Meinung

Die große Panzerlüge

Es gibt Dinge, die man einer Regierung nicht durchgehen lassen dürfte. Lügen an entscheidenden Punkten beispielsweise. Nicht genug, dass Habeck immer Wirtschaftsmärchen erzählt. Auch in der ganzen Debatte zu den Panzern wurde gelogen.
Die große PanzerlügeQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Florian Gaertner/photothek

Von Dagmar Henn

Hat Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht nachgedacht, ist ihm das nur herausgerutscht oder geht er schlicht davon aus, dass das in Deutschland ohnehin niemand in den Mainstreammedien aufgreifen wird? Der Satz von Außenministerin Baerbock "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland" hat ja auch niemanden gestört... Einzig die Berliner Zeitung verlor ein kritisches Wort darüber.

Ende März sollen nach Aussage von Pistorius die Leopard 2 A6 der Bundeswehr an die Ukraine geliefert werden. Das ist in gerade einmal zwei Monaten. Diese Aussage belegt, dass die Bundesregierung die Bevölkerung und die Medien an einem entscheidenden Punkt belogen hat. Denn in zwei Monaten bildet man niemanden aus, diesen Panzer zu gebrauchen.

Nun gibt es zwei Varianten der Lüge. Die etwas Harmlosere würde besagen, dass die Ausbildung ukrainischer Panzerbesatzungen bereits seit Monaten im Gang ist, ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wurde. Da wäre es natürlich interessant zu wissen, seit wie vielen Monaten. Um das zu erzielen, was Bundeskanzler Olaf Scholz gestern als Ziel benannt hat, ein "Bataillon auf einem hohen Kampfniveau", hätte diese Ausbildung vor über einem Jahr beginnen müssen. Das würde erklären, warum es geheimgehalten wurde (immerhin würde das das Mantra vom "nicht gerechtfertigten russischen Angriffskrieg" endgültig entsorgen), und von ziemlicher Verachtung demokratischer Prozesse zeugen, aber es würde sich zumindest nicht um eine direkte deutsche Beteiligung handeln.

Um ein Beispiel zu liefern, warum diese Ausbildung so früh hätte begonnen werden müssen: Die US-Panzerbewaffnungen, die im Irak-Krieg eingesetzt wurden, hatten zuvor ein Jahr lang nur das Gefecht verbundener Waffen mit ihren Panzern geübt. Ein Jahr, nachdem sie bereits die Bedienung des Panzers selbst beherrschten. Bei Brian Berletic kann man sich eine sehr gründliche Beschreibung davon anhören. Schon die grundlegende Ausbildung davor dauert mindestens ein halbes Jahr, für die Besatzung.

Und es nützt überhaupt nichts, wenn diese Besatzung davor einen sowjetischen T-72 gefahren hat. Das beginnt schon damit, dass der T-72 wie alle sowjetischen Panzer eine Ladeautomatik hat und daher mit nur drei Mann Besatzung fährt, der Leopard 2 wie alle westlichen Panzer aber manuell geladen wird und vier Mann Besatzung hat. Die sich nach Möglichkeit nicht im Weg stehen sollte. Im Gegenteil. Bereits eingeschliffene Routinen, die nicht passen, machen es eher schwerer. Man kann so etwas sehr schnell erleben, wenn man mit zehn Fingern tippt und plötzlich eine englische statt einer deutschen Tastatur benutzen muss. Jeder Reflex, der sonst die Arbeit schnell macht, produziert auf einmal einen zusätzlichen Fehler. Nur, dass die Konsequenzen eines solchen Fehlers in einem Panzer eine völlig andere Qualität haben.

Und damit kommen wir zur zweiten Variante der Lüge. Die hätte zur Folge, dass die Panzer eben nicht als blankes Gerät geliefert werden, sondern samt Besatzung. Mit jedem Panzer drei NATO-Soldaten; und da die Version Leopard 2 A6 bei weitem nicht so verbreitet ist wie die Variante A4 und die besonders willigen Polen sie nicht besitzen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich dabei um deutsche NATO-Soldaten handelt.

Natürlich würden sie formell aus dem Dienst entlassen, oder die Besatzungen würden aus Reservisten angeworben. In diesem Zusammenhang kann man sich dieses Getue allerdings wirklich schenken. Wenn sie einen Panzer bedienen, der von der deutschen Regierung geschickt wird, dann bedienen sie ihn in deren Auftrag, gleich, welche rechtlichen Winkelzüge man sich einfallen lässt.

Genau so wird das in Russland ohnehin gedeutet werden, und niemand wird nachfragen, mit welchen Papieren diese Besatzung im Panzer sitzt, ehe man ihn zu Alteisen verwandelt. Aber es wäre ein Gebot des Respekts vor dem Souverän gewesen, an diesem Punkt die Karten auf den Tisch zu legen. Und es zeugt von absoluter, abgrundtiefer Verachtung der Demokratie, wenn man bei einer derart entscheidenden Frage die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Informationen derart aufhübscht.

Es mag hingenommen werden, wenn die USA Söldner schicken; es ist ein offenes Geheimnis, dass die HIMARS-Raketenwerfer nicht von Ukrainern bedient werden. Es ist schon heikler, wenn dies die Polen tun; auch das ist für die Bedienung der aus Polen gelieferten Krab-Haubitzen belegt. Aber Deutsche in deutschen Panzern auf russischem Boden? Und der eigenen Bevölkerung gegenüber so tun, als säße da niemand in dem Panzer, der geliefert wird?

Inzwischen gab es die nächste Aussage aus Russland; dass der Einsatz der berüchtigten panzerbrechenden Munition aus abgereichertem Uran, der in Serbien wie im Irak die Umwelt dauerhaft vergiftete, wie der Einsatz einer schmutzigen Atombombe beantwortet werden würde. Diese Art der Munition gibt es für alle westlichen Panzertypen, auch für den Leopard 2. Bei der ukrainischen Regierung darf man keine Hemmungen beim Einsatz solcher Munition haben; schließlich wurden schon Splittermunition und Phosphorbomben in Wohngebieten eingesetzt und die Wohngebiete des Donbass wurden mit Schmetterlingsminen beregnet; alles Munition, die völlig oder zumindest für den Einsatz gegen Zivilisten verboten ist.

Wobei es tatsächlich kein perfekteres Bild für die politische Verworfenheit der Grünen gäbe als atomaren Müll, der aus einem Fahrzeug, das 700 Liter auf hundert Kilometer verbraucht, in die Landschaft geworfen wird. Abgereichertes Uran ist nämlich das, was übrigbleibt, wenn man Uran anreichert; es ist technisch gesehen der Uranmüll aus dem Bau von Atombomben. Ein mit Urangranaten bestückter deutscher Panzer mit deutscher Besatzung auf russischem Boden, das steht für das absolute Gegenteil dessen, was diese Partei ursprünglich einmal versprach.

Die Ukraine mag sich von den Panzern vor allem erhoffen, wieder Zugriff auf eine Waffe mit großem Munitionsvorrat zu haben, nachdem es damit selbst bei den 155 mm-Granaten eng wird. 120 mm-Geschosse für Glattrohrkanonen gibt es in der NATO noch genug. Aber die Fantasien der Kiewer US-Statthalter und ihres militärischen Apparats sind das eine, die Verantwortung einer deutschen Regierung gegenüber der deutschen Bevölkerung ist das andere.

Man muss nur einmal gedanklich ein, zwei Jahre zurückspulen. Wie lange hätte ein deutscher Minister, der erklärt, man führe einen Krieg gegen Russland, seinen Posten noch behalten? Zwei Tage? Drei? Es gab auch in früheren Jahrzehnten Stellvertreterkriege. Da hat dann der Westen beispielsweise die Apartheid-Regierung in Südafrika aufgerüstet, und die Sowjetunion Angola und Mosambik. Aber nicht einmal Franz Josef Strauß ging so weit wie Annalena Baerbock.

Es dauerte nur zwei Tage, bis der frischgebackene Verteidigungsminister Boris Pistorius sich mühte, sie zu übertreffen. Was ist schlimmer, eine dahingerotzte Kriegserklärung oder die praktische Vorbereitung für einen Einstieg in diesen Krieg? Wäre dieses Deutschland noch die halbwegs funktionierende Demokratie, die es einmal war, mindestens die Hälfte dieser Regierung wäre bereits zum Teufel gejagt.

Dabei dreht sich dieses verhängnisvolle Karussell der Waffenlieferungen so schnell, dass jetzt schon in den USA die Debatte über die Lieferung von Kampfflugzeugen angefangen hat, wenn gerade die gestrige Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz ihren Weg in das amtliche Protokoll gefunden hat, an diesem Punkt sei man sich aber mit der US-Regierung völlig einig, dass man das nicht wolle, das könne er zusichern, "vertrauen Sie mir". Derartige Versprechen dieser Bundesregierung haben inzwischen die Haltbarkeit eines blutigen Steaks in einem Teich voller Piranhas.

Ist das jetzt schon Kriegsteilnahme? Ist es das erst, wenn die Panzerketten auf ukrainischem Boden rollen? Abgesehen davon, dass diese Entscheidung vollkommen in russischer Hand liegt und dementsprechend genau zu dem Zeitpunkt stattfinden wird, wenn es aus russischer Sicht militärisch vorteilhaft ist – eines kann man jetzt mit Sicherheit sagen: Wenn dieser irrlichternden Truppe niemand in den Arm fällt, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, und zwar recht begrenzter Zeit, bis es niemand mehr leugnen kann, dass Deutschland Kriegspartei ist, weil sie unaufhaltsam Schritt für Schritt weiter gehen.

Dieses Jahr verspricht, ein Jahr der deutschen Schande zu werden.

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