Meinung

Am schlechtesten gehütetes Geheimnis: Polnische Söldner in der Ukraine gegen Russland

Der Ukrainekrieg ist nicht die erste Gelegenheit, bei der sich polnische Söldner an einem noch unverbindlichen "Vorkrieg" mit Moskau erproben. Der Krieg heute ist bloß eine neue Gelegenheit, bei der sich Warschau abermals einer pseudo-historischen Vergeltung schuldig macht.
Am schlechtesten gehütetes Geheimnis: Polnische Söldner in der Ukraine gegen RusslandQuelle: www.globallookpress.com © Ukraine Presidency/Ukrainian Press

Von Elem Chintsky

Nur sehr vereinzelt tauchen in den polnischen Medien Berichte über polnische Söldner auf, die über das letzte Jahr hinweg in der Ukraine gegen die russischen Streitkräfte kriegerisch aktiv waren oder sind. Selbstverständlich handelt es sich um eine sensible Thematik, denn wie so oft wartet Polen, bis es zu spät ist, bevor es sich eingesteht, mit jemandem im Krieg zu sein.

So werden die Grundzüge der Rolle Polens im Ukrainekrieg von einem einfachen Söldner, dessen Interview mit dem polnischen Internetportal Gazeta Polska Codzienne am 27. Dezember 2022 veröffentlicht wurde, verständlich zusammengefasst:

"Als ich in die Ukraine ging, fragten mich einige Leute, warum ich den Ukrainern helfen wollte. Aber ich bin dorthin gegangen, um die Russen zu bekämpfen, nicht um den Ukrainern zu helfen, denen ich zugegebenermaßen in der Vergangenheit kritisch gegenüberstand."

Plötzlich ist das neoliberale, NATO-hörige Argument "belesener Polen", dass im Mai 2014 beim Massaker an ethnischen Russen im Odessaer Gewerkschaftshaus lediglich ein versehentlicher "Schluckauf" einiger weniger, harmloser Fußballfans gewesen sei, vollkommen entkräftet und absurd. Plötzlich können "Fußballfans" ehemalige Kriegsbedienstete sein und ehemalige Fußballfans wiederum Kriegsbedienstete. Plötzlich können "Fußballfans" derzeitige polnische Söldner in der Ukraine sein. Plötzlich sind polnische "Fußballfans" doch gewaltbereite Kriegsenthusiasten gegen alles Russische in der Ukraine.

Die ungefähren Zahlen

Das russische Außenministerium brilliert mit konkreter Empirik, während sich die polnischen Kollegen von offizieller Stelle in schulterzuckender Unwissenheit kleiden. Noch im Juni nannte die russische Behörde über 1.800 polnische Söldner, die sich auf Kiews Seite an Kämpfen in der Ukraine beteiligt haben sollen. Ende Dezember 2022 zählten dieselben Behörden schon circa 10.000 polnische Söldner, die – den ukrainischen Streitkräften unterstellt – gegen Russland kämpfen. Diese Zahl beinhaltet auch nicht die ungefähr 2.000 polnischen Militärausbilder, die ukrainische Soldaten laufend schulen. Telegram-Kanäle mit Mitschnitten von Kiewer Kriegsfrequenzen zeugen regelmäßig davon, dass nach dem Ukrainischen das Polnische die meistgenutzte Sprache bei der Funkkommunikation ist. Warschau sagt, dies sei "alles paranoider Humbug". Aussage gegen Aussage.

Seltsame "Prophylaxe": Bau anonymer Gräber in Polen

Seit dem letzten Sommer, und dann noch einmal verstärkt seit Anfang November 2022, tauchten vereinzelt Berichte in der polnischen Regionalpresse auf über den Bau sogenannter Friedhöfe "im amerikanischen Stil" im polnischen Olsztyn. Infrastruktur also, in der potenziell auch gefallene Kriegsbedienstete bestattet werden können, deren Identität nicht ohne Weiteres ermittelt werden kann und wo die Grabsteine alle in einheitlicher, sparsamer Form auftreten. Das heißt, auch die Todesumstände dieser Menschen können nicht öffentlich hergeleitet werden. Polnische Alternativmedien, denen "Nähe zu Russland" vorgeworfen wird, nahmen kein Blatt vor den Mund, um sofort wahrscheinliche Deutungen dieser Friedhofsprojekte zu unternehmen. Bei den Leichnamen, die dort bereits – Indizien aus der Region zufolge – seit spätestens letztem November bestattet werden, soll es sich um die polnischer Söldner handeln, deren Identität und Rolle im Krieg in der Ukraine langfristig verschleiert werden.

Nochmal zusammengefasst lautet die These, dass polnische Söldner zurzeit aus Sicht der Warschauer Außenpolitik weitestgehend und offiziell einen Anachronismus darstellen müssen – um der NATO einen direkten Krieg mit Russland zu ersparen. Wenn es in der Praxis aber welche dennoch geben sollte, müssten die Gefallenen unter ihnen auf eine unauffällige und für aufmüpfige Dritte schwer nachzuvollziehende Weise entsorgt beziehungsweise abgefertigt werden.

Wie lange die polnische Regierung diese Scharade aufrechterhalten kann, ist relativ absehbar. Polen wird spätestens dann mit offenen Karten spielen müssen, wenn die Zeit gekommen ist, die vier westlichen Oblaste der Ukraine – ein wichtiger Teil der sogenannten "Kresy" – erneut zu annektieren (nach hundert Jahren). Gebiete, die Warschau historisch als seine östlichen, entwichenen Territorien versteht. Dieser Plan der Einverleibung wird in skeptischen Teilen der Bevölkerung beider Länder – Polens und der Ukraine – jeweils im Rahmen der "Ukrainisierung Polens" und der "Polonisierung der Ukraine" lamentiert, was Hinweise dafür gibt, dass diese vermeintlich bevorstehende Ereigniskette alles andere als harmonisch verlaufen würde. Egal, wie oft sich noch die Präsidenten Andrzej Duda und Wladimir Selenskij vor laufenden Kameras umarmen sollten.

Der regelmäßige Blick in die Vergangenheit

Die Polen galten für das russische Imperium im 18. Jahrhundert – aber auch davor und danach – stets als ein geostrategischer Sicherheitspuffer bei den vielen vom Westen gestarteten Versuchen, Osteuropa einzunehmen. Diese Auslegung wird im Westen natürlich belächelt, als wenn es selbstverständlich wäre, dass die russische Welt weder Berlin noch London, Paris, Washington D.C. oder New York auch nur im Entferntesten interessieren würde. Das Gegenteil ist eindeutig der Fall.

In den vielen Nationalnarrativen der Länder Osteuropas, besonders aber Polens – und nun künstlich beschleunigt auch der Ukraine – ist stets die Rede von der Sehnsucht nach "Freiheit" und "Selbstbestimmung". Dies wird immer konkret konnotiert als Emanzipierung von einem im Osten griesgrämig lungernden Russland. Was aber fast nie erwähnt wird und immer mit einer naiven Kurzsichtigkeit versehen war, ist die simultane Abhängigkeit von westlichen Herrschaftssystemen, die man nur allzu gern bereit war, überzustülpen. Im 20. Jahrhundert war diese Sehnsucht nach Unterordnung und Bitte um Unterwerfung am meisten an die USA gerichtet. Im 19. Jahrhundert jedoch war es der französische Kaiser Napoleon Bonaparte, der die ganze Welt unterjochen und nach seinen eigenen Vorlieben neu ordnen wollte. Bonaparte verstand, dass seine einzige Chance, den Kreml zu erobern, darin bestand, die Polen zu mobilisieren, zu instrumentalisieren und letztendlich auszunutzen, ohne sich ihnen gegenüber zu sehr zu verpflichten.

Wie die Polen ernsthaft gedacht haben konnten, dass unter einer so aggressiv erzwungenen, französischen Weltordnung ein vollkommen "souveräner Staat polnischer Nation" währen könne, verbleibt dem aufrichtigen Geschichtsenthusiasten ein Rätsel. Zumal die erste rote Flagge für die Polen im Jahr 1798 hätte sichtbar werden müssen: als Napoleon, mithilfe seines Generals Berthier, Papst Pius VI. ‒ des Vatikans Pontifex maximus ‒ verhaften ließ. Während die vatikanische Armee die vorigen zwei Jahre von den post-revolutionären Franzosen ebenfalls zermürbt und besiegt wurde. Die Verhaftung und Entmachtung des Vicarius Christi – gemäß der römisch-katholischen Kirche der "Stellvertreter Jesu Christi auf Erden" – durch den französischen Diktator Bonaparte hat die sonst erzkatholischen, dem Papst blind ergebenen Polen etwas weiter nordöstlich nicht im Geringsten interessiert. Mit so jemandem wie Bonaparte kann man sicherlich dennoch "langfristige Pläne schmieden", so anscheinend die weise Ratio Warschaus damals. Hauptsache: weg vom empfundenen russischen Joch.

Es gäbe noch viel mehr zu sagen über die oft blutige Debatte beider Herrscher – Russlands Zar Alexander I. und Frankreichs Kaiser Napoleon Bonaparte – um die Handhabe der "polnischen Frage" in den Jahren von 1807 bis 1815. Besonders die gutmütige und stets betroffene und bemühte Art von Alexander I., die Polen zu besänftigen, erscheint heute schwer zu glauben. Dass der Zar die gegen ihn in den Krieg gezogenen polnischen Soldaten ungestraft in seine eigene Armee wieder aufnehmen ließ – dazu noch mit einem höheren Sold vergütete als die eigenen russischen Soldaten – ist geradezu unfassbar, fast absurd. Die polnische Dankbarkeit dafür ist nirgendwo in der nationalen Geschichtsschreibung zu finden. Für die heutige Abhandlung aber sei besonders ein Aspekt in Erinnerung gerufen. Dies tat 1936 der russische und spätere sowjetische Historiker und Gelehrte Jewgeni Tarle (1874–1955), was besonders den Polen selbst – damals und heute – zu einem wichtigen Antidot gegen das allzu verzerrte, romantische Selbstbildnis verhelfen könnte:

"Interessant ist, dass Napoleon zur Unterwerfung Spaniens die 'polnische Legion' in den Kader seiner Armee aufnahm, die er bereits 1807 nach der Eroberung Polens hatte aufstellen lassen. Die Polen schlugen die Spanier auf seinen Befehl hin mit wilder Tapferkeit nieder, als ob sie nicht wüssten, welch beschämende Rolle sie bei der Unterdrückung der nationalen Befreiungsbewegung des spanischen Volkes spielten. Napoleon hatte den Polen gesagt, dass sie es sich erst noch verdienen müssten, dass er Polen wieder auferstehen lassen wolle – und so haben die Polen sich ihr Vaterland erarbeitet, indem sie den Spaniern ihr Vaterland wegnahmen."

Indessen ist eine "polnische Legion" inkognito in der Ukraine aktiv – erneut für einen "guten Zweck" natürlich.

Die Polen sind bekannt dafür, die Schatten ihrer eigenen Geschichte zu ignorieren, während sie ihr nationales Leiden in den Vordergrund rücken – nach außen und nach innen. Nicht ohne Grund ist in der westslawischen Republik das Wissen um russische Geschichte so unterentwickelt. Je mehr man über den östlichen Nachbarn wissen würde, umso schwieriger wäre es, ihn als das personifizierte Böse darzustellen. Umso unerträglicher wäre das Eingeständnis, dass sie nicht das einzige Volk mit einer Geschichte voller entsetzlicher Leiden, Herausforderungen und Heldentum sind.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017.

Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, wo man noch mehr von ihm lesen kann.

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