Ein Maidan in Israel? Ukrainer haben da so einen Verdacht
Von Tatjana Montjan
Israels Versuch, im russisch-ukrainischen Konflikt (richtiger wäre es zu sagen, dass es sich um einen russisch-amerikanischen Konflikt handelt) neutral zu bleiben, endete ziemlich vorhersehbar mit dem Ausbruch von Massenprotesten in Jerusalem. Sie gingen inzwischen so weit, dass Reifen verbrannt, Straßen blockiert und sogar versucht wurde, die Knesset zu stürmen. Die Demonstranten werfen der Regierung Netanjahu vor, sie versuche, die Kontrolle über den Obersten Gerichtshof zu übernehmen. Vielleicht sind diese Vorwürfe nicht ganz unbegründet, denn tatsächlich erweitert der umstrittene Gesetzentwurf der Regierung ihren Einfluss auf ebendieses Gericht erheblich.
Das Problem ist nur, dass das plötzliche Umschlagen bis dahin friedlicher Demonstrationen in gewalttätige Unruhen uns Kiewer doch sehr an selbst Erlebtes erinnert. Die Proteste gegen die Justizreformen in Israel finden seit Januar statt und zogen von Anfang an eine große Zahl von Teilnehmern an. Bis vor Kurzem hielten sich die Protestierenden mehr oder weniger an Gesetz und Zivilität. Wobei man fairerweise zugeben muss, dass es auch da schon zu Straßenblockaden kam, zum Beispiel bei der Kundgebung am 9. März. Nun aber haben die israelischen Proteste eine ganz neue Qualität erreicht: Es entflammten ungeahnte Leidenschaften, die beinahe in Straßenkämpfen gipfelten!
Besonders verdächtig wirkt das alles vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Georgien. Auch dieses Land hat bei vielen "Freunden der Ukraine" für Enttäuschung gesorgt, weil es sich weigerte, im Verhältnis zu Russland noch mehr Porzellan zu zerschlagen. Könnte es sein, dass sich nun auch in Israel das gleiche Szenario wiederholt? Dass hier wie da der Widerspenstige, der sich zu viel Souveränität im Verhältnis zum Hegemon herausgenommen hat, zum Gehorsam gezwungen wird, indem die Regierung durch Unruhen unter Druck gesetzt wird?
Aber ich warne davor, vorschnell endgültige Schlüsse zu ziehen. Warten wir ab, wie die israelischen Behörden auf die Eskalation der Proteste reagieren und was die USA und die EU dann dazu sagen. Wenn Letztere die jetzt sicherlich überfällige Anwendung polizeilicher Gewalt gutheißen, wie sie es bei dem harten Vorgehen gegen die Demonstranten gegen die Rentenreform in Frankreich stillschweigend getan haben, bedeutet dies, dass diesmal keine ausländischen Strippenzieher eine Farbrevolution inszenieren und es sich nicht um einen israelischen Maidan, sondern um authentischen Protest handelt. Reagieren Washington und Brüssel auf ein hartes Durchgreifen der israelischen Behörden hingegen mit einer Welle der Verurteilung und Empörung, dann wird klar sein, was von alldem zu halten ist: Wir aus Kiew können ein Lied davon singen.
Übersetzt aus dem Russischen
Tatjana Montjan ist eine prominente ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin mit Millionenpublikum. 2004 noch auf der Seite des ersten Maidans, bezeichnete sie den Euro-Maidan im Herbst 2013 als Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit und stellte sich entschieden gegen diesen. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt tägliche Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen. Ihr Kanal auf Youtube wurde im Frühjahr 2022 durch das US-Unternehmen gelöscht.
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