Meinung

Führt ein Hubschrauberabsturz zum großen Finale um Selenskij?

Es sind alles Vermutungen, Spekulationen und Gerüchte, die sich um den Absturz des ukrainischen Innenministers ranken. Wobei auch die momentanen Ermittlungen nicht zur Wahrheit führen dürften. Denn der Sumpf, den die Gerüchte beschreiben, ist real.
Führt ein Hubschrauberabsturz zum großen Finale um Selenskij?Quelle: www.globallookpress.com © Sergei Chuzavkov

Von Dagmar Henn

Der Hubschrauberabsturz, bei dem der ukrainische Innenminister und sein Stellvertreter (und viele unbeteiligte Zivilisten) ums Leben kamen, bietet Anlass zu vielerlei Spekulationen. Das beginnt mit der Absturzursache und endet mit einer reichen Auswahl möglicher Verdächtiger.

Die deutschen Medien scheinen schon einen Ausweg gefunden zu haben, der peinliche Fragen zu umgehen hilft: Dieses in Frankreich hergestellte Hubschraubermodell, Airbus H225, war zweimal, nach Notlandungen und einem Absturz, Gegenstand eines Flugverbots gewesen; damit sei dieser Absturz normal.

Die Gerüchte besagen allerdings, der Hubschrauber habe vor dem Absturz bereits gebrannt. Die weiteren möglichen Absturzursachen wären Pilotenfehler, ein Versehen der Luftabwehr, ein Abschuss durch ein MANPAD oder Sabotage des Hubschraubers.

Bei der Hälfte der Varianten ist ein Akteur mit einer Absicht im Spiel, und genau um diese ranken sich die Verschwörungstheorien um diesen Absturz, die gleichzeitig einen Einblick in den wirklichen Zustand der Ukraine geben.

Interessant ist, dass das Vorleben des abgestürzten Innenministers in den deutschen Medien nie erwähnt wird. Monastyrski war nämlich vor seiner Ernennung zum Minister Rechtsanwalt, und zwar für die Produktionsfirma, die die Fernsehserie produzierte, durch die Selenskij bekannt wurde. Er ist nicht der einzige ehemalige Beschäftigte dieser Serie; Selenskij hat Drehbuchschreiber, Regisseure und Kollegen in der Regierung untergebracht.

Ein weiterer dieser ehemaligen Fernsehkollegen von Selenskij, sein Berater Arestowitsch, musste gerade gehen, weil er mit seiner Aussage, in Dnjepropetrowsk sei die Luftabwehr schuld am Einsturz des Wohnhauses, der Wahrheit versehentlich zu nah gekommen war. Nachdem er auf diese Äußerungen hin vielfach zum Verräter erklärt wurde und sogar einen Eintrag auf der berüchtigten Webseite Mirotworez bekam, ist noch nicht klar, ob es nur bei dem Rücktritt bleibt.

Auch das ist ein Punkt, den man bei der Betrachtung des Ereignisses im Blick behalten sollte. Ausdünnung von Selenskijs Vertrauten könnte ein mögliches Ziel sein.

Es gibt mittlerweile ganze drei Varianten, wer hinter dem Tod des Innenministers stecken könnte. Natürlich gehen alle drei davon aus, dass es sich nicht um einen Unfall handelte. Die Trümmer des Hubschraubers sind über eine große Fläche verteilt, was auf jeden Fall für eine zusätzliche Explosion spricht, aber der Tank war voll. Die Untersuchungen führt die Polizei durch, aber der bisherige Polizeichef wurde jetzt zum Innenminister und gehört selbst zum Kreis der Verdächtigen.

Aber wir wollen nicht vorgreifen. Die erste Theorie besagt, dass Monastyrski verlangt hätte, an den Erlösen der Geschäfte von Jermak beteiligt zu werden. Letzterer ist stellvertretender Verteidigungsminister und dem Gerücht zufolge vor allem damit befasst, hilfreich gelieferte Waffen weiter zu veräußern.

Die Tatsache, dass an die Ukraine gelieferte Waffen an allerlei anderen Orten wieder aufgetaucht sind, war vor Monaten kurz einmal Thema in der westlichen Presse. Dann wurde es wieder ganz still darum, weshalb der Handel selbst allerdings nicht aufgehört haben muss. Es wäre eher überraschend, sollte er aufgehört haben. Selbst die Stromaggregate, die aus Europa in die Ukraine geliefert wurden, fanden sich schon bei eBay.

Monastyrski jedenfalls soll die Ressourcen seines Ministeriums genutzt haben, um eine Beteiligung zu erzwingen. Er habe zur Beruhigung eine Zahlung erhalten, aber danach habe Jermak das Problem doch lieber final gelöst.

Der Innenminister soll den Hubschrauber jedoch selten genutzt haben; häufigerer Kunde soll der Generalstabsschef Waleri Saluschny gewesen sein. Das ist die unterhaltsamste der Theorien. Sie geht davon aus, dass es eine Spaltung innerhalb der Regierung gibt und dass Saluschny am engsten mit den USA verbunden sei.

Wie viel davon zu halten ist, ist unklar; allerdings verkündeten jüngst sowohl die New York Times als auch die Washington Post, das Pentagon habe geraten, die Truppen aus Artjomowsk zurückzuziehen. Es ist unübersehbar, dass sie weiter dort gehalten werden, aber ob das wirklich Selenskijs Entscheidung gegen das Pentagon ist oder eine Entscheidung der Neocons gegen das Pentagon oder es gar von vornherein nur ein Täuschungsmanöver des Pentagon war, kann man vorerst nicht wissen.

Monastyrski, so eine Variante, soll sich an die Seite Saluschnys gegen Selenskij gestellt haben und damit für Selenskij zur Last geworden sein; die andere Version besagt, der Gruß habe eigentlich Saluschny selbst gegolten.

Die dritte Theorie vermutet eine der mächtigsten Gestalten der Ukraine hinter dem Absturz, Arsen Awakow, selbst langjähriger Innenminister und Freund und Förderer aller nazistischen Bataillone. Der Polizeichef Igor Klimenko, der nun kommissarisch das Amt des Innenministers antritt, gilt als einer seiner Vertrauten. Awakow gilt als völlig skrupellos, und mit einem Gefolgsmann an der Spitze des Ministeriums hat er wieder besseren Zugriff auf die Truppen, die jahrelang die Stütze seiner Macht waren.

Es kann natürlich auch sein, dass irgendein Unbekannter meinte, der Einfluss, den die Produktionsfirma einer Sitcom inzwischen auf die ukrainische Politik habe, müsse mit allen Mitteln zurückgeschnitten werden.

Es wäre nicht einmal erstaunlich, wenn derartige Konflikte in der Ukraine ausbrächen. Denn zum einen bietet die Logik der militärischen Entwicklung für den gesamten Westen nur zwei Optionen – entweder mit allem, was man hat, konventionell zumindest, in der Ukraine einsteigen, um noch etwas zu retten, oder aber auf die eine oder andere Art und Weise eine Niederlage einzugestehen und sich zurückzuziehen. Wie im Umgang mit den Truppen in Artjomowsk ist die vernünftige Reaktion die unwahrscheinlichste.

Es geht also innerhalb der ukrainischen Kleptokratie darum, wer den Zugriff auf den möglicherweise letzten Nachschub erhält. Und das erbarmungslose Massaker, das die ukrainische Militärführung an den eigenen Leuten anrichtet, durchgehend seit Herbstbeginn, nur an wechselnden Orten, baut doch langsam eine gewisse Spannung in der ukrainischen Gesellschaft auf.

Die westliche Presse wird dem Publikum wahrscheinlich alle saftigen Details weiter vorenthalten. Aber der Rest der Welt bekommt jetzt womöglich ein Schauspiel zu sehen, das nur mit dem Ende von Macbeth vergleichbar ist, wenn der Wald auf die Burg zumarschiert. Selbst wenn die unwahrscheinlichste Version zutreffen sollte und es sich um einen reinen Zufall handelt, dass an einem einzigen Tag zwei von Selenskijs engsten Vertrauten von der Bühne verschwanden, die Folgen werden auf jeden Fall interessant.

Und es würden nicht nur Unterhaltungsbedürfnisse befriedigt. Nachdem dem kollektiven Westen der letzte Rest von Vernunft abhandengekommen zu sein scheint, wäre ein völliger Zerfall der ukrainischen Führung fast die einzige Hoffnung, das Land vor einem Kampf gegen Russland bis zum letzten Ukrainer zu bewahren.

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.