Meinung

Deutschland hat sein Schicksal selbst gewählt – Kein Mitleid, bitte!

Die Abhängigkeit der deutschen Politik von der Besatzungsmacht USA ist nur einer der Gründe, warum Deutschland seit Februar 2022 alles, was es sich über Jahrzehnte mühsam aufbaute, verspielt hat. Zum Verhängnis wurde dem Land vor allem die tief verwurzelte Russophobie seiner Elite. Der gesamten Elite.
Deutschland hat sein Schicksal selbst gewählt – Kein Mitleid, bitte!Quelle: Gettyimages.ru © Michael Kappeler/dpa

Von Irina Alksnis

Ob Drama oder Farce, der Streit um die Lieferung deutscher Panzer an die Ukraine dauert an.

Bekanntlich zeigte der deutsche Bundeskanzler letzte Woche unerwartet Charakter und weigerte sich, Kiew deutsche Leopard-2-Panzer zur Verfügung zu stellen, was auf dem NATO-Gipfel auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein am Freitag offenbar zu einem ernsthaften Streit führte. Noch am selben Tag begannen die westlichen Medien, Olaf Scholz zu bedrängen und auf allerlei Art zu beschimpfen.

Es wurde noch spannender.

Am Sonntag erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, Berlin sei bereit, Anfragen von Drittstaaten, die Ukraine mit eigenen Panzern aus deutscher Produktion zu beliefern, positiv zu verbescheiden, sollten solche Anfragen einmal eingehen. Es sei daran erinnert, dass Baerbock eine Vertreterin der Grünen, überzeugter Transatlantiker und der gehorsamsten Vasallen der USA unter den politischen Kräften in Deutschland ist.

Der Versuch Berlins, den Skandal zu glätten, löste eine rüpelhafte und beleidigende Reaktion des polnischen Ministerpräsidenten, des Außenministeriums Polens und der dortigen Präsidentenkanzlei aus. Und, offen gesagt, obwohl rüpelhaft und beleidigend erscheint die polnische Reaktion einem überaus legitim und sogar gerecht.

Die Zeit, als Deutschland bequem auf zwei Stühlen sitzen und Vorteile sowohl aus einer nützlichen guten Beziehung zu Moskau als auch aus seiner vermeintlichen Führungsrolle in Europa ziehen konnte, ist endgültig vorbei. Deutschland versucht jetzt, die ausgelaufene Zahnpasta wieder in die Tube zu drücken, was ein offen gesagt erbärmliches Schauspiel und gleichzeitig eine überaus lehrreiche Lektion für die Welt ist. Ein riesiges, über Jahrzehnte mühsam aufgebautes Potenzial in weniger als einem Jahr vollständig und unwiederbringlich zu verspielen, ist auch eine Leistung, die so schnell niemand nachmachen wird.

Dies ist umso bemerkenswerter, als die deutschen Eliten (der Teil von ihnen, der sich auf die nationalen Interessen des Landes konzentriert) eine lange Zeit über strategischen Weitblick hatten und eine gut durchdachte Politik betrieben. Dank ihrer Hartnäckigkeit und ihres Augenmaßes war Deutschland zum wirtschaftlichen Motor und zur geopolitischen Führungsmacht in Europa geworden. Sie handelten den USA sogar geschickt Präferenzen und Boni ab, während sie die Last der Militärausgaben zur "Verteidigung der Alten Welt" fast vollständig auf Washington abgewälzt hatten. 

Wie konnte ein solch enormes geopolitisches Kapital so überstürzt und kopflos verprasst werden?

Zweifellos liegt ein Teil der Antwort in dem fortwährenden Status Deutschlands als besetztes Land. Washington hat es geschafft, einen Teil der deutschen Führungseliten als Erfüllungsgehilfen ihres Willens zu züchten und unter Kontrolle zu halten. Unter den bewussten und unbewussten Handlangern der USA sind politische Parteien, wichtige Medien und einige Unternehmen. Außerdem scheint es den Amerikanern gelungen zu sein, den deutschen Geist wenn nicht zu brechen, so doch zu kastrieren. Aus diesem Grund hat Berlin den Oberbefehlshaber hinter dem Atlantik stets im Blick.

Zum Verhängnis für Deutschland wurde jedoch nicht dies, sondern die in den letzten Jahren zutage getretene, aus den Zeiten vor 1945 ererbte, tief verwurzelte Russophobie seiner Eliten. Getrieben von ihr ist sogar jener Teil der deutschen Führungskräfte in Politik und Wirtschaft, den wir früher als, wenn schon uns nicht reinen Herzens freundschaftlich verbunden, so doch zumindest pragmatisch und sich aller Vorteile einer Zusammenarbeit mit Russland bewusst betrachteten. Heute erkennen wir, dass sie alle uns weder den Sieg im Zweiten Weltkrieg, insbesondere die Einnahme Berlins, noch unseren euphorisch vorgetragenen Wunsch nach einer gleichberechtigten Partnerschaft verziehen haben.

Schließlich ist die aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Sackgasse, in die sich die BRD selbst hineingetrieben hat, nur deshalb entstanden, weil sich vor fast einem Jahr alle ihre Eliten, sowohl die proatlantischen als auch die national orientierten, zu einer erbitterten und fest geschweißten antirussischen Koalition zusammengeschlossen haben. Das heißt, selbst die Vertreter der Industrie haben ihren Selbsterhaltungssinn über Bord geworfen und mit Begeisterung den Ast abgesägt, auf dem ihre Unternehmen saßen. Ausnahmen wie Gerhard Schröder, der vergeblich versuchte, zu seinen Kollegen durchzudringen, kann man an den Fingern einer Hand abzählen.

Was wir letzte Woche in Ramstein sahen, war die kurzzeitige Rückkehr der ausgewogenen und vernünftigen Politik, die Berlin bis 2013 verfolgt hat oder (denken wir an die neuesten Offenbarungen Angela Merkels) zumindest vorgab zu verfolgen. Die Transatlantiker sind etwas unter Druck geraten, die Behörden versuchen zu manövrieren und ihr eigenes außenpolitisches Spiel zu spielen, das in erster Linie den Interessen des Landes dient. Das einzige Problem daran ist, dass es nun für eine Rückkehr zum Pragmatismus zu spät ist.

In Russland hört man oft die Meinung, dass die Deutschen es noch allen zeigen würden. Dass sie die Amerikaner übertrumpfen werden, dass sie die Polen in die Schranken weisen werden, dass sie wieder das Sagen in Europa haben werden und dass sie generell ihre volle Souveränität wiedererlangen werden. Das vergangene Jahr sei ein kleiner Betriebsunfall, eine unbedeutende Fluktuation gewesen, aus der Berlin wieder zur Besinnung kommen wird. Bald schon, ja im Grunde sei es schon fast zur Besinnung gekommen. Und wenn Berlin geheilt sei, werde alles so sein wie vorher.

Allerdings verlor Deutschland in dem zurückliegenden Jahr (die Demontage der deutsch-russischen Beziehungen begann lange vor dem Start der russischen Operation in der Ukraine, an die Blockade von Nord Stream 2 und das Hickhack um RT DE sei erinnert – d. Red.) das goldene Kalb, das seit 1990 seine Entwicklung speiste und seine Ambitionen nährte: die Kooperation mit Russland. Gewiss, es wurde nachgeholfen wie zum Beispiel mit der Zerstörung von Nord Stream, aber im Kern ist das Einreißen der Verbindungen zu Russland Deutschlands eigene Leistung. Sozusagen "deutsche Wertarbeit" und die hält bekanntlich.

Das war's. Jetzt können sich die deutschen Eliten aufprusten wie Frösche, sie können ihr Eintreten für nationale Interessen simulieren, so viel sie wollen. Nichts vermag die Tatsache rückgängig zu machen, dass Deutschland an einem kritischen Punkt der Weltgeschichte geopolitisch zu einem Fußabtreter geworden ist, der von allen mit Füßen getreten wird und wirtschaftlich dazu verurteilt ist, im Namen amerikanischer Interessen geschlachtet zu werden. Schließlich ist es der fetteste Ochse in Washingtons Stall. Die – russischen – Ressourcen, die es ermöglicht hätten, diesem Szenario zu entrinnen, stehen Berlin einfach nicht mehr zur Verfügung.

Das einzig Spannende an der Geschichte um die Lieferung der Leopard-Panzer an die Ukraine ist also nicht ob, sondern wie schnell die Deutschen einknicken werden.

Übersetzung aus dem Russischen. Irina Alksnis ist Kolumnistin bei ria.ru. 

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