Feinde der Demokratie: Das Zentrum Liberale Moderne diskutiert über Desinformation
Von Gert Ewen Ungar
Auf einer vom Zentrum Liberale Moderne organisierten Podiumsdiskussion in der taz-Kantine, die per Stream live auf Youtube übertragen wurde, diskutierten die Gegner einer breiten und vielfältigen Presselandschaft: Pia Lamberty, Buchautorin, Matthias Meisner, freier Journalist und Mitarbeiter beim staatlich finanzierten Internetpranger "Gegneranalyse" des Zentrums Liberale Moderne, Michael Nattke, Fachreferent beim Kulturbüro Sachsen, und Sara Bundtzen, Analystin.
Der im Internet übertragene Live-Stream hatte zu seiner besten Zeit etwas mehr als 40 Zuschauer. Wir witzelten unter Kollegen, die Hälfte davon sei vermutlich von RT DE. Man könnte die Veranstaltung daher mangels Publikumswirksamkeit eigentlich unter den Tisch fallen lassen. Allerdings ist sie ein Zeitdokument, das die Fehlentwicklungen in Deutschland sehr gut aufzeigt und einer nachfolgenden Generation die Frage beantworten helfen kann, "wie es dazu kommen konnte".
Ich versprach mir vom Abend ein Stückchen Aufklärung über die Frage, was russische Propaganda und Desinformation konkret sind, denn ich gelte vielen als russischer Propagandist. Dass Medien immer mal wieder mit Falschbehauptungen aufwarten, kann es nicht sein, denn das ist das Geschäftsmodell von Bild und inzwischen auch vom Spiegel. Trotz all der Faktenchecker, die auf RT DE und andere "alternative Medien" angesetzt sind, ist die Ausbeute doch erstaunlich mau. Ich mache absichtlich keine Falschbehauptungen, aber es ist mir natürlich schon passiert, dass ich etwas korrigieren musste. Aber so etwas wie syrische Waisenkinder, die von Merkel träumen, habe ich noch nicht erfunden und werde es im Zusammenhang mit meiner journalistischen Arbeit auch nicht tun. Das halte ich für unlauter und einen Verstoß gegen das journalistische Selbstverständnis. In den Verlagshäusern in Hamburg und Berlin ist man da großzügiger.
Dessen ungeachtet wird mir und selbstverständlich auch den Kollegen regelmäßig vorgeworfen, wir würden russische Propaganda betreiben und Desinformation des Kremls verbreiten. Ich sei ein Knecht Putins, wird mir häufig vorgehalten. Es wird in diesem Zusammenhang viel beleidigt. Was dagegen niemals getan wird, ist, inhaltlich zu bestimmen, was denn Desinformation und russische Propaganda genau sind.
Propaganda ist alles, was aus Russland kommt
Das blieb auch an diesem Abend aus. Würde man es versuchen, würde man schnell merken, es ist schwierig. Man gerät schnell ins Schwimmen. Eine genaue Abgrenzung ist nicht möglich, wenn man sie aus veröffentlichten Beiträgen herleiten will. Allerdings kann man es sich auch einfach machen und sie nicht aus den Artikeln, sondern geographisch bestimmen. Die Diskutanten in der taz-Kantine taten genau das. Russische Propaganda und Desinformation ist einfach alles, was aus Russland kommt.
Manche eignen sich russische Propaganda bewusst an, suchen auf dubiosen Telegram-Kanälen regelrecht danach. Es sind Täter. Manche fallen unfreiwillig auf russische Desinformation rein und plappern sie nach, weil sie nicht wissen, dass es sich um Propaganda handelt. Es sind Opfer. Andere wiederum machen einfach Denkfehler, wenn sie durch eigenes Nachdenken auf etwas kommen, was auch der Kreml so geäußert hat. So einfach, so schlicht ist das. Jede Behauptung aus Russland ist falsch. Und jede Behauptung, die einer Behauptung aus Russland ähnelt, ist eine weiterverbreitete russische Desinformation.
Inhaltlich muss man nicht diskutieren. Es ist von absoluter geistiger Bescheidenheit, was vor allem Lamberty und Meisner vortragen. Es ist primitiv und für Demokratie sowie alles, was es zur Demokratie braucht, absolut gefährlich. Es ist ein reaktionärer, autoritärer Diskurs, den Lamberty und Meisner für Deutschland und die Deutschen einfordern. Das ist kein Zufall, denn der Veranstalter, das Zentrum Liberale Moderne, betreibt unter dem Deckmantel der Verteidigung der liberalen Moderne gegen autoritäre Tendenzen faktisch den Umbau der deutschen Gesellschaft weg von Demokratie und Freiheitsrechten hin zum autoritären Obrigkeitsstaat. Das Zentrum ist damit nicht allein, aber es ist eine der treibenden Kräfte in Deutschland für einen immer weitergehenden Rechtsrutsch.
Da geklärt ist, was russische Propaganda ist, stellt sich die Frage, was keine Propaganda, was wahr und richtig ist. Auch darauf geben die Experten auf dem Podium eine Antwort.
Durch die Entwicklung der letzten Monate, die steigenden Preise, die zunehmende Unsicherheit sind viele Menschen in Deutschland beunruhigt und das mache sie offen für russische Propaganda, sind sich die Teilnehmer weitgehend einig. Das mache sie anfällig dafür, beispielsweise zu glauben, die Inflation und die Steigerung der Energiepreise seien nicht durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst worden, sondern durch die vom Westen verhängten Sanktionen. Diese Behauptung sei russische Propaganda und Desinformation. Sogenannte alternative Medien würden diese Verunsicherung nutzen, um zum Protest gegen die Regierung zu mobilisieren und ganz allgemein gegen die Demokratie. Wahr dagegen ist, dass der russische Angriffskrieg die Preissteigerungen angetrieben hat.
Wow! Da haben sich die Teilnehmer auf dem Podium von Zusammenhängen völlig verabschiedet. Natürlich ist die Teuerung den Sanktionen geschuldet und nicht dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Sanktionen sollten Russland ruinieren, wie es die deutsche Außenministerin auf den Punkt brachte, sie gingen jedoch nach hinten los und lösen jetzt in der EU das aus, was sie eigentlich in Russland auslösen sollten. Offenbar haben diejenigen, die sich zu Protest zusammenfinden, von ökonomischen Zusammenhängen deutlich mehr Ahnung als Lamberty und Meisner. Dass die Sanktionen in Deutschland umfassendere Auswirkungen haben als in Russland, ist übrigens ebenfalls Desinformation und russische Propaganda.
Klar wurde damit aber auch, was die Experten für wahre und richtige Informationen halten. Es ist das, was die Bundesregierung und die mit ihr vernetzten großen Medien behaupten. Desinformation dagegen ist das, was den Informationen der Bundesregierung und der großen Medien nicht entspricht. Dieser geistige Rückfall ins Biedermeier, der sich da vor vierzig Zuschauern auf Youtube vollzieht, lässt jeden aufgeklärten Geist staunend zurück.
Wahrheit wird von der Bundesregierung und den Leitmedien verkündet
Lamberty macht deutlich, dass es zu ihren Postulaten auch keine Diskussion geben wird. Man diskutiert nicht über die Frage, was die Teuerung in Deutschland ausgelöst hat. Putin war's und jeder, der etwas anderes behauptet, ist entweder ein Opfer russischer Propaganda oder ein Kreml-Propagandist. Dass er einfach ein bisschen mehr Ahnung von makroökonomischen Zusammenhängen haben könnte, kommt auf dem Podium niemandem in den Sinn. Es gibt über die regierungsoffiziellen Postulate keine Diskussion, keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung, macht vor allem Lamberty deutlich.
Es gibt auch keine Diskussion über Kriegsverbrechen in Butscha. Der Russe war's. Dass es nie eine offizielle, unabhängige Untersuchung gegeben hat, ist völlig schnuppe. Es gibt auch keine Diskussion darüber, ob der Westen zumindest eine Mitschuld an der Entwicklung hin zum Krieg trägt. Putin hat mit einem brutalen Angriffskrieg die Ukraine barbarisch überfallen. Punkt! Keine weitere Diskussion.
Wichtig ist lediglich, dass jeder, der auf das Defizit der Argumentation Lambertys verweist, sofort als Desinformant markiert werden muss. Es ist ein absolut autoritärer Obrigkeitsdiskurs, den Lamberty führt. Es ist die vollkommene Abkehr von einer aufgeklärten Tradition und im Kern die Wiederkehr des Geistes der Inquisition. Es gibt eine absolute Wahrheit. Sie wird von der Kanzel verkündet und jeder, der sie infrage stellt, ist ein Ketzer. Die Kanzel wurde lediglich durch den politisch-medialen Komplex ersetzt, das in den letzten Dekaden wohl eingeübte Zusammenspiel der großen Leitmedien und Think-Tanks mit der Politik.
Die Konsequenzen für Abweichler sind ebenfalls entsprechend. Meisner fordert faktisch die gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung. Seine Aufgabe sieht er darin, Medienkonsumenten einen Leitfaden an die Hand zu geben, mit dem sie sich besser zurechtfinden können, der ihnen dabei hilft, Information von Desinformation zu unterscheiden. Es ist eine dreiste Anmaßung. Auch bei seinen Ausführungen erscheint vor dem geistigen Auge sofort die Kanzel, von der Meisner zu den Seinen herabpredigt, was sie in der kommenden Woche zu glauben haben.
Vor diesem Hintergrund eines doch sehr eingeschränkten Zugangs zu demokratischen Ideen wundert es nicht, dass sowohl Lamberty als auch Meisner es als Skandal empfinden, dass alternative Medien Einfluss auf die Debatte nehmen wollen. Ja, das ist so. Demonstranten übrigens auch. Sie wollen nicht gemaßregelt, sondern mit ihrem Anliegen wahrgenommen werden. Derartige Vorgänge sind in einer Demokratie nicht nur normal, sondern erwünscht. Sind sie es nicht, stimmt etwas nicht im System.
Interessanterweise glauben sowohl Lamberty als auch Meisner mit ihren tief reaktionären Positionen, auf der Seite der Demokratie und Freiheitsrechte zu sein. Reflexion der eigenen Position und ihrer Implikationen − absolute Fehlanzeige. An dem, was sie sagen, wird deutlich, wie falsch ihre Selbsteinschätzung ist. Es wird auch deutlich, wie verschoben und verschroben die Wahrnehmung von Rechts und Links auf dem Podium ist. Die tatsächlich rechten und demokratiefeindlichen Positionen werden von den vermeintlichen Beschützern der Demokratie vertreten − insbesondere Lamberty und Meisner überbieten sich geradezu in der Zurschaustellung ihres antidemokratischen Gedankenguts. Lamberty skizziert gar eine Art sozialpädagogisierte Republik mit betreutem Denken und einem System von erzieherischen Belohnungen und Strafen für Aufmüpfige mit falscher Meinung.
Am Ende der Demokratie angelangt
Denkt man das zu Ende, was Meisner und Lamberty fordern, bleibt von Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit nichts übrig. Es würde dann ein System strenger Zensur, der Gängelung und der Repression geben, das die Podiumsteilnehmer ihren Zuhörern als eine gut beschützte Demokratie verkaufen wollen. Was auf dem Podium als Maßnahmen zum Schutz der Demokratie und der Meinungsfreiheit vorgeschlagen wird, ist der unmittelbare Weg zu Totalitarismus und Diktatur.
Dass ausgerechnet das Zentrum Liberale Moderne derart selbstherrlichen Positionen breiten Raum gibt, ist keine Verfehlung, kein Unfall. Es steht zwar auf den ersten Blick im Widerspruch zum Namen des Think-Tanks, aber eben nicht im Widerspruch zu seiner inhaltlichen Ausrichtung. Die Ideologie des Zentrums ist ebenso tief reaktionär wie die der Teilnehmer an der Podiumsdiskussion. Das Zentrum will Kontroverse, Diskussion, die Suche nach Kompromiss − kurz: alles, was demokratische und aufgeklärte Kultur auszeichnet − zurückdrängen und ein durchweg autoritäres, neoliberales System errichten, in dem grundlegende wirtschaftliche und politische Fragen jedem Diskurs entzogen werden. Drauf steht dann in großen Leuchtbuchstaben "Demokratie" und "freier Westen". Drin ist aber reine, düstere Repression.
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