurde.

Spionageagenturen schützen notorisch ihre jeweiligen Reviere. Streitereien zwischen der CIA und der NSA sind ein bekanntes, immer wieder auftretendes Phänomen, zusammen mit Reibereien, Misstrauen und Streitigkeiten darüber, wer von beiden für einige der geheimdienstlichen Fehler verantwortlich gemacht werden sollte, die angeblich zu 9/11 geführt haben. Eine weitere Entität, die in ihr Revier vordringt, würde von Langley nicht geduldet – es wäre also verständlich, wenn die CIA, die am 18. September ihren 75. Geburtstag feierte, es für notwendig hielt, den neuen Rivalen aus dem Rennen nehmen zu lassen.

Graphika, das die Online-Manipulationsoperationen des Pentagon aufgedeckt hat, ist eine extrem gut vernetzte Firma, die für zahlreiche Regierungsbehörden hochrangige Arbeit geleistet hat. Es wäre für Langley ein Leichtes, seinen Forschern die richtige Richtung zu weisen oder ihnen zumindest eine Spur aus Brotkrümeln zu hinterlassen, der sie folgen können.

Im Dezember 1963 äußerte der frühere US-Präsident Harry S. Truman, unter dem die CIA gegründet wurde, als er die National Sicherheitsverordnung von 1947 in Kraft setzte, große Besorgnis darüber, zu was sie mutiert war. Er hatte ursprünglich einen effektiven Nachrichtendienst ins Auge gefasst, der das Weiße Haus regelmäßig mit Informationen versorgt, um außenpolitische Entscheidungen zu treffen. Bald war er aber beunruhigt darüber, dass der "stille geheimdienstliche Arm des Präsidenten" schnell von seiner ursprünglichen Aufgabe abgelenkt wurde und zu "einem operativen und zeitweise politischen Arm der Regierung" herangewachsen ist.

Truman stellte fest, dass "dies zu Schwierigkeiten geführt und unsere Schwierigkeiten in mehreren explosiven Bereichen verschlimmert haben könnte", und drängte darauf, dass die CIA gezügelt und zu ihrer ursprünglichen Vision zurückgeführt wird. Seine Forderungen wurden ignoriert – heute ist die CIA in vielerlei Hinsicht die wahre Regierung der USA. Und selbst das allmächtige Pentagon ist nicht vor ihr sicher.

Übersetzt aus dem Englischen.

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