Deutschland ist mattgesetzt: Der wirtschaftspolitisch perfekte Sturm
Von Gert Ewen Ungar
Die Inflationsbekämpfung ist zurzeit in aller Munde. Die Inflation liegt im Euroraum im zweistelligen Bereich. Auch für Deutschland ermittelte das Statistische Bundesamt für den Monat September eine Inflation von zehn Prozent. Getrieben wird diese vor allem von steigenden Preisen für Energie, teilt die Statistikbehörde mit.
Die Rufe nach einer Erhöhung des Leitzinses zur Inflationsbekämpfung wurden immer lauter. Jetzt wurden sie schließlich erhört. Schon seit Langem warnen Kritiker vor einer zu laxen Geldpolitik. Jahrelang lag der wichtigste Zins sowohl der EZB als auch der US-amerikanischen Zentralbank Federal Reserve (Fed) bei null Prozent. Begleitet wurde diese Politik von massiven Ankäufen von Staatsanleihen durch die Zentralbanken, streckenweise sogar von Negativzinsen, also Gebühren, für Einlagen.
Für den Euroraum hieß das verkürzt gesagt: Staaten gaben Anleihen aus, die von Banken aufgekauft werden, die sie dann an die Zentralbank weiterreichen. Wenn von "Gelddrucken" die Rede ist, ist dieser Prozess gemeint, denn mit der Kreditaufnahme weitet sich die Geldmenge aus. Der Umweg über Banken ist notwendig, weil der EZB die direkte Finanzierung ihrer Mitgliedsstaaten verboten ist. Zahlreiche Ökonomen warnen daher angesichts der ausgeweiteten Geldmenge vor einer kommenden Inflation. Jetzt ist sie da, allerdings aus ganz anderen Gründen als den vorhergesagten.
Für die Niedrigzinspolitik und all die Anleiheaufkäufe gab es gute Gründe. Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 senkte die Fed den Leitzins relativ zeitnah auf schließlich null Prozent. Ziel war es, die Kreditvergabe zu stimulieren und die Wirtschaft zu stabilisieren. Zunächst zögerlich, zog die EZB nach. Seit 2008 liegt der Leitzins in den USA seit 2016 in der Eurozone bei null Prozent. Insbesondere in der Eurozone war das Ziel, die Inflation auf etwa zwei Prozent anzuheben. Sie lag kontinuierlich weit darunter, die europäische Wirtschaft befand sich in einer anhalten Phase der Schwäche. Die Stimulierung der Inflation gelang trotz all der genannten Maßnahmen lange Zeit nicht, denn unter anderem bedingt durch die Verpflichtung zur Austerität fielen die Staaten als Investoren aus. Die eigentliche Idee war, mit faktisch kostenlos zur Verfügung gestelltem Geld sollten die Euroländer Ausgaben in die Realwirtschaft tätigen. Das taten sie allerdings kaum. Sparen und "solide Staatsfinanzen" waren wichtiger. Die Infrastruktur in der EU zerfällt, das Investitionsklima blieb schlecht, die Produktionskapazitäten sind nicht ausgelastet, die Arbeitslosigkeit ist im Euroraum im internationalen Vergleich dauerhaft hoch. Während der COVID-19-Pandemie verstetigte sich die Krise mit den staatlich bedingten Einschränkungen und Lockdowns.
Auf dieses Umfeld trafen die Sanktionen, mit denen die westlichen Staaten auf den Versuch Russlands reagierten, seine Sicherheitsinteressen militärisch durchzusetzen, nachdem zuvor alle diplomatischen Lösungen gescheitert waren. Der Westen suchte die Eskalation und bekam sie: Die Energiepreise explodieren. Die Erzeugerpreise ziehen nach, die Inflation springt nicht nur an, sondern gleich in Höhen, die in den letzten Dekaden unbekannt waren. Im September lag die Inflation im Euroraum bei über zehn Prozent. Gleichzeitig sind die Löhne rückläufig. Ganzen Branchen droht das Aus. Die USA sind bereits in der Rezession, in der Eurozone steht sie bevor.
Auch in den USA schnellte die Inflation nach oben. Die Fed reagierte darauf mit einer kräftigen Erhöhung des Leitzinses, wodurch die Inflation leicht sank. Allerdings deutlich weniger als erhofft, weshalb die Fed mit einer weiteren Leitzinserhöhung nachlegte. Die Situation in den USA unterscheidet sich allerdings grundlegend von der Deutschlands. Die USA sind deutlich weniger exportabhängig und verfügen über eigene Rohstoffe. Der wichtigste Faktor für die US-Wirtschaft ist der Binnenkonsum. In Deutschland wurde auf kräftiges Wachstum der Binnennachfrage zugunsten von niedrigen Löhnen zur Stützung der Exportwirtschaft regelmäßig verzichtet.
Die EZB schloss sich der von der Fed vorgegebenen Trendwende an und erhöhte ebenfalls zweimal den Leitzins. Damit ist aber auch ein Teil der Risiken zurückgekehrt, die zur Finanzkrise und zur Eurokrise in den Jahren nach 2008 geführt hatten. Die Inflation allerdings wird mit der Zinserhöhung nicht zu bekämpfen sein, denn der Auslöser ist extern. Die Inflation wurde nicht durch eine hohe Nachfrage bei Kapazitätsauslastung der Industrie ausgelöst. Es gibt keine Lohn-Preis-Spirale. Vor allem nicht in Deutschland. Im Gegenteil sind die Reallöhne rückläufig. Die Inflation kann nur durch Rücknahme der Sanktionen, aber nicht durch eine Leitzinserhöhung bekämpft werden.
Die Fed hat mit ihrer radikalen Erhöhung womöglich den Bogen überspannt und die Grundlage für eine weitere Bankenkrise gelegt. Die Währungen von Ländern, die nicht nachziehen und ebenfalls die Zinsen anheben, verlieren an Wert. Gleichzeitig erhöht sich erneut das Risiko von Ausfällen. In den letzten Tagen war die Schweizer Großbank Credit Suisse unter Druck geraten. Zuletzt waren die Preise für Kreditausfallversicherungen der Bank, sogenannte Credit Default Swaps, die im Fall eines Zahlungsausfalls vor Verlust schützen sollen, stark angestiegen. Die Anleger deuteten das als Vorwegnahme der Bankpleite und zogen sich zurück. Der Aktienkurs der Credit Suisse fiel rapide. Es liegt ein Hauch von Lehman Brothers in der Luft. Die Pleite dieser Investmentbank gilt als Auslöser der Finanzkrise von 2007, durch die das globale Finanzsystem in Schieflage geraten ist.
Mit ihrer Zinserhöhungen reagiert die Fed erneut im Alleingang und nicht in Absprache mit anderen Zentralbanken. Faktisch zwingt sie die EU, denn Zinsschritten zu folgen, wenn der Euro nicht gegenüber dem Dollar massiv an Wert verlieren soll. Damit aber reduziert die EZB die Bereitschaft zur Kreditaufnahme und zu Investitionen. Die ohnehin schon schwächelnde Wirtschaft der EU wird weiter gebremst. Die Leitzinserhöhung der Fed ist somit auch ein Angriff auf die europäische, vor allem auf die deutsche Wirtschaft.
Mit den zu erwartenden weiteren Zinserhöhungen der Fed und dem Abrutschen des Euro werden sich die Preise für Importe aus den USA erhöhen. Das sind für die EU und für Deutschland keine guten Nachrichten. Insbesondere im Energiebereich kooperieren die EU und ganz besonders die Bundesrepublik verstärkt mit den USA. So ist der Bezug von US-amerikanischem Frackinggas in diesem Jahr sprunghaft angestiegen. Gleichzeitig hält die EU und die Bundesregierung an der Praxis fest, keine langfristigen Verträge einzugehen. Sie geben der Preisbildung an den Spotmärkten den Vorzug.
Die USA werden in Zukunft der wichtigste Lieferant der EU und Deutschlands für Flüssiggas, prognostiziert das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI). Gleichzeitig hat sich Deutschland mit dem Verzicht auf russische Energieträger zu deutlich günstigeren Konditionen selbst ins Aus gestellt. In den Staaten am Persischen Golf holte sich zunächst Wirtschaftsminister Robert Habeck und dann Bundeskanzler Olaf Scholz eine Abfuhr. Die Golfstaaten werden nicht die Lücke schließen, die der Verzicht auf russische Energieträger gerissen hat. Nord Stream wurde durch einen Anschlag zerstört und fällt auf absehbare Zeit ebenfalls aus.
Aus Furcht vor der Abhängigkeit von russischem Gas hat sich die Bundesrepublik in eine neue Abhängigkeit begeben – in die der USA. Dass die USA aber in einer ähnlichen Weise vertragstreu sind wie Russland, kann bezweifelt werden. Es sieht ganz danach aus, als würde sich für Deutschland der perfekte Sturm zusammenbrauen. Es sieht obendrein so aus, als wäre das alles kein Zufall. Die Figuren auf dem wirtschaftspolitischen Schachbrett haben Deutschland mattgesetzt. Man kann auf den nächsten Zug gespannt sein. Es steht allerdings zu befürchten, dass die Bundesregierung bis jetzt noch nicht wirklich verstanden hat, gegen wen sie überhaupt spielt.
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