Meinung

Russlands neue außenpolitische Doktrin: Machtmonopol des Westens aufbrechen

Auf einer Plenarsitzung der russischen Staatsduma hat Russlands Außenminister Lawrow die Ziele russischer Außenpolitik formuliert. Moskau zielt auf eine Aufhebung der westlichen Hegemonie. Der Zeitpunkt dafür ist gut gewählt, die Erfolgsaussichten hoch.
Russlands neue außenpolitische Doktrin: Machtmonopol des Westens aufbrechenQuelle: Sputnik © Russisches Außenministerium

Von Gert Ewen Ungar

In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) fordert der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, als Voraussetzung für die Wiederbelebung des deutsch-russischen Verhältnisses eine De-Putinisierung Russlands. Vermutlich ist Heusgen unter anderem die Rede des russischen Außenministers vor der russischen Staatsduma irgendwie durchgerutscht. Er hat jedenfalls wichtige Weichenstellungen der letzten Zeit nicht mitbekommen. 

Lawrow hat am 15. Februar die außenpolitische Doktrin Russlands skizziert und man kann das, was der Minister sagte, auch als Ziel verstehen, das in einem weiter gefassten Rahmen mit der militärischen Sonderoperation erreicht werden soll: eine Entmachtung des Westens. 

Lawrow hat seine Worte wie immer wohl gewählt, er weiß, die Chancen dafür stehen gut. Heusgen, der im Interview große Töne spuckt, hat den von Lawrow geführten Glockenschlag offenbar nicht gehört. Wenn es eine Wiederbelebung des deutsch-russischen Verhältnisses geben sollte, wird Russland und nicht Deutschland die Bedingungen festlegen.

Der Zeitpunkt einer Ablösung der Hegemonie des Westens ist auch deshalb gut gewählt, weil der kollektive Westen im Innern von Kämpfen um Macht und Einfluss erschüttert wird. Auf Deutschland wurde gerade von seinen Verbündeten ein Anschlag auf eines seiner wichtigsten Infrastrukturprojekte durchgeführt, auf Nord Stream. Über Nord Stream bezog Deutschland einen Teil seiner wirtschaftlichen Kraft und den damit verbundenen Führungsanspruch in der EU. Die "Verbündeten" Deutschlands haben nunmehr den Abstieg des Landes beschlossen. 

Die Offenlegung von Hersh, dass der Anschlag im Weißen Haus geplant und gemeinsam mit Norwegen durchgeführt wurde, tut Deutschland als Hirngespinst eines alternden Journalisten ab und unterlässt jedes weitere Bemühen um Aufklärung. In der medial von der Realität gut abgeschirmten BRD mag diese Strategie der Diffamierung von Hersh noch halbwegs funktionieren, außerhalb Deutschlands funktioniert sie aber nicht. 

Berlin wurde der Welt als machtloser Vasall vorgeführt. Die politische Führung Deutschlands steht blamiert und nackt da. Deutschland hat nichts zu melden, wurde dabei deutlich. Nicht einmal im Kreis der anderen transatlantischen Vasallen nimmt man Deutschland ernst. Man kann mit Berlin alles machen, es wird sich nicht wehren, ist die Botschaft, die in diesen Tagen an die Welt gesendet wird. Im Inneren des Westens tobt ein Machtkampf, und Deutschland steigt ab. Und jetzt noch einmal, damit es wirklich jedem auffällt, wie weit das politische Deutschland inzwischen neben der Realität steht: Christoph Heusgen fordert die De-Putinisierung Russlands unter deutscher Führung.

Der Traum einer "De-Putiniserung Russlands" unter deutscher Führung ist angesichts der tatsächlichen weltpolitischen Abläufe indes nichts weniger als pathologischer Größenwahn. Heusgen täte gut daran, sich medikamentös einstellen zu lassen. 

Die Chancen für eine Ablösung des Westens als Hegemon, wie sie Lawrow als Ziel russischer Außenpolitik umreißt, stehen dagegen nicht schlecht. Nicht nur, weil auch innerhalb des westlichen Bündnisses die Kräfteverhältnisse neu austariert werden und dies absehbar zu Verwerfungen führt, die Kräfte bindet. 

An dem, was gerade in der Ukraine passiert, wird noch etwas anderes deutlich: Die NATO, das größte und finanzstärkste Militärbündnis der Welt, kann nicht liefern. Ihr geht die Munition aus. Die Kämpfe in der Ukraine überfordern die Fähigkeiten der NATO. Das ist schon sehr bemerkenswert. Russland mit einem Militäretat von 66 Milliarden Dollar bringt ein Militärbündnis mit einem Etat von 1,2 Billionen Dollar an seine Grenzen. Ein finanzieller David gegen einen Goliath. Man kann sich sicher sein, dass auch diese Tatsache nicht unbemerkt bleibt. Die NATO ist geschwächt.

Mit seinem Vielfrontenkrieg auf allen Ebenen, militärisch, wirtschaftlich und im Informationsraum, verzettelt sich das westliche Bündnis. Die Zensurmaßnahmen, die dem Erhalt der Deutungshoheit über das geopolitische Geschehen im Innern dienen sollen, entlarven das Gerede von Demokratie und westlichen Werten nach außen als leeres Geschwätz. 

Der kollektive Westen operiert nicht nur gegen Russland, sondern auch noch gegen China und andere Länder, wie den Iran und nach wie vor gegen Syrien und Venezuela. Gleichzeitig tobt ein Krieg um Einfluss-Sphären in Afrika und Lateinamerika. Der Westen führt dort Rückzugsgefechte. Ganz unklug in diesem Zusammenhang sind Drohungen der EU und der USA mit Sekundärsanktionen gegenüber jenen Ländern, welche die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mittragen. Der Wunsch nach einer Ablösung der hegemonialen Stellung des Westens wird dadurch sicher nicht gemindert. Im Gegenteil. 

Nicht gemindert wird er auch durch die Tatsache, dass der Westen für sich das Recht in Anspruch nimmt, bei jedweder Form der Kooperation sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Die Länder des globalen Südens haben diese Form der Bevormundung und Einmischung, die mit dem Titel "Demokratieexport" hübsch verpackt daherkommt, gründlich satt. Der Westen ist zur Augenhöhe nicht fähig, beansprucht im Gegenteil Führung.

Dem setzen die jungen transnationalen Bündnisse ein anderes Konzept und eine andere Agenda entgegen, eine, die auf Anerkennung der Souveränität der Länder basiert. Mit BRICS, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und all den anderen wird dem Völkerrecht wieder zu Geltung verholfen – unter Umgehung des Westens, der das internationale Recht für seine Zwecke instrumentalisiert. 

Dem Völkerrecht wieder zu Geltung zu verhelfen, ist dabei das zentrale Anliegen. Wer die politischen Reden zu internationalen Themen aus China, Russland und anderen Ländern verfolgt, dem wird nicht entgangen sein, dass der Begriff des Völkerrechts in ihnen zentral ist. In Deutschland macht man sich freilich darüber lustig, weil man den Westen und Deutschland für die Gralshüter des internationalen Rechts hält.

Einer objektiven Überprüfung hält das indes nicht stand. Lawrow führte in seiner Rede zahlreiche Beispiele an, die belegen, dass der kollektive Westen internationales Recht nach Gutdünken in seinem Interesse auslegt und die Organe des internationalen Rechts für seine Interessen instrumentalisiert.

Es wird Zeit und es ist gut, dass dies zu einem Ende kommt und von transparenten Regeln abgelöst wird, an die sich alle Staaten der Welt zu halten haben. Es wird Zeit, dass der Westen eingehegt und in seinem Dominanzanspruch begrenzt wird. Das ist längst überfällig. Dass Lawrows Ansage an den Westen mit den Partnern Russlands nicht abgesprochen ist und Russland allein agiert, kann man getrost vergessen. Die Ablösung des Westens ist längst abgesprochen. Man kann also auf die nächsten Schritte in diesem Zusammenhang gespannt sein. 

Ab Freitag, 17. Februar, findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Da sitzt der kollektive Westen dann zu Rate, da darf deren Leiter Christoph Heusgen wieder von der "De-Putinisierung Russlands" fabulieren – ohne größere Relevanz versteht sich.

Mehr zum Thema – Lawrow skizziert neue außenpolitische Doktrin Russlands: Westlicher Dominanz ein Ende setzen

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