Propaganda statt Diskussion - Deutsche Geschichte wiederholt sich
von Gert Ewen Ungar
Zeitenwende bedeutet, dass sich Dinge ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihr Gegenteil wenden. Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) war eigentlich als Zusammentreffen gedacht, bei dem sich Politiker und Diplomaten informell austauschen, um eine Katastrophe wie den Zweiten Weltkrieg künftig zu verhindern. Sie stiftete den Rahmen. Das Motto ist “Frieden durch Dialog”. Die Veranstaltung wurde immer kritisch beäugt, Proteste gegen sie waren ein gut eingeübtes Ritual. Wenn sich die Mächtigen dieser Welt versammeln und untereinander verabreden, ist Misstrauen oberste Bürgerpflicht, denn was in den Hinterzimmern im Bayerischen Hof, auf dem Worldeconomic Forum in Davos oder bei den Bilderberg-Treffen abgesprochen wird, entzieht sich jeder demokratischen Kontrolle. Protest und Forderungen nach Transparenz ist daher nicht zu beanstanden.
Jetzt legt die Münchner Sicherheitskonferenz ein ganz neues Format auf und sucht direkt den Dialog mit den Bürgern - vorgeblich zumindest. "Zeitenwende on tour" ist der Titel einer Veranstaltungsreihe, für die die Münchner Sicherheitskonferenz ein Jahr durch Stadt und Land tingelt und weit mehr tut, als nur den Rahmen zu stiften. Sie betreibt aktiv Politik. Auf einer ersten Veranstaltung in Bonn macht Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) deutlich, worum es bei der Veranstaltungsreihe geht. Den Bürgern soll die "Zeitenwende" und ihre Notwendigkeit erläutert werden. Mit 100 Milliarden Euro hat sich die Bundesregierung zusätzlich verschuldet. Das Geld soll ausschließlich in die Bundeswehr und in Rüstung investiert werden.
Lambrecht lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass dies erst der Anfang ist, denn all die Investitionen ziehen weitere Ausgaben nach sich. Es braucht Personal, es braucht Wartung, es braucht Infrastruktur. Rüstung ist teuer. Deutlich macht sie auch, dass es bei der Veranstaltungsreihe nicht um einen Dialog geht, denn die Notwendigkeit von Aufrüstung steht überhaupt nicht zur Debatte. Wer für all die Entwicklung die Verantwortung trägt, auch nicht: Russland war’s. Damit es auch jeder begreift, stellt Lambrecht immer dann, wenn sie vom "russischen Überfall auf die Ukraine" spricht, das Attribut “brutal” vor.
Die Münchner Sicherheitskonferenz wird damit zum integralen Bestandteil der strategischen Kommunikation oder - weniger formal ausgedrückt - der deutschen Propaganda. Denn um nichts anderes handelt es sich bei "Zeitenwende on tour". Es ist eine Veranstaltung, auf der die Bürger auf höhere Rüstungsausgaben, auf Krieg und Entbehrung eingestimmt werden. Das passiert historisch betrachtet eigentlich immer dann, wenn sich Deutschland wieder mal groß fühlt und Führungsanspruch erhebt.
Dass sich ausgerechnet die Münchner Sicherheitskonferenz für offenkundige Propaganda hergibt, ist dabei die eigentliche Schande, denn gerade sie müsste es besser wissen.
2007 hielt Russlands Präsident Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede, die einen Wendepunkt markierte. Er warnte in dieser Rede vor dem Allmachtsanspruch des Westens und forderte eine Rückkehr zum Völkerrecht. Die UNO ließe sich nicht durch die NATO und die EU ersetzen, sagte er damals. Gleichzeitig führte er den Begriff der multipolaren Ordnung in die Diskussion ein. Der Westen war empört, sprach von einem aggressiven Akt und die Geschichte nahm ihren Lauf. Trotz des klaren Statements öffnete sich die NATO ein Jahr später gegenüber Georgien und der Ukraine. Das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine wurde vorbereitet und gegen alle Warnungen durchgepeitscht. Der gewählte ukrainische Präsident wurde mit ausländischer Hilfe weggeputscht, im Osten des Landes brach ein Bürgerkrieg aus, aber die Schuldfrage war natürlich schnell geklärt: Putin war’s.
Dieser Ablauf wirft ein Schlaglicht auf die Entwicklung der vergangenen drei Dekaden. Im Schatten all des Machttaumels, der gefühlten neuen Bedeutung und der angeblich von der Welt an Deutschland herangetragenen Bitte um Führung und Orientierung sollte sich zumindest für den ein oder anderen kritischen Geist eine Frage auftun: War die Wiedervereinigung ein historischer Fehler? Sie steht zumindest am Anfang einer Entwicklung, in deren Verlauf die Kräfteverhältnisse verschoben und die Sicherheitsarchitektur in Europa zerstört wurde. Deutschland hat an dieser Entwicklung maßgeblichen Anteil.
Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher wusste um die Unverbesserlichkeit der Deutschen und ihre Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen. "We beat the Germans twice and now they are back", sagte die Gegnerin der Wiedervereinigung. Es wird immer offenkundiger, vereinigt sind die Deutschen moralisch, der eigenen geografischen Größe und der daraus resultierenden Verantwortung nicht gewachsen. Propagandaveranstaltungen wie "Zeitenwende on tour" machen dies deutlich. Es wird hier nicht vorsichtig, tastend und offen diskutiert, sondern von oben herab diktiert, wie der Laden künftig läuft und wer es zu bezahlen hat. Das deutsche Establishment wiederholt seine Fehler immer und immer wieder. Und der deutsche Michel lässt es auch immer und immer wieder mit sich machen. Es wird auch dieses Mal nicht gut gehen. Vielleicht steht am Ende der Entwicklung die Korrektur. Deutschland ist erneut geteilt, bemüht sich wieder um Ausgleich sowie Diplomatie und ist damit für ein paar weitere Dekaden wieder halbwegs friedlich. Dem europäischen Kontinent ist es zu wünschen.
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Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.