Verloren zwischen lechts und rinks: Bodo, der wirre Besatzer
Von Dagmar Henn
Der Herbst beginnt, und die Warnungen vor dem Demonstrieren werden noch ein Stück lauter. Schließlich vergnügen sich einige bereits in Büroräumen mit 19 Grad Raumtemperatur, oder verbringen ihre Tage in unterkühlten Wohnungen. Da könnte die Versuchung steigen, sich gegen die Regierung zu wenden und Missfallen kundzutun.
Die Zeit hat gleich vier Personen beauftragt, Warnungen vor dem Protestieren zu verfassen, und einer davon war Bodo Ramelow, seines Zeichens der einzige Besatzungsministerpräsident mit Linksparteibuch. Was durchaus symptomatisch ist; der eine Ministerpräsident, der von der Partei gestellt wird, die einmal als die Stimme der Angeschlossenen galt, ist selbst ein westdeutscher Gewerkschaftsbürokrat.
Er war Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die in Verdi aufging, kam dann 1990 nach Thüringen und wurde Landesvorsitzender dieser Gewerkschaft. 1999 trat er in die PDS ein; als aus dieser und der WASG dann die Linke entstand, traf er auf viele Kollegen. Er ist die Gewerkschaftsversion all der Manager und Beamten, die damals "in den Osten" geschickt wurden, um dort die Führungspositionen zu übernehmen und alles auf Westlinie zu bringen.
Und er kann sein Fremdeln nicht verleugnen. "Die Situation ist sehr gefährlich," betont er, "es entsteht eine neue Pegida." Nein, mehr noch. "Die gezielten Aktivitäten der Freien Sachsen und Freien Thüringer im Schulterschluss mit der AfD von Herrn Höcke führen praktisch zur Bildung einer neuen öffentlich sichtbaren faschistischen Bewegung."
Man sieht schon, wie der brave westdeutsche Gymnasiallehrer, ukrainesolidarisch frierbereit, ins Mark erschrickt. Es war ja schon die ganze Zeit die Rede von den "Rechten", die da protestieren würden, aber das jetzt, das ist noch weit schlimmer. Eine faschistische Bewegung …
Alt wie das Gebirge, doch
Unternehmend immer noch.
Fährt die Dummheit mit im Zug,
lässt kein Auge vom Betrug.
Man möchte ihm zuschreien, aber ihr macht euch doch gerade selbst gemein mit wirklichen, blutbesudelten, nach Mord und Verwesung riechenden Faschisten, schickt ihnen Waffen und dreht den Menschen in Deutschland die Heizung ab, um ihnen zur Seite zu stehen. Aber das wäre nutzlos. Bodo, der Besatzer, teilt nicht nur den ganzen westdeutschen Dünkel gegenüber den Einwohnern des Anschlussgebietes; er ist ein gut dressierter Sozialdemokrat, der genau weiß, wo das Gehege der erlaubten Opposition endet, und der sich willig mit den zwei Zentimetern bescheidet, die noch zugestanden werden.
Ist er dumm genug, das nicht zu erkennen, was aus der Ukraine herübergeschwappt kommt? Dumm genug, nicht zu wissen, dass der wahre Motor von Pegida die koloniale Macht war, die die Westrepublik immer noch ausübt, deren Verkörperung er selbst ist? Weiß er nicht mehr, mit wem man sich gemein macht, wenn man sich an den Rockzipfel der Vereinigten Staaten hängt?
Es war der eigenartigste Dreh damals, nach dem Anschluss, den Menschen im Westen einzureden, die im Osten seien rechts oder hätten zumindest eine starke Neigung dazu. Dabei war es doch die BRD, die mit all den alten Nazis aufgebaut wurde, und selbst die ganzen Neonazistrukturen, die es in den 1990ern dort gab, wurden mit viel Geld und staatlich beauftragten Kräften aufgebaut. Was genau deshalb geschah, um die dortigen Traditionen zu exorzieren und gleichzeitig die West-Linke noch weiter von ihren Ursprüngen zu entfernen.
Die Art, wie der Westen den Osten übernahm, ausweidete und dann als Gerippe liegen ließ, ist immer noch ein nicht benanntes Verbrechen, und manchmal schwappt der Zorn darüber nach oben. Allerdings darf man das nicht Besetzung nennen, sondern muss tun, als wäre es eine Vereinigung gewesen, weshalb sich dieser Zorn nicht gegen die eigentlichen Besatzer richtet. Ramelow wäre einer, der das aussprechen könnte. Der die Wut hinter Pegida wieder in die richtigen Bahnen hätte lenken können. Aber er hat es nicht getan, und tut es auch heute nicht. Er handelt nach wie vor als Vertreter der westlichen Republik.
Es ist eine Kunst, die beim Aufstieg in der Gewerkschaftsbürokratie früh gelernt wird, nur das Genehmigte zu denken, die Fähigkeit zur Erkenntnis stählern einzuhegen, sodass das, was übrig bleibt, zwar aussieht wie ein Baum, aber doch nur ein Bonsai ist.
Hängend überm Wagenbord
Mit dem Arm fährt vor der Mord.
Wohlig räkelt sich das Vieh,
Singt: Sweet dream of liberty.
"Ich habe Verständnis für viele Sorgen", raunt der Herr auf seinem Sitz, "ich teile die Sorgen sogar." Und gibt dann vor, mit wem man demonstrieren darf – mit der Linken und mit den Gewerkschaften. Anders gesagt, mit all jenen, die nicht von den Sanktionen sprechen, nicht vom Verrat, nicht davon, dass hier eine Regierung der Feind ihres eigenen Volkes ist.
Es geht "jetzt um Psychologie", meint Bodo, "um Vertrauen in unser politisches System, das wir nicht verspielen dürfen". Man sieht den braven Gymnasiallehrer bedächtig nicken. Und sicher, Bodo hat allen Grund, von "unserem", von seinem politischen System zu reden.
Aber es ist keine Frage der Psychologie. Keine der Moral, sondern eine des Fressens, das bekanntlich zuerst kommt. Und es ist ein Segen, dass wenigstens in einem Teil dieser Republik noch Menschen leben, die sich nicht einlullen lassen, von "das müsse so sein, weil man der Ukraine gegen die bösen Russen helfen müsse".
"Wir brauchen verlässliche Hilfe, die ganz schnell ankommt beim Einzelnen." Das ist so weit ab vom Schuss, so weit von den wirklichen Problemen, deren Berg von Tag zu Tag weiter anwächst, dass man schon fast versucht ist, Mitleid zu empfinden. Für diejenigen, die einen Waldbrand mit einem Wasserglas löschen wollen. Wenn da nicht diese Verachtung wäre, die aus jeder Zeile tropft.
Zittrig noch vom gestrigen Schock
Fährt der Raub dann auf im Rock.
Eines Junkers Feldmarschall
Auf dem Schoß einen Erdball.
Es gibt einen weiteren Autor, den die Zeit bemüht hat, der erkennen lässt, was ganz unten, als unterste Schicht mitschwingt, bei der Verachtung für die "Ostdeutschen", die immer noch hält, selbst wenn man sich klaglos vom großen Bruder die Pipeline wegbomben lässt. "Müsste die Haltung der Ostdeutschen nach 40 Jahren sowjetischer Fremdherrschaft nicht weitaus russlandkritischer ausfallen als die der Westdeutschen?" Natürlich ist diese Frage absurd, gerade heute; niemand ist jemals tiefer gekrochen als die gegenwärtige Bundesregierung. In Wirklichkeit ist das die Sprache des Haussklaven. Mein Herrchen ist wenigstens der größte Räuber.
Der Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker ist schon so weit in den Hintergrund geschoben worden, dass es tatsächlich möglich ist, es Menschen zum Vorwurf zu machen, wenn sie ein normales Verhältnis zu Russland und seinen Menschen wünschen. Schlimmer noch, die Bilder, die genutzt werden, um gegen Russland zu mobilisieren, sind die altvertrauten, und jenen, die es in den Jahrzehnten dazwischen geschafft haben, die Nazipropaganda wirklich hinter sich zu lassen, wird das vorgehalten wie ein Verbrechen. Dabei ist es tatsächlich die Blindheit gegenüber dem wirklichen Charakter der Macht in den Vereinigten Staaten, die das Land in ganz reales Elend stürzt.
Wenn man die Augen nur fest genug schließt, kann man so tun, als wäre da nichts. Als ginge es wirklich nur darum, ein bisschen Geld zu verteilen, um ein paar kleine Härten wegen höherer Gasrechnungen abzufangen. Als ginge es nicht längst um die ökonomische Existenzgrundlage, als fände da nicht gerade ein völliger Zusammenbruch statt, gerade noch hinausgezögert von der Einbildung, der Westen könne seine Vormacht noch einmal retten, und sei es nuklear. Als hätten die abscheulichen Truppen, die man in der Ukraine stützt, nicht belegt, dass sich die Herrschenden mit dem Teufel selbst einließen, dass nichts zu widerlich, nichts zu riskant ist.
Funktionäre bundesdeutscher Gewerkschaften, wie Ramelow einer war, haben eine zentrale Funktion: nämlich dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten bescheiden mehr Brot fordern, aber nicht an Land und Frieden denken. Es ist sein Elend, dass es über kurz oder lang schon für das Brot den Frieden braucht.
Und ein Wind aus den Ruinen
Singt die Totenmesse ihnen
die dereinst gesessen hatten
Hier in Häusern. Große Ratten
Schlüpfen aus gestürzten Gassen
Folgend diesem Zug in Massen.
Hoch die Freiheit, piepsen sie,
Freiheit und Democracy!
Brecht schrieb das Gedicht, aus dem ich zitiere, 1947. Damals war schon in Ansätzen zu erkennen, dass die Westmächte, voran die USA, die Nazieliten retten und wieder an die Macht bringen wollten. "Freiheit und Democracy" ist die Losung, unter der sich im Verlauf dieses Gedichtes ein Teil dieser Eliten nach dem anderen der US-Vormacht unterwirft. Und jetzt? Ist es, als würde sich dieser Prozess umkehren; oben drüber hängt immer noch das Schild, "Freiheit und Democracy", aber darunter schälen sich wieder die schwarzen Uniformen aus den Geschäftsanzügen, und die Lautsprecherwagen der Love Parade verwandeln sich in Panzer.
Es ist der wahre Kern der westlichen Republik, der sich mit den ukrainischen Faschisten verbrüdert, der sich freudig einen Feind im Osten servieren lässt. Bodo, der Besatzer, leidet unter dem tiefen Misstrauen, das jeder Kolonialherr den Kolonisierten entgegenbringt; er sieht die Faschisten auf der falschen Seite der Gleichung. Ob er nun, treu der alten BRD und ihren Herren verbunden, die Falle aufstellt oder selbst in sie tappt, das Ergebnis ist das Gleiche, eine Wiederholung der Inszenierung der 1990er, nur in einer viel kritischeren Lage. Damals wurde auf kleine Häufchen junger Männer mit Bomberjacken gewiesen, die zur Bedrohung stilisiert wurden, während ehemalige SS-Offiziere die Universitäten im Osten von Kommunisten säuberten. Heute müht sich eine grünbraune Truppe, in Nibelungentreue zum stürzenden Hegemon, den Krieg in der Ukraine zu befeuern und Deutschland zugrunde zu richten. Und Ramelow gibt ihren willigen Büttel und denunziert alles, was sich noch zu wehren wagt.
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