Deutschland, Katar und die WM – Eine Nachbetrachtung und eine Vorschau
Von Gert Ewen Ungar
Das war also die WM in Katar. Es war ein Fest der Superlative – wie eigentlich jede WM und jedes Olympische Turnier. Das austragende Land misst sich an den Vorgängern und möchte sie überbieten. Das ist legitim. Wie bei jeder WM war auch dieses Mal die Welt zu Gast bei Freunden. Katar hat sich bemüht, sich von seiner besten Seite gezeigt, und die Fußballwelt war dafür dankbar. Die Einschaltquoten sind gestiegen, die Welt war im Fußballfieber. Es war alles gut.
Mit einer kleinen Ausnahme, und die heißt Deutschland. Während man in anderen Ländern bei der WM das tat, weswegen es sie gibt – man gibt sich dem Fußball hin, fiebert mit, ist euphorisch und dann manchmal der Verzweiflung nah –, hat man sich in Deutschland aufs Mäkeln kapriziert. So tauchte am Rande der WM der Schatten des hässlichen Deutschen auf. In diesem ganz speziellen Fall war der hässliche Deutsche weiblich, trug aber wie eh und je eine Armbinde.
In Katar führte Deutschland vor, was es wirklich gut kann. Fußball spielen ist es nicht. Arrogant und überheblich aufzutreten ist die deutsche Qualifikation. Mit neokolonialem Gestus und Besserwisserei, fundiert in einem kräftigen Maß an Heuchelei belehrte Deutschland Katar, wie sich entwickelte Völker verhalten und wohin Katar gefälligst zu streben hat. Mit Binde am Arm, versteht sich. Offensichtlich fehlt dem aktuellen politischen Personal jede Sensibilität für das eigene Auftreten, für Symbole und Gesten. Deutschland wurde dafür verhöhnt – zu Recht. Es war verachtenswert, was die deutsche Innenministerin in Katar aufgeführt hat. Es war billiger Populismus mit neokolonialem Unterton. Die deutsche Elf wurde dafür instrumentalisiert, hat sich aber auch instrumentalisieren lassen.
Zum Glück ist jetzt erst mal Pause. Die nächste Fußball-WM findet in den USA, Kanada und Mexiko statt. Da wird sich weder deutsche Politik noch irgendein deutsches Medium mit besonderer Kritik zu Wort melden. Nicht, weil in den USA alles in Ordnung ist, sondern weil es sich nicht geziemt, dem transatlantischen Partner Vorhaltungen zu machen.
Gerade was die USA angeht, gäbe es ganz viele Themen: ein im Land schwelender Rassismus, die Barbarei der Todesstrafe, den immer noch diskriminierenden Umgang mit den Ureinwohnern bei Ausbleiben jeder Aufarbeitung der Verbrechen, das völlig rückständige Wahlsystem, und und und. Angesichts der Breite der Themen könnte deutsches Expertentum in Politik und Medien mal richtig Gas geben und zur höchsten deutschen Empörungsform auflaufen, wird es aber unterlassen. Die USA sind nicht Katar. Man befindet sich in einem anderen Abhängigkeitsverhältnis. Einem, das Kritik nicht zulässt. Am deutschen Meckerindikator lässt sich auch das Maß an Souveränität bzw. ihr Fehlen ablesen.
Miami wird beispielsweise Austragungsort – da geht es zu wie in einem Polizeistaat. Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor Jahren in Miami in einer Hotel-Lobby saß. Die Tür ging auf, und eine bis an die Zähne bewaffnete Polizei-Mannschaft lief durch die Lobby und ging am anderen Ende wieder raus. Der Einzige, den das wunderte, war ich. "Dürfen die das so einfach?" fragte ich mein Gegenüber. "Das ist doch Privatgelände." "Das dient unserer Sicherheit", erhielt ich zur Antwort. Nur richtig sicher fühlte ich mich nach all diesen Auftritten und der dauernden Überpräsenz von Polizei nicht wirklich.
Am Austragungsort Los Angeles empfehle ich einen Ausflug nach Skid Row. Das dort zu besichtigende Ausmaß an Armut und Elend spricht dem Anspruch der USA Hohn, Führungsnation zu sein. Was es dort zu sehen gibt, verdient ganz viel deutsche Kritik, die allerdings unterbleiben wird. Allerdings nicht, weil sich die Zustände in deutschen Innenstädten denen von Skid Row immer weiter annähern, sondern weil die USA Deutschland zur Kritik nicht ermächtigen werden.
Man sollte sich in Skid Row übrigens nicht zu lange aufhalten, denn es ist dort nicht nur arm und elend, sondern auch gefährlich. Das trifft auf die Metropolen der USA ohnehin zu. Gewalt gehört dort in weit größerem Ausmaß zum Alltag als in russischen Metropolen oder in Katar. Aber während sich deutsche Journalisten fragten, ob man sicher nach Russland und nach Katar fliegen kann, wird diese Frage im Hinblick auf die USA unterbleiben. Dabei wäre sie dort mehr als angebracht. Sei's drum. Die Meckerei ist vorbei und kommt anlässlich eines Sportereignisses so schnell nicht wieder. Die kommenden olympischen Sommer- und Winterspiele werden in der EU, namentlich in Frankreich und Italien ausgetragen, die EM in Deutschland. Da gibt's nichts zu meckern. Diese Länder liegen alle inmitten des Gartens namens EU, der sich vom weltumspannenden Dschungel unterscheidet, wie uns unlängst der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wissen ließ.
Man kann sich also insgesamt etwas entspannen. Auch mit nervigen Boykott-Aufrufen werden deutsche Medien und NGOs in den nächsten Jahren niemanden belästigen. Die deutsche Kritik an Katar war der Welt vermutlich ohnehin weitgehend schnuppe. Katar wies sie als Heuchelei zurück und hat damit recht.
Es mag sein, dass beim Bau von den Stadien in Katar Arbeiter ausgebeutet wurden. Arbeiter aus Bangladesch und Pakistan, die in ihren Heimatländern Aussicht auf einen Monatslohn von 50 Dollar haben, wurden in Katar mit 150 Dollar abgespeist. Die Löhne in Katar sind höher. Das kann man anprangern. Dann müsste man diese Praktik aber auch in Deutschland anprangern.
Kann sich noch jemand an den Bau der Mall of Berlin erinnern? Da wurden rumänische Arbeiter um ihren Lohn geprellt. Es gab einen kleinen Skandal, der aber schnell vergessen wurde. Generell ist es aber so, dass dieses ganze Schattenheer von Arbeitern, die aus Osteuropa nach Deutschland kommen und sich mehr oder weniger als Tagelöhner verdingen, sich vollkommen im Rahmen der Gesetze aufhalten. Die EU macht Ausbeutung nicht nur möglich, sondern zum Geschäftsmodell. Die Arbeiter aus Osteuropa gelten als selbständig und bieten ihre Arbeitskraft als Kleinunternehmer an.
Das, was angesichts der Mall of Berlin einen kleinen Aufreger produzierte, ist in Deutschland bittere und vor allem tägliche Realität. Ohne Versicherungsschutz, schlecht entlohnt und dann häufig auch noch um den Lohn geprellt – das ist für Tausende Arbeiter und privat beschäftigte Pflegekräfte in Deutschland vollkommen normal. Wie viele Todesopfer das jährlich produziert? Keiner weiß es. Dass es in diesem Zusammenhang aber nicht regelmäßig zu Unfällen kommt, die dann vertuscht werden, ist keine realistische Annahme.
Das Land, in dem derartige Arbeitsbedingungen für Tausende die Regel sind, weist mit empört ausgestrecktem Zeigefinger auf Katar? Es muss sich um Satire handeln, mag man da denken. Es war jedoch ernst gemeint, kann aber nicht ernst genommen werden.
Das Land, in dem man sich jedes Jahr aufs Neue Gedanken darüber macht, wer der dünner werdenden Mittelschicht denn in dieser Saison den Spargel sticht, prangert in anderen Ländern Ausbeutung an? Das ist ein schlechter Witz. Angesichts der deutschen Realität war es absolut verlogen, was deutsche Medien über Katar ausgegossen haben. Verlogen und Unangemessen.
Aber vermutlich werden die überheblichen Töne aus Deutschland auch leiser, denn angesichts der geopolitischen Verschiebungen wird Deutschland immer häufiger als Bittsteller mal hier und mal dort anklopfen müssen, ohne in der Lage zu sein, große Gegenleistungen erbringen zu können. Deutschland steigt ab. Katar dagegen gehört absehbar zu den Gewinnern der Entwicklung. Es verfügt über Energie und wird sich auch angesichts des selbstzerstörerischen Sanktionsregimes der EU seine Kunden künftig aussuchen können. Für Deutschland trifft das Gegenteil zu. Deutschland kann sich seine Energielieferanten nicht aussuchen, wie die Erfahrung der letzten Monate zeigt. Aus diesem Grund war die deutsche Überheblichkeit in Richtung Katar nicht nur unanständig, sondern auch noch unklug.
Deutschland wird auf Katar in vielfacher Hinsicht angewiesen sein, auch weil sich das Land zu einer Regionalmacht entwickelt. Möchte Deutschland in irgendeiner Weise politischen Einfluss in der Region haben, wird es um ein gutes Verhältnis zu Katar nicht umhinkommen, zumal sich Saudi-Arabien immer deutlicher in Richtung China und Iran in Richtung China und Russland orientiert.
Da können deutsche LGBT-Verbände vor Wut schäumen, wie sie wollen. Ihre Meinung und Forderungen müssen einer vernünftigen Außenpolitik in diesem Zusammenhang als vernachlässigbar gelten. Für den Schaden, den Innenministerin Nancy Faeser in Katar angerichtet hat, wird Deutschland auf jeden Fall noch die Rechnung präsentiert bekommen. Es gibt keinen Grund, warum Katar diesen unfreundlichen Akt auf sich sitzen lassen sollte.
Was der deutsche Populismus in Katar deutlich gemacht hat, ist, dass das moralische Argument Deutschlands ohne jede echte Moral auskommt. Man kann es daher auch ignorieren. Es war geheuchelt, wurzelt in doppelten Standards und ist geschichtsvergessen, was Faeser in Katar aufgeführt hat. Obendrein war es lächerlich.
Die WM ist vorbei, den Fans hat sie Freude bereitet, ihr einziger Makel war das Auftreten Deutschlands. Aber angesichts des zunehmenden Bedeutungs- und Einflussverlustes Deutschlands wird derart peinliche Zurschaustellung deutscher Besserwisserei in Zukunft weniger werden. Darauf kann man nicht nur hoffen, sondern auch wetten.
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