Wofür will Deutschland in Ghana Arbeitskräfte stehlen?
Von Dagmar Henn
Zuerst eine Anmerkung vorneweg, nur, damit auch dem Letzten klar ist, dass ich keine Probleme mit afrikanischen Migranten habe – meine beiden jüngeren Töchter haben einen westafrikanischen Vater. Aber genau darum weiß ich auch sehr genau, dass man Menschen nicht problemlos von einem Ende der Welt an ein anderes verpflanzen kann, und dass der Preis, den die Migranten selbst zahlen, oft hoch ist.
Und noch etwas: In diesem Jahr würden die ersten Kinder, die wegen Hartz IV nicht geboren wurden, volljährig. Mit dieser Änderung des Sozialrechts wurden in einem Land, das zuvor schon nicht gerade einen Ruf der Kinderfreundlichkeit hatte, die Bedingungen, Kinder aufzuziehen, weiter deutlich verschlechtert. Man kann es auch anders formulieren: Der Niedriglohn von heute ist der Fachkräftemangel von morgen. Damit ist auch klar, wer davon profitiert und wer nicht.
Aber eigentlich geht es um einen Bericht des Magazins Der Spiegel. In Ghana, so wird erzählt, hätte das deutsche Migrationszentrum seine Politik geändert und würde auf Anwerbung von Arbeitskräften umschwenken, nachdem es zuvor den Auftrag hatte, die jungen Leute von einer Zukunft in Ghana zu überzeugen. Ähnliches dürfte zumindest im gesamten englischsprachigen Afrika geschehen. Die Begründung: Die deutsche Wirtschaft benötige Arbeitskräfte.
Da muss mir etwas entgangen sein. Klar, es gibt die Bereiche, in denen die Lücken groß sind, in der Pflege beispielsweise, aber meist liegt das unter anderem an schlechten Arbeitsbedingungen und ebenso schlechter Bezahlung. Nur Industrie und IT? Zu einem Zeitpunkt, da deutsche Konzerne reihenweise dabei sind, sich zu verlagern, mehr noch, zu dem sie von den USA gezielt abgeworben werden, mit massiven Subventionen geködert, nachdem ebendiese USA sichergestellt haben, dass Energie in Deutschland unbezahlbar wird?
Die Rechnung geht irgendwie nicht auf. Da bedarf es nicht einmal eines Verweises auf die Einwanderungswelle 2015 und die unzähligen Ukrainer im Land. Was sollen die angeworbenen jungen Leute in einem Land, das gerade seinen eigenen Abstieg inszeniert? Selbst wenn sie scharenweise hierherkämen, würde dadurch kein einziger Betrieb in Deutschland bleiben und kein einziger neu beginnen.
Die Spiegel-Reporter umschiffen diese Frage. Sie erzählen etwas von Solartechnik … als wäre die nicht abhängig von chinesischer Produktion, und als wollte der Westen nicht gerade China ebenfalls sanktionieren. Nebenbei, einen Ersatz chinesischer Solarzellen durch deutsche kann man getrost vergessen – die Produktion des Siliziumkristalls ist der energieaufwändigste Teil des Ganzen, wird also in Deutschland nicht mehr passieren.
Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsministerin Svenja Schulze sind nach Ghana gereist und ließen sich das Migrationszentrum zeigen. "Man müsse künftig alle Register ziehen, um Fachkräfte zu gewinnen, sagte Heil anschließend. Und die Entwicklungsministerin schwärmte vom "enormen Potenzial der Migration". Die Voraussetzungen für Anwerbungen in Ghana sind augenblicklich gut. Schließlich hat Ghana, auch dank seiner folgsamen Umsetzung der CO₂-Politik, enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Diese Zusammenhänge erwähnt der Spiegel selbstverständlich nicht, und die explodierenden Lebenshaltungskosten werden weder mit westlicher Spekulation noch mit der Zinspolitik der FED in Verbindung gebracht. Erwähnt wird jedoch, dass noch andere westliche Länder auf Beute hoffen: "Auch das Vereinigte Königreich rekrutiert gezielt Fachpersonal für das Gesundheitswesen, um die Lücken in britischen Krankenhäusern zu stopfen."
Schon an der vom Spiegel gelieferten Geschichte kann man sehen, dass natürlich wieder Illusionen verkauft werden. Eine Vierzigjährige würde gern Stuckhandwerk lernen. Dass gerade solche handwerklichen Ausbildungen eher nicht zu haben sind, dass die drei Jahre Berufsausbildung ein hohes Niveau an deutschen Sprachkenntnissen voraussetzen und die Handwerke mit Personalmangel eher Bäcker und Metzger heißen, wird nicht erwähnt. Restaurator? Das würden nach wie vor gern mehr Deutsche lernen, als es Ausbildungsplätze gibt.
Und überhaupt ist das Handwerk gerade alles andere als eine gesicherte Arbeitsperspektive. Schließlich spart die öffentliche Hand seit Jahrzehnten, und die Verpflichtung zu europaweiten Ausschreibungen hat ganze Sektoren ruiniert. Das wird keineswegs besser, wenn auch noch die Industrie als Abnehmer wegfällt. Stuckhandwerk? Das wird allenfalls für Luxussanierungen benötigt. So wie die Zahlen im Bau augenblicklich aussehen, wird in Deutschland fast gar nichts mehr gebaut. Die Fantasien der Bundesregierung bezüglich Dämmung und Heiztechnik dürften das noch verschärfen. Und wo bitte, sollen die angeworbenen Migranten wohnen? Es ist nach wie vor in ganz Deutschland so, dass Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen grundsätzlich nicht in ein und derselben Gegend zu finden sind.
Warum also jetzt eine Anwerbekampagne, wenn eigentlich klar ist, dass aller Voraussicht nach nicht einmal fertig ausgebildete Kräfte in tatsächlichen Mangelberufen auf eine sichere Zukunft setzen können? Nur für ein paar IT-Kräfte, für deren Tätigkeit die Beherrschung des Englischen ausreicht? Auch wenn selbst die ziemlich bald die Erfahrung machen dürften, dass die Ausbildung deutscher Behördenvertreter zwar irgendwie Englisch beinhaltet, das aber noch lange nicht heißt, dass alle Formen des Englischen verstanden werden?
Nein, dieser Schwenk zielt eher auf den Kollateralschaden, den die Migration im Entsendeland hinterlässt. Es geht dabei nicht um die deutsche Wirtschaft, es geht um die ghanaische, oder, um es genauer zu sagen, es geht darum, den Ausbruch aus den kolonialen Strukturen möglichst zu erschweren.
Denn wenn die Entwicklung hin zu afrikanischer Souveränität anhält, wird Afrika sich verwandeln. Es hat jedes Potenzial, in diesem Jahrhundert ein gigantisches Wachstum hinzulegen. Der Riesenkontinent ist nach wie vor weitgehend unerschlossen und der Binnenhandel ist völlig unterentwickelt.
Die chinesische Entwicklungspolitik ist dabei, das zu ändern. China baut Straßen- und Eisenbahnnetze, Stromversorgung und Fabriken. Ohne die Raubzüge der westlichen Kolonialmächte – die Ghana vor Kurzem erst einen neuen IWF-Kredit verpasst haben – werden alle Kräfte für die eigene Entwicklung gebraucht. Nicht Europa ist der aufsteigende Kontinent, Afrika ist es.
Und während auf der einen Seite alle westlichen Nationen, auch Deutschland, mit allen Mitteln Druck auf die afrikanischen Länder ausüben, sich nicht mit China oder gar Russland zu verbünden, wird gleichzeitig versucht, möglichst schlechte Voraussetzungen für diesen Aufbruch zu schaffen. Wenn die angeworbenen Fachkräfte in Deutschland als Pizzafahrer enden, was soll’s, Hauptsache, das Kolonialsystem bleibt erhalten.
Natürlich richtet sich das Hauptinteresse, auch wenn der Spiegel das nicht schreibt, auf medizinisches Personal. Die Ausbildung von Ärzten ist eine der teuersten. In diesem Sektor betätigt sich Deutschland schon seit Jahrzehnten als Parasit und schöpft gern Kräfte ab, deren Ausbildung eine andere Volkswirtschaft finanziert hat. Gleichzeitig ist die Entwicklung des Gesundheitssystems eine der wichtigsten Aufgaben für alle afrikanischen Länder; eine Aufgabe, an der sie scheitern, wenn die ausgebildeten Kräfte ständig abgezogen werden.
Wie sähe es denn aus, wenn Deutschland tatsächlich die Entwicklung in Afrika fördern wollte? Dann ginge die Bewegung in die andere Richtung. Gleich, wie die ökonomische Lage sonst ist, gibt es ein kostbares Exportprodukt: die deutsche Berufsausbildung. Wenn man wirklich dazu beitragen wollte, dass die afrikanischen Länder ihr Potenzial entfalten können, müsste man Berufsschulen exportieren. Oder gezielt daran arbeiten, Berufsschullehrer auszubilden und für deren künftige Schulen die nötige Ausstattung zu liefern.
Allerdings wurde in Deutschland in den Sektoren, die in Afrika als Erstes wachsen werden, über Jahrzehnte hinweg die Ausbildung heruntergefahren, sodass das vielleicht gar nicht mehr möglich wäre – in allen Handwerken rund um den Bau beispielsweise. Und selbst bei der Bahn und das gilt nicht nur für Deutschland, ganz Europa würde es nicht mehr schaffen, die Züge zu bauen, die es benötigen wird.
Zusätzlich wird das Beharren auf der Position als Kolonialmacht dafür sorgen, dass diese zukünftigen Züge erst in China und dann in Afrika selbst gebaut werden. Hat jemand in Deutschland schon einmal ausgerechnet, von welchen Strecken wir hier reden, wenn man nur erreichen will, dass alle afrikanischen Hauptstädte zweimal täglich erreichbar sind?
Ich sage das, um klarzustellen, dass es Möglichkeiten gibt, durch die auch Deutschland einen Nutzen von der afrikanischen Befreiung haben könnte. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, die Souveränität der afrikanischen Länder zu respektieren. Aus einem Land, dessen Souveränität man respektiert, wirbt man keine Arbeitskräfte ab, es sei denn, dass dieses Land darum gebeten hätte.
So schnell wie die internationale Lage sich augenblicklich verändert, ist es vorstellbar, dass die Pläne, die Heil und Schulze verfolgen, ohnehin scheitern. Denn wenn die Trennung von der westlichen Herrschaft weiter fortschreitet, werden Einrichtungen wie dieses deutsche Migrationszentrum als das gesehen, was sie sind – als Institutionen zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Die Länder, die ihre Souveränität absichern wollen, werden eine Abwerbung von Arbeitskräften untersagen. Und wenn in der Vergangenheit solche Entwicklungen Jahre benötigten, zeigen die aktuellen Durchläufe von Farbrevolutionen auch den afrikanischen Ländern deutlich genug, was sie machen müssen.
Man kann dieses absehbare Scheitern durchaus mit Freude betrachten, denn wie viel freundlicher müsste dieses Deutschland zu seinen Menschen sein, wenn es seine Arbeitskräfte nicht mehr überall zusammenstehlen könnte, sondern die Bedingungen schaffen muss, sie selbst aufzuziehen?
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