Meinung

Wie Scott Ritter 2003 versuchte, die US-Invasion im Irak zu verhindern, und weshalb er scheiterte

Keine noch so reine Wahrheit kann die mächtigste Kriegsmaschinerie der Welt aufhalten, wenn sie von den Lügen eines US-Präsidenten angetrieben wird. Mein Land stand kurz davor, auf der Grundlage von Worten, von denen ich wusste, dass sie gelogen waren, in einen Krieg zu ziehen. Und ich konnte nichts mehr tun, um dies zu verhindern.
Wie Scott Ritter 2003 versuchte, die US-Invasion im Irak zu verhindern, und weshalb er scheiterteQuelle: Gettyimages.ru © Scott Nelson / Getty Images

Von Scott Ritter

In Erfüllung seiner feierlichen, in der Verfassung verankerten Verpflichtung stand der 43. Präsident der Vereinigten Staaten, George W. Bush, am 28. Januar 2003 vor den beiden Kammern des Kongresses der Vereinigten Staaten und wandte sich an das amerikanische Volk:

"Herr Vorsitzender, Vizepräsident Cheney, Mitglieder des Kongresses, verehrte Mitbürger. Wie jedes Jahr treffen wir uns hier gemäss Gesetz und Sitte, um die Lage der Union zu erörtern. In diesem Jahr versammeln wir uns in diesem Saal, während wir uns der entscheidenden Tage, die vor uns liegen, bewusst sind."

Die "entscheidenden Tage", von denen Bush sprach, betrafen seine bereits getroffene Entscheidung, unter Verletzung des Völkerrechts in den Irak einzumarschieren, um den irakischen Staatschef Saddam Hussein von der Macht zu entfernen.

Seit der Präsidentschaft des Vaters von George W. Bush, George H. W. Bush – weiter nenne ich ihn "Bush, den Älteren" – war ein Regimewechsel in Bagdad stets ein Eckpfeiler der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber dem Irak. Bush der Ältere hatte Saddam Hussein mit Adolf Hitler gleichgesetzt und gefordert, ihn für die Invasion von Kuwait vor ein Tribunal zu bringen. "Hitler ist wieder auferstanden", rief Vater Bush während einer Wahlkampfveranstaltung in Dallas der versammelten Menschenmenge zu. "Aber vergessen Sie nicht: Nachdem Hitlers Krieg beendet wurde, gab es die Nürnberger Prozesse."

Amerikanische Politiker, insbesondere Präsidenten, können – wenn sie das Land in einen Krieg zerren – sich solche Äußerungen einfach nicht verkneifen. Bush der Ältere fand, selbst nachdem er die irakische Armee 1991 aus Kuwait vertrieben hatte, keine Ruhe, solange Saddam Hussein an der Macht blieb – der "Hitler des Nahen Ostens" musste beseitigt werden.

Die Regierung von Bush, dem Älteren hat die von der UN unterstützten Sanktionen gegen den Irak verhängt. Sie sollten die Wirtschaft dieses Landes abwürgen und einen Regimewechsel von innen heraus herbeiführen. Diese Sanktionen waren mit der Verpflichtung verbunden, dass der Irak seine Massenvernichtungswaffen abrüstet – einschließlich seiner Langstreckenraketen und seiner ABC-Waffenprogramme. Sie sollten so lange aufrechterhalten bleiben, bis der Irak von UN-Waffeninspektoren als entwaffnet erklärt wird.

Doch Bushs Außenminister James Baker stellte klar, dass die Sanktionen nicht aufgehoben würden, solange Saddam regiert. Baker am 20. Mai 1991:

"Wir sind nicht daran interessiert, einer Lockerung der Sanktionen zuzustimmen, solange Saddam Hussein an der Macht ist."

Trotzdem überdauerte Saddam Hussein die Regierung von Bush, dem Älteren. Bill Clinton, Nachfolger im Weißen Haus, setzte die Politik der Sanktionen gegen den Irak fort und kombinierte sie mit UN-Waffeninspektionen. Im Juni 1996 nutzte die Clinton-Regierung das Verfahren der UN-Waffeninspektion als Tarnung, um einen Putsch gegen Saddam anzuzetteln. Der Versuch scheiterte, nicht aber die Politik dahinter. 1998 unterzeichnete Bill Clinton den Iraqi Liberation Act (Verordnung zur Befreiung des Irak) und machte den Regimewechsel im Irak zum offiziellen Ziel der USA.

Saddam überstand auch die Clinton-Regierung. Für den Regimewechsel im Irak erwies sich erst die dritte Gelegenheit als erfolgreich und Saddams Schicksal wurde besiegelt, als der Sohn von Bush, dem Älteren, George W. Bush, 2000 zum Präsidenten gewählt wurde. Letzterem gelang es, die Bemühungen der UN-Waffeninspektionen im Irak zu hintergehen. Dadurch konnte weiterhin behauptet werden, der Irak sei seinen Abrüstungsverpflichtungen nicht nachgekommen, um die Aufrechterhaltung der Sanktionen zu rechtfertigen.

Ab hier wird die Geschichte persönlich. Von 1991 bis 1998 diente ich als einer der hochrangigen UN-Waffeninspektoren im Irak und überwachte dessen Abrüstung. Es war mein Inspektionsteam, das die CIA im Juni 1996 für einen Putsch gegen Saddam zu benutzen versuchte. Es war die anhaltende Einmischung der USA in die Arbeit meiner Inspektionsteams, die mich zu meinem Rücktritt im August 1998 veranlasste. Einige Monate danach befahl die Clinton-Regierung den UN-Waffeninspektoren, den Irak zu verlassen, um anschließend in der Operation Desert Fox die Bombardierung des Landes einzuleiten.

In meinem 2003 veröffentlichten Buch "Frontier Justice" schrieb ich:

"Die meisten der während der Operation Desert Fox bombardierten Ziele hatten nichts mit der Herstellung von Waffen zu tun. 86 der bombardierten Objekte standen ausschließlich im Zusammenhang mit den Sicherheitsgarden von Saddam Hussein – Paläste, Militärkasernen, Sicherheitseinrichtungen, Geheimdienstschulen und Hauptquartiere. Ausnahmslos alle diese Standorte waren durch UN-Inspektionen inspiziert worden, die Aktivitäten dort waren bekannt und hatten nichts mit der Produktion von Waffen zu tun."

Die Absicht hinter Desert Fox war jedem klar, der sich mit den bombardierten Objekten auskannte: Saddam Hussein war das Ziel und nicht die Massenvernichtungswaffen des Iraks. 

Nach den Luftangriffen warfen die Iraker die UN-Inspektoren endgültig aus dem Land. Genau das war für die USA das angestrebte Resultat. Die neue Regierung in Washington versuchte nun, die Ungewissheit über die irakischen ABC-Waffen zu nutzen, um eine Invasion zu rechtfertigen und Saddam ein für alle Mal zu beseitigen. Im Herbst 2002 wurde klar, dass die USA auf einen Krieg zusteuerten.

Ich nahm es persönlich und beschloss, Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu verhindern. Ich reiste nach Washington und versuchte, die Ausschüsse für Geheimdienst und Außenbeziehungen des Senats dazu zu bringen, Anhörungen über den Irak abzuhalten. Man weigerte sich. Die einzige Möglichkeit, die Invasion im Irak zu verhindern, bestand somit darin, die Inspektoren zurück ins Spiel zu bringen, damit sie den Beweis erbringen, dass der Irak keine kriegswürdige Bedrohung darstellte. Doch die Iraker stellten so viele Vorbedingungen, dass dies zunächst nicht zustande kam.

Ich habe mich dann entschieden, als Privatperson zu handeln. Ich traf mich mit Tariq Aziz, Saddams Berater und ehemaligen irakischen Außenminister, in Südafrika und sagte ihm, ich müsse vor der irakischen Nationalversammlung sprechen. Nur so konnte man die Iraker dazu bringen, die UN-Inspektoren wieder ins Land zu lassen. Zunächst betrachtete mich Aziz als Verrückten, stimmte aber nach zweitägiger Diskussion meinem Vorschlag zu.

Ich habe schließlich vor der irakischen Nationalversammlung gesprochen. Allein dafür wurde ich in den USA des Verrats beschuldigt, obwohl ich in dieser Rede die Iraker für die von ihnen begangenen Verbrechen nicht schonte. Ich warnte, dass sie kurz vor einer Invasion stehen und dass der einzige Ausweg darin besteht, die UN-Inspektoren wieder ins Land zu lassen.

Nach meinem Auftritt vor der irakischen Nationalversammlung war die Regierung in Bagdad gezwungen, sich mit mir auseinanderzusetzen. Ich traf mich mit dem Vizepräsidenten, dem Außenminister, dem Ölminister und dem Wissenschaftsberater des Präsidenten. Fünf Tage später überzeugten sie Saddam Hussein, UN-Waffeninspektoren ohne Vorbedingungen in den Irak zu lassen. Ich zähle dies zu den Höhepunkten meines Lebens.

Leider sollte es anders kommen. Die Waffeninspektoren kehrten in den Irak zurück, aber ihre Arbeit wurde auf Schritt und Tritt von den USA unterminiert, die versuchten, die Erkenntnisse aus den Inspektionen zu diskreditieren. Dann, an dem schicksalhaften Abend des 28. Januar 2003, trat US-Präsident Bush vor den versammelten Kongress, um aufgrund einer angeblichen Bedrohung durch den Irak und seiner – nie gefundenen – Massenvernichtungswaffen für den Krieg zu plädieren.

Die Argumente von Busch waren für mich nicht neu. Tatsächlich hatte ich stets versucht, sie zu entkräften. Im Juni 2000 hatte ich auf Bitten des demokratischen Senators John Kerry meine Gegenargumente schriftlich dargelegt und einen langen Artikel im Fachjournal Arms Control Today veröffentlicht, der an Mitglieder des Kongresses verteilt wurde. Im Jahr 2001 hatte ich einen Dokumentarfilm In Shifting Sands ("Im Treibsand") gedreht, um der amerikanischen Öffentlichkeit die Wahrheit über die irakischen Massenvernichtungswaffen, den Stand ihrer Abrüstung und die Unzulänglichkeiten der US-Argumente für einen Krieg näher zu bringen.

Trotz allem verkündete der Präsident nun vor dem Kongress einen auf Lügen basierenden Grund für einen Krieg gegen den Irak:

"Vor fast drei Monaten gab der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Saddam Hussein eine letzte Chance zur Entwaffnung. Stattdessen hat Saddam eine völlige Verachtung für die Vereinten Nationen und für die Meinung der Welt gezeigt."

Bush behauptete, dass der Irak es versäumt habe, mit den UN-Waffeninspektoren zusammenzuarbeiten und dass es Aufgabe des Iraks gewesen sei, "zu zeigen, wo seine verbotenen Waffen versteckt sind, diese Waffen der Weltgemeinschaft zu zeigen und sie wie angewiesen zu zerstören"

Der Irak hatte erklärt, dass er keine Massenvernichtungswaffen mehr habe und daher nicht in der Lage sei, irgendjemandem zu zeigen, wo nicht existierende Waffen "versteckt" sind. 

Der US-Präsident stellte in seiner Rede Behauptungen über nicht nachgewiesene biologische Waffen, wie Anthrax und Botulinumtoxin, Sarin, Senfgas und VX auf.

"Die Internationale Atomenergiebehörde bestätigte in den 1990er Jahren, dass Saddam Hussein ein fortgeschrittenes Programm zur Entwicklung von Atomwaffen betrieb, einen Entwurf für eine Atomwaffe besaß und an fünf verschiedenen Methoden zur Anreicherung von Uran arbeitete",

sagte Bush weiter. Letzteres war zutreffend – ich war einer der Inspektoren auf der Suche nach dem Atomwaffen des Irak. Und dann sprach der Präsident Worte, die fortan als Schande in Erinnerung bleiben würden:

"Die britische Regierung hat herausgefunden, dass Saddam Hussein kürzlich in Afrika nach erheblichen Mengen Uran gesucht hat."

CIA-Direktor George Tenet musste später vor dem Kongress zugeben, diese Worte hätten "niemals in die für den Präsidenten geschriebene Rede aufgenommen werden dürfen". Laut Tenet war die Behauptung bezüglich der Existenz eines britischen Geheimdienstberichts zwar zutreffend, doch die CIA selbst hatten ihm kein Vertrauen geschenkt.

"Der Bericht des britischen Geheimdienstes konnte nicht das Maß an Gewissheit schaffen, das für eine Rede des Präsidenten erforderlich sein sollte", sagte Tenet. "Die CIA hätte sicherstellen müssen, dass diese Worte aus der Rede entfernt werden."

Tatsache ist, dass die Gründe für einen Krieg gegen den Irak, die Präsident Bush vorgebracht hat, Lügen waren und die CIA an der Verbreitung dieser Lügen mitschuldig war. Der einzige Zweck dieser Lügen war es, im Kongress und im amerikanischen Volk Angst zu schüren und den Irak – insbesondere Saddam Hussein –als eine kriegswürdige Bedrohung darzustellen.

Bush fuhr fort: 

"Jahr für Jahr hat Saddam Hussein große Anstrengungen unternommen, enorme Summen ausgegeben und ist große Risiken eingegangen, um Massenvernichtungswaffen zu entwickeln und zu unterhalten. Aber wieso? Die einzig mögliche Erklärung, die einzig mögliche Verwendung, die er für diese Waffen haben könnte, ist zu dominieren, einzuschüchtern oder anzugreifen."

Mit Atomwaffen oder einem Arsenal chemischer und biologischer Waffen könnte Saddam Hussein seine Eroberungsambitionen im Nahen Osten wieder aufnehmen und tödliche Verwüstung anrichten, behauptete Bush. Er appellierte an die frischen Wunden der Nation:

"Der Kongress und das amerikanische Volk müssen diese Bedrohung erkennen. Geheimdienstquellen (...) beweisen, dass Saddam Hussein Terroristen unterstützt und schützt, einschließlich Mitglieder der Al Qaida. Heimlich und ohne Spuren zu hinterlassen, könnte er Terroristen eine seiner versteckten Waffen zur Verfügung stellen oder ihnen dabei helfen, ihre eigenen zu entwickeln. Vor dem 11. September glaubten viele, dass Saddam Hussein eingedämmt werden könnte. Aber chemische Kampfstoffe, tödliche Viren und undurchsichtige Terrornetzwerke sind nicht einfach so einzudämmen. Man stelle sich diese 19 Flugzeugentführer mit anderen Waffen und anderen Plänen vor, diesmal bewaffnet von Saddam Hussein. Es würde eine Ampulle, einen Kanister, eine Kiste reichen (...) um einen Tag des Schreckens zu veranstalten, wie wir ihn noch nie erlebt haben."

Der Präsident ging über zum Kern seiner Rede:

"Die Vereinigten Staaten werden den UN-Sicherheitsrat ersuchen, am 5. Februar zusammenzukommen, um die Tatsachen des Verhaltens des Irak gegenüber der Weltgemeinschaft zu erörtern. Außenminister Colin Powell wird Informationen und Erkenntnisse über die illegalen Waffenprogramme des Irak, seine Versuche, diese Waffen vor Inspektoren zu verstecken, und seine Verbindungen zu terroristischen Gruppen präsentieren."

Dann blickte er in die Kamera und wandte sich direkt an das amerikanische Volk:

"Wir werden uns beraten, aber es darf kein Missverständnis aufkommen: Wenn Saddam Hussein für die Sicherheit unseres Volkes und für den Frieden in der Welt nicht vollständig abrüstet, werden wir eine Koalition anführen, um ihn zu entwaffnen."

Ich starrte auf den Fernsehbildschirm und mir wurde übel. Die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation bestand aus Lügen. Alles Lügen. Ich hatte jede Unze meiner Energien aufgewendet, um sie zu entlarven, ohne Erfolg. Mein Land stand kurz davor, auf der Grundlage von Worten, von denen ich wusste, dass sie gelogen waren, in einen Krieg zu ziehen. Und ich konnte nichts mehr tun, um dies zu verhindern.

Übersetzt aus dem Englischen.

Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspektor bei der Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und von 1991-1998 als UN-Waffeninspektor. Man kann ihm auf Telegram folgen.

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