"Dann gehen Sie zur Tafel": Wie Sozialbehörden Bedürftige auf hohen Wohnkosten sitzen lassen
Von Susan Bonath
Die Gaspreise an der europäischen Börse und die sogenannten Energiepreisbremsen sind bei vielen Mietern in Deutschland noch nicht angekommen. Vor allem arme Menschen leiden weiter unter horrenden Abschlägen für Heizung und Warmwasser. Laut politischem und medialem Tenor sollen Sozialämter und Jobcenter Bedürftige nicht auf den Kosten sitzen lassen und diese vollständig übernehmen. Doch vielerorts passiert das Gegenteil dieses Versprechens: Behörden verweigern unter Berufung auf alte Richtlinien oder undurchsichtige Berechnungen die Übernahme der Mieten und treiben Betroffene in existenzielle Not.
Jobcenter kürzt und schickt Betroffene zur Tafel
Das belegen zahlreiche Fälle aus ganz Deutschland, die der Autorin vorliegen. Mehrere davon betreffen Menschen in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt Magdeburg. Demnach stiegen dort die Abschläge für Fernwärme, mit der ein Großteil der kommunalen Wohnungen in den unteren Preissegmenten beheizt wird, besonders stark an.
Das Magdeburger Jobcenter geht nach anfänglicher Übernahme der Kosten nun dazu über, die Hilfe zu verweigern. In einem Fall kürzte die Behörde zum Beispiel einer alleinstehenden Person, die ihren Namen nicht öffentlich preisgeben will, so viel Geld, dass ihr gerade noch 200 Euro monatlich bleiben, um alles andere vom Essen bis hin zum Strom zu bezahlen. Der Grund: Ihr Vermieter, die städtische Wohnungsbaugesellschaft, hob ihren Monatsabschlag unter Berufung auf den Versorger im November von rund 80 auf 350 Euro an – zu viel für das Amt.
Damit nicht genug: Das Jobcenter soll mehrere Betroffene vorab nicht über die Kürzung informiert, sondern sie mittels Bescheid vor vollendete Tatsachen gestellt haben. Einigen habe es sogar geraten, karitative Einrichtungen wie die Tafel aufzusuchen, um nicht hungern zu müssen. "Dann gehen Sie zur Tafel", habe es einem Mittellosen nahegelegt, als er um Hilfe bat.
Ein solcher Verweis wurde schon vor Jahren von Gerichten für rechtswidrig erklärt, weil Tafeln keine staatlichen, sondern private Einrichtungen sind. Zudem sind die Tafeln in Deutschland heillos überlastet. Viele nehmen niemanden mehr auf, auch in Sachsen-Anhalt.
Einen Betroffenen habe das Jobcenter schließlich damit abgewimmelt, dass es mit der Kürzung lediglich die Wohnkosten-Richtlinie der Stadt Magdeburg umsetze. Dort, also bei der Stadt, müsse er sich folglich beschweren. Auf deren Internetseite ist nur eine alte Richtlinie aus dem Jahr 2021 abrufbar, die die gestiegenen Heizkosten nicht berücksichtigt. Es ist also unklar, woran sich das Jobcenter genau orientiert.
Um Licht ins Dunkel der Gründe für die offensichtlich viel zu niedrig angesetzten Mietobergrenzen zu bringen, fragte die Autorin bei der Stadt Magdeburg an, die laut Auskunft des Jobcenters verantwortlich sei. Begehrt wurde die Übermittlung der gesamten neuen Richtlinie inklusive Begründungen, außerdem eine Stellungnahme zur Praxis, Betroffene an die Tafel zu verweisen. Die Stadt ließ jedoch die zweitägige Frist ohne Antwort verstreichen.
Wucher-Abschläge und amtliche Verantwortungsflucht
Das Problem mit den Zuständigkeiten ist seit langem bekannt. Während Sozialämter generell kommunale Behörden sind, ist das bei Jobcentern anders: Die Regelsätze, die seit Januar für Alleinstehende 502 Euro betragen, sind Bundesleistungen. Hier untersteht ein Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Miet- und Nebenkosten sind hingegen eine kommunale Angelegenheit. Die Kommune, hier die Stadt, legt fest, wie viel Miete sie Bedürftigen höchstens zubilligt. Sie muss dafür alle zwei Jahre ein neues Konzept vorlegen.
Diese Zweiteilung der Zuständigkeiten führt nach Erfahrung der Autorin seit Beginn der Hartz-IV-Reform 2005 immer wieder zu einem Hin- und Herschieben von Verantwortung, zumal das Bundesgesetz den Jobcentern weite Ermessensspielräume erlaubt. Letztere entscheiden oft aufgrund interner Weisungen oder Absprachen, manchmal wohl auch nach Befindlichkeit des jeweiligen Sachbearbeiters.
Allerdings: Für die Anhebung der Heizkostenabschläge können die Betroffenen freilich nichts. Die besonders drastische Teuerung in Magdeburg hat offenbar der Energieversorger Getec zu verantworten. Der Konzern betreibt in Magdeburg ein Biomasseheizkraftwerk und beliefert von dort Mietwohnungen innerhalb und außerhalb der Stadt mit "grüner" Fernwärme.
In Potsdam etwa sorgte Getec mit einer Vervielfachung der Abschläge im Herbst für Unmut. Ähnliches praktizierte das europaweit agierende Unternehmen auch in Lübeck. Dort wehrten sich jeweils Vermieter als direkte Kunden des Konzerns gegen dessen Preiswucher. In Magdeburg passierte dies jedenfalls nicht medienwirksam, und falls intern, dann offensichtlich erfolglos.
Sozialhilfe-Bezieher wegen Minibeträgen schikaniert
Über eine ähnliche Kürzungspraxis der Sozialbehörden im nordrhein-westfälischen Wuppertal berichtete in dieser Woche der Sozialhilfe-Verein Tacheles. Ihm liegen Informationsschreiben vom Sozialamt der Stadt vor, in denen es Bedürftigen ankündigt, ihre gestiegenen Mieten künftig nicht mehr vollständig oder in bisheriger Höhe zu übernehmen.
Dabei orientiert sich das Amt offenbar ebenfalls an einer veralteten Richtlinie von 2021. Besonders perfide: Sozialhilfe beziehen ausschließlich Menschen, die gar nicht arbeiten können, also keine andere Möglichkeit haben, den Repressionen zu entgehen, als umzuziehen – in billigere Wohnungen, die es wohl nicht gibt.
Die Behörde pocht in den Schreiben auf eine mit dem Bürgergeld neu eingeführte "Karenzzeit", die auch für die Sozialhilfe gilt. Dieses Gesetz sieht vor, den Betroffenen nach einem erstmaligen Antrag auf Bürgergeld oder Sozialhilfe für ein Jahr die vollständige Miete auch oberhalb der städtisch festgelegten Grenzen zu erstatten. Problem: Wer schon länger als zwölf Monate im Leistungsbezug ist, hat Pech.
Die meisten Menschen jedoch, die Sozialhilfe bekommen, sind aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen dauerhaft auf diese finanzielle Hilfe angewiesen. Auch für zahlreiche Bezieher von Bürgergeld trifft das zu, nur dass bei ihnen eine Arbeitsfähigkeit von mindestens drei Stunden pro Tag noch angenommen wird.
In den konkret belegten Fällen geht das Sozialamt Wuppertal gnadenlos vor. Denn es geht dabei nicht etwa um hunderte Euro, sondern in einem Fall um gut 16, im anderen um genau 20,60 Euro. Tacheles wirft der Stadt vor, rechtswidrig veraltete Obergrenzen aus dem vorletzten Jahr zugrunde zu legen. Der Verein sieht ein planmäßiges Handeln. Es sei "davon auszugehen, dass alle Leistungsbeziehenden mit Unterkunftskosten oberhalb der Mietobergrenze mit solchen Schreiben angegangen werden".
Bürgergeld – Hartz IV mit neuem Namen
Das Fazit zum "neuen" Bürgergeld ist ernüchternd. Versprochen hatte die "Ampel"-Regierung zahlreiche Erleichterungen für Bedürftige, darunter weniger Repressionen und "mehr Augenhöhe". Herausgekommen ist Hartz IV unter neuem Namen. Die Erhöhung um knapp zwölf Prozent wiegt die Inflation bei Lebensmitteln und Strom nicht ansatzweise auf. An der Gängelei und akribischen Pfennigfuchserei, gern nach Ermessen zum Nachteil der Betroffenen, hat sich ersichtlich auch nichts geändert.
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