Meinung

Politisch forcierte Massenverarmung: Immer mehr Menschen rutschen unter das Existenzminimum

Steigende Preise, sinkende Reallöhne – Millionen Menschen in Deutschland droht die Verarmung. Die Bundesregierung kurbelt die Abwärtsspirale nicht nur durch ihr Festhalten an einer desaströsen Wirtschaftspolitik an. Auch der mangelhafte Inflationsausgleich der Grundsicherung trägt dazu bei.
Politisch forcierte Massenverarmung: Immer mehr Menschen rutschen unter das ExistenzminimumQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Michael Gstettenbauer via www.imago-images.de

Von Susan Bonath

Geringverdiener können im Notfall mit Hartz IV, seit Jahresbeginn Bürgergeld genannt, aufstocken. Die Grundsicherung soll angeblich das Existenzminimum sichern. Doch dafür reicht das seit Jahren kleingerechnete Budget immer weniger. Selbst die aktuelle Elf-Prozent-Erhöhung wurde schon vor Monaten von der Inflation verschlungen. Kein Wunder, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer neuen Studie konstatierte: Millionen Menschen rutschten schon letztes Jahr immer tiefer in die Armut.

Niedrige Grundsicherung als Motor für Lohndrückerei

Nun braucht man nicht unbedingt eine Studie, um auf das Fazit des DGB zu kommen: Ein erheblicher Kaufkraftverlust, der nicht durch politische Maßnahmen ausgeglichen wurde, machte 2022 den Ärmsten besonders hart zu schaffen. Um das festzustellen, reichen ein Blick auf die Strom- und Gasabschläge oder ein Gang durch den Discounter, wo man den Lebensmittelpreisen beim Explodieren zusehen kann.

Was allerdings in der Studie und vielen Medienberichten zu kurz kommt: Erstens täuschen die zugrunde gelegten Daten des Statistischen Bundesamtes darüber hinweg, dass die Preise bereits im Vergleichsjahr 2021 erheblich angestiegen waren – im Gegensatz zu Hartz IV. Die Grundsicherungssätze wurden zwischen 2020 und 2022 um weniger als vier Prozent erhöht, während sich die Preise für nicht wenige Grundnahrungsmittel und Energie teils mehr als verdoppelten. Das Ausmaß der Armut dürfte somit unterschätzt werden.

Zweitens verhindert der von der Politik verweigerte Ausgleich des Kaufkraftverlustes für Menschen, die mit Grundsicherung aufstocken oder vollständig davon leben müssen, angemessene Lohnerhöhungen. Niedrige Sozialleistungen sind ein effektiver Motor für Lohndrückerei, denn sie hebeln den Anreiz für Unternehmen und staatliche Stellen aus, Beschäftigte besser zu bezahlen.

Reallöhne im Sinkflug

Kein Wunder, dass die deutschen Statistiker die Reallöhne schon länger im Sinkflug sehen. Der Reallohn-Index bemisst die Einkommen abhängig Beschäftigter an ihrer Kaufkraft. Letztere war demnach im dritten Quartal 2022 insgesamt um fast sechs Prozent geringer als 2008 zur Hochzeit der sogenannten Finanzkrise. Seit dem Frühjahr 2021 verringerte sich die Kaufkraft sogar um fast neun Prozent.

Allerdings gewichtet das Statistikamt dabei nicht nach Branchen und Arbeitsverhältnissen. Und hier dürfte es drastische Unterschiede geben. So ist anzunehmen, dass hochbezahlte Angestellte in den Konzernetagen und im öffentlichen Dienst weit weniger betroffen sind als Menschen, die sowieso schon wenig verdienen.

Im vergangenen Jahr arbeitete jeder fünfte abhängig Beschäftigte im Niedriglohnsektor, in Ostdeutschland sogar jeder vierte. Selbst Hochqualifizierte sind davor nicht gefeit. So registrierten die Statistiker, dass zuletzt je nach Abschluss zwischen vier und zehn Prozent der Akademiker für weniger als 12,50 Euro pro Stunde arbeiteten.

Regierung kurbelt an der Abwärtsspirale

Die erwartbaren Folgen werden immer offensichtlicher: Die Armenspeisungen sind überlaufen wie nie, längst bewältigen viele Tafeln den wachsenden Andrang nicht mehr, die Preise für Nahrungsmittel schießen schneller in die Höhe als die Kosten für Gas und Strom, Mietezahlen wird zum Luxus.

Die Armut in Deutschland wächst keineswegs erst seit dem Krieg in der Ukraine, wie Medien und Politik so gern nahelegen. Sozialverbände bemängeln seit langem die anhaltende Ausbeutung im Niedriglohnsektor, eine zu geringe Grundsicherung und zunehmende Mittellosigkeit vor allem bei Kindern. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband lebten 2021 fast 17 Prozent aller Einwohner Deutschlands und sogar rund 21 Prozent aller Kinder unterhalb der Armutsgrenze.

Damit wuchs die Zahl der Armen bereits im vorletzten Jahr um etwa 600.000 auf rund 14 Millionen an. Sogar Vollzeit-Beschäftigte waren zunehmend betroffen. Die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Für das gerade vergangene Jahr gibt es noch keine Zahlen – verbessert haben dürften sie sich aber nicht, im Gegenteil.

Vielen Millionen Menschen geht es damit an die blanke Existenz. Und die Bundesregierung scheint das wenig zu kümmern. Statt sich für das Wohl der eigenen Bürger einzusetzen, dreht sie weiter an der Abwärtsspirale: durch einen wahnwitzigen Wirtschaftskrieg gegen Russland zur Freude der Supermacht USA, durch weiterhin viel zu geringe Mindestlöhne sowie durch fehlenden Inflationsausgleich bei den Sozialleistungen, um Beschäftigte halbwegs sicher abzufedern.

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