Journalistenverband: Alternative Medien? Nicht verbieten, nur die Finanzen entziehen
Von Dagmar Henn
Viel Feind, viel Ehr, scheint der pensionierte Tagesspiegel-Autor Matthias Meisner zu denken, wenn er sich in seinem neuesten Text brüstet, es gebe eine "reiche Sammlung an Anwürfen, mit denen ich konfrontiert bin, seitdem ich mich intensiv mit "alternativen Medien" beschäftige." Nur, weil er es mit seiner interessengeleiteten und undifferenzierten Sicht schafft, sich gleich bei allen Portalen und Medien in die Nesseln zu setzen.
Es ist nicht überraschend, dass jemand, der sein Leben überwiegend in dem verbracht hat, was man Mainstream nennt, nachgerückte Medien, die sich womöglich noch inhaltlich unterscheiden, mit Abneigung betrachtet. Das Internet leitete einen massiven Auflagenrückgang bei allen Tageszeitungen ein, und jedes Medium, das neu entsteht, ist Konkurrent um den selben Fressnapf; denn selbst, wenn die meisten Internetmedien keine Anzeigen schalten (wollen oder können), die sinkende Auflage senkt automatisch die Anzeigeneinnahmen, von denen der Mainstream lebt. So sehr, dass nicht nur der Spiegel mittlerweile per Oligarchenspenden aufgepäppelt werden muss.
Problematisch an Meisners neuester Packung Beschuldigungen ist vor allem, dass sie auf der Seite des Deutschen Journalistenverbands erscheint. Der sich ebenfalls in der aufgeräumten Welt der 1990er eingerichtet hat, als die Alternativpresse der 1970er entweder kommerzialisiert oder pleite war und für einige Jahre die öffentlich-rechtlichen und die Konzernmedien die Landschaft bestimmten. Das ist lange vorbei. Sobald das Internet so weit war, dass mit vertretbarem Aufwand (sprich, wenig Geld) ein Medium geschaffen werden konnte, entwickelte sich eine neue journalistische Szene, die langsam aus den Blogs herauswuchs und eigene Medien schuf.
Man sollte sagen, eine natürliche Entwicklung. Und die Tatsache, dass diese Medien inhaltlich andere Positionen vertreten, hat mehr mit der (Ab-)Geschlossenheit der, nennen wir sie mal, Medienszene A zu tun als mit irgendeiner finsteren Verschwörung der Medienszene B, wie das auch Meisner vertritt.
Denn die Journalisten der Szene A entstammen nachweislich einer gesellschaftlich sehr kleinen Schicht, und seit Beginn des neoliberalen Durchmarsches in den 1990ern teilen sie noch dazu einige ideologische Grundsätze (was durch soziale Homogenität gleichsam Teil des Habitus wird). Logischerweise sammeln sich dann sämtliche abweichenden Positionen in Szene B. Das besagt aber noch gar nichts über journalistische Fähigkeiten und Qualitäten, für keine der beiden Szenen.
Der DJV jedenfalls hat irgendwann die Szene B als unordentlich klassifiziert, vermutlich, weil die meisten Beteiligten kein festes monatliches Salär beziehen, und beschlossen, sie nicht in seine Reihen aufzunehmen. Logische Folge dieses Schrittes ist, dass er dann auch nur die Interessen der Szene A vertritt; und weil die Szene A mit braven Bürgerkindern bestückt ist, die ihr Leben in Wohlstand verbracht haben, und sich daher niemals gegen die Inhaber ihres Brotmediums wenden würden, um von diesen mehr Vielfalt zu fordern. Also können sie sich zur Verteidigung ihres Salärs nur gegen die Szene B wenden und versuchen, diese Konkurrenz vom Futternapf zu verdrängen.
Das ist nichts Journalistenspezifisches, die vielen Geschichten über die Verhältnisse zwischen CIA und FBI haben genau den gleichen Hintergrund. Aber ein klein wenig enttäuscht es doch, professionell wie intellektuell, wenn ein langjähriger Politikberichterstatter derart blind gegenüber dem Einfluss ist, den das schnöde materielle Interesse auf seine eigene Position hat, dass er es nicht einmal als Faktor wahrnimmt, sondern lieber aus einer sehr breiten und durchaus divergenten Szene B einen Brei matscht, dem er dann Etiketten wie "Coronaverharmlosung und pro-russische Propaganda" anheftet.
Und dabei noch zu Methoden greift, über deren Unzulässigkeit er Bescheid wissen muss. Damit er die Nachdenkseiten mit der AfD in einen Topf bekommt, schreibt er: "Sie interviewten eine Anführerin, die auf Facebook ein Video der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck geteilt hatte." Abgesehen davon, dass es nicht zum üblichen journalistischen Verfahren gehört, Menschen, die man interviewt, bis in ihre Konten in sozialen Medien auszuspionieren – vielleicht sollte Herr Meisner mal darüber nachdenken, ob er nicht schon Politiker interviewt hat, die womöglich etwa als "alte Herren" irgendwelcher Studentenverbindungen nachts volltrunken Lieder der Naziwehrmacht gegrölt haben, das aber nur deshalb nicht erhalten ist, weil es Facebook zu der Zeit noch nicht gab oder sie zu alt waren, es noch nutzen zu lernen?
Wenn das Compact-Magazin eines Jürgen Elsässer und die Nachdenkseiten beide eine Wagenknecht-Partei für wünschenswert halten, warum ist das dann anders zu bewerten, als wenn es beispielsweise die taz und die FAZ gleichzeitig täten? Könnte sich dahinter nicht ein gesellschaftliches Bedürfnis verbergen, eine Reihe in der politischen Landschaft nicht oder nicht ausreichend vertretener Positionen? So etwas soll schon öfter vorgekommen sein, und wenn Herr Meisner noch im Stande wäre, seine Querfront-Brille abzusetzen, würde er das auch erkennen.
Das mit dem "Boom rechter Inhalte", den er, unter Berufung auf Horst Kahrs, der Szene B unterstellt, ist besonders schwierig. Gut, Kahrs gehörte immer zum rechten Rand der Linkspartei, also wird er auch den Schwenk hin zur NATO brav mit vollzogen haben; doch es bleibt dennoch wahr, dass der Traum vom Russlandfeldzug und die Erzählung vom russischen Untermenschen, gekoppelt mit rabiatem Antikommunismus, das ist, was vom Nazismus übrigbleibt, wenn man den Antisemitismus abzieht.
Und was liest man heutzutage in den Blättern der Medienszene A? Träume vom Russlandfeldzug, die Erzählung vom russischen Untermenschen und rabiaten Antikommunismus. Und da reden wir nicht von "irgendwie rechts". Der Boom ist woanders. Was Meisner als Herold der Szene A natürlich weder wahrnehmen will noch schreiben darf.
Wobei das Argument, das Kahrs anführt, noch besonders eigen ist. "Rechte Narrative konnten und können nur deshalb eine Gefahr werden, weil sie vorhandene Kritik und Missstände aufgreifen, nicht um sie abzustellen, sondern um Wut, Zorn und Abwendung zu schüren." Kahrs hat schließlich ebenfalls Jahrzehnte politischer Erfahrung und weiß, dass nicht alles einfach so "abzustellen" ist und es oft auch zur gewöhnlichen demokratischen Veränderung ein gerüttelt Maß an "Wut, Zorn und Abwendung" braucht. Seine damalige Berliner PDS ging in die Koalition und hatte als ganze Errungenschaft dafür ein Sozialticket vorzuweisen, um die folgenden Jahre mit eifrigem Krötenschlucken zu verbringen.
Aber betrachten wir einmal die Konsequenzen, die Herr Meisner aus seiner selbstgebastelten Verschwörung zieht.
"Niemand will 'alternative Medien' verbieten oder zensieren. Dass der russische Propagandasender RT DE offiziell nicht zu empfangen ist – inoffiziell gibt es, siehe oben, nach wie vor Möglichkeiten – ist eine temporäre Maßnahme. Eine andere Frage ist, ob es richtig ist, dass Parallelmedien steuerlich begünstigt werden, indem Finanzämter sie oder ihre Fördervereine als gemeinnützig einstufen."
Da wird jetzt gebissen am Futternapf. Obwohl es zu Recht einen Unterschied macht, ob ein Medium zum Zwecke der Gewinnerzielung produziert wird, oder ob die Mittel der Finanzierung des Mediums dienen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zahlt auch keine Steuern, auch wenn man angesichts der enormen Gehälter der Führungsetagen da zumindest bei einem Teil von einem Streben nach persönlichen materiellen Vorteilen ausgehen muss. Eine Zeitung wie der Tagesspiegel dient vor allem dazu, die Bilanz der Familie Holzbrinck zu polieren, indem sie Anzeigenfläche liefert; dass die um die Anzeigen dekorierten Texte vielleicht nur Nebensache sind, müsste auch Herrn Meisner klar sein.
Die letzten Jahre verbrachte Meisner weniger mit Journalismus als mit Denunziation. Er ist nicht jemand, der die Behauptung einer vermeintlich rechten Alternativmedienlandschaft nachplappert, er ist einer ihrer Schöpfer. Wozu er sich vom überwiegend staatlich finanzierten Nebeneinkommensprojekt der Politrentner Fücks und Beck, dem "Zentrum liberale Moderne", engagieren ließ. Was schon deshalb interessant ist, da Marie-Luise Beck eine innige Liebe zu gewissen ukrainischen Nazis hegt und führend mit dazu beigetragen hat, dass die politische Landschaft Deutschlands vor den wirklichen Positionen dieser vermeintlichen Demokraten seit 2014 beide Augen fest verschloss. Eine grüne Außenministerin ausbrüten helfen, die Russland den Krieg erklärt, das ist schon ein wenig weiter rechts als ein Facebook-Beitrag mit einem geteilten Video.
Es war ihm nicht einmal peinlich, persönlich andere Journalisten, unseren ehemaligen Kollegen bei RT DE, Florian Warweg, am Zugang zur Bundespressekonferenz zu hindern. Böse Stimmen unken, das sei eine Auftragsarbeit gewesen, da die sonst üblichen Anwesenden durch Warwegs nervende Fragen im Schlaf gestört wurden. Aber Denunziation ist keine Tätigkeit, die weithin geschätzt wird. Was Meisner dann wieder nutzt, um sich selbst als das arme verfolgte Opfer auszugeben, obwohl doch er es ist, der sich nach Kräften müht, Kollegen die Arbeitsmöglichkeit zu nehmen. In der aktuellen Runde eben über die Aufforderung, die Finanzierung zu erschweren.
So kommt Stück für Stück ein weiteres Steinchen hinzu, eine Mauer zwischen Medienszene A und Medienszene B zu errichten, und Meisner mauert eifrig mit, neben Google, Paypal, Facebook und all den anderen Zensoren, die ein Auge darauf haben, dass nur dem Hegemon und seinen Interessen genehme Inhalte das Publikum erreichen.
Die historische Erfahrung lehrt allerdings, dass jedes System der Zensur irgendwann zusammenbricht; der Buchdruck entzog sich bald der Pflicht, sich für jedes Buch ein "Nihil obstat" der Kirche zu holen, die Zensur der Tageszeitungen ging unter mit dem Rotationsdruck, und es wird die Entwicklung der heutigen Kommunikationsnetze sein, die auch die jetzigen Zensuranstrengungen brechen wird. Insofern hat Meisner zwangsläufig Recht, wenn er die Zensur von RT DE als "temporär" bezeichnet, auch wenn in den entsprechenden Bekundungen der EU keinerlei Zeitbegrenzung vorgesehen ist und Meisner das nur so nennt, um sich selbst dann nicht als Zensor sehen zu müssen.
"Parallelmedien", schließt Meisner, schaffen "ihre eigene Welt". Man muss nicht einmal auf die Märchen zum Thema Ukraine verweisen, um erwidern zu können, die Medienszene A tue das ebenso. Meisners Selbstsicht als Erzengel Michael, der den Zugang zum Baum der journalistischen Erkenntnis bewacht, entstammt ebenfalls einer selbst geschaffenen Welt. Traurig nur, dass offenkundig im gesamten Verband, der diesen Text veröffentlichte, Anspruch und Ehre gleichermaßen tief gefallen sind. Oder, um den Untertitel der Verbandszeitschrift zu beantworten, der fragt: "Wie machen wir den Journalismus besser"? So jedenfalls nicht.
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