Die moralische Autorität der USA ist tot und begraben
Ein Kommentar von Caitlin Johnstone
Soweit die Dinge stehen, ist dies ein guter Brief. Er listet die wichtigsten Interessengruppen für Pressefreiheit und Menschenrechte auf, die eine Freilassung von Assange gefordert haben, identifiziert korrekt die Bedrohungen, die dieser Fall für die Pressefreiheit auf der ganzen Welt darstellt, und vermeidet es, irgendwelche klassischen Verleumdungen gegen Assange einzuweben, die normalerweise ihren Weg in hochrangige Einwände finden, wenn es um die Verfolgung des WikiLeaks-Gründers geht. Es ist unbestreitbar gut, dass dieser Brief geschrieben wurde.
Trotzdem möchte ich eine Passage des Briefes für einen Moment ins Rampenlicht rücken und einige Stellen hervorheben:
Die strafrechtliche Verfolgung von Julian Assange wegen journalistischer Aktivitäten mindert Amerikas Glaubwürdigkeit als Verteidiger dieser Werte erheblich, untergräbt das moralische Ansehen der Vereinigten Staaten auf der Weltbühne und gewährt autoritären Regierungen, die auf die Anklage gegen Assange hinweisen können – und dies auch tun –, effektiv eine evidenzbasierte Kritik an ihrer Menschenrechtsbilanz zurückzuweisen und als Präzedenzfall zu betrachten, der die Kriminalisierung von Berichterstattungen über ihre eigenen Aktivitäten rechtfertigt. Oberhäupter von Demokratien, großen internationalen Gremien und Parlamentarier auf der ganzen Welt lehnen die Strafverfolgung von Assange ab. Der ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, und die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, haben sich beide gegen eine Auslieferung von Assange an die USA ausgesprochen. Der australische Premierminister Anthony Albanese hat die US-Regierung aufgefordert, die Verfolgung von Assange einzustellen. Die Staatsoberhäupter von fast allen großen lateinamerikanischen Nationen, darunter der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador, der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und der argentinische Präsident Alberto Ángel Fernández, haben gefordert, die Anklage fallen zu lassen. Parlamentarier aus der ganzen Welt, darunter aus Großbritannien, Deutschland und Australien, haben gefordert, Assange nicht an die USA auszuliefern.
Dieser weltweite Aufschrei gegen die Verfolgung von Herrn Assange durch die US-Regierung hat die Diskrepanz zwischen den erklärten amerikanischen Werten der Pressefreiheit und der Verfolgung von Herrn Assange deutlich gemacht. Der Guardian schrieb: "Die USA haben sich diese Woche selbst zum Leuchtfeuer der Demokratie in einer zunehmend autoritären Welt erklärt. Wenn Herr Biden es ernst meint mit dem Schutz der Fähigkeit der Medien, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, sollte er damit beginnen, die gegen Herrn Assange erhobenen Anklagen fallen zu lassen." In ähnlicher Weise erklärte die Redaktion des Sydney Morning Herald: "In einer Zeit, in der US-Präsident Joe Biden gerade einen 'Gipfel für Demokratie' abgehalten hat, scheint es widersprüchlich, solche Anstrengungen zu unternehmen, um einen Fall zu gewinnen, der, wenn er erfolgreich ist, die Meinungsfreiheit einschränken wird."
Dies ist meiner Meinung nach der wirkungsvollste Teil des Briefes, in dem Sinne, dass es jener Teil ist, der am ehesten die Aufmerksamkeit derjenigen erregen wird, die für die anhaltende Verfolgung von Assange verantwortlich sind. Tatsächlich scheint der Text absichtlich so gestaltet worden zu sein.
Die Inhaftierung von Assange im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, während man auf den beispiellosen Schritt hinarbeitet, einen Verleger nach dem Spionagegesetz anzuklagen, untergräbt in der Tat das moralische Ansehen der Vereinigten Staaten auf der Weltbühne und gewährt Regierungen, die den USA nicht gefallen, die Möglichkeit, Washingtons Mahnfinger zurückzuweisen. Das Ringen um Menschenrechte als zynische, performative Heuchelei. Aber während die Autoren des Briefes dies als etwas Unrechtmäßiges darstellen, das den Fakten widersprechend getan wird, ist in Wirklichkeit die moralische Autorität der Vereinigten Staaten, die Menschenrechtsbilanz ausländischer Nationen zu kritisieren, irreparabel zerstört worden. Nicht nur in den Realitätstunneln ausländischer Propagandisten, sondern in der tatsächlichen Welt.
Wenn Leute über "moralische Autorität" sprechen, dann oft auf abstrakte, philosophische Weise, als wäre es eine Frage logischer Kohärenz: "Du hast keine moralische Autorität zu diesem Thema, weil Du ein Heuchler bist und Deine erklärte Position Deinen eigenen Handlungen widerspricht." Als wäre es bloß ein Streit darüber, ob die richtigen intellektuellen Tasten gedrückt wurden. Und wenn dies nicht getan wurde, bedeutet das, dass man mit dem Finger darauf zeigen und ein mentales Schachmatt erklären kann. Aber die Frage der moralischen Autorität läuft auf etwas viel Greifbareres hinaus.
Moralische Autorität ist ein Maß für die Qualifikation einer Person zur Führung in moralischen Angelegenheiten. Wenn ich als eine moralische Person bekannt bin, die moralische Entscheidungen trifft, ist es sinnvoll, dass die Leute mich um Führung in Fragen der Moral bitten. Wenn ich als unmoralische Person bekannt bin, dann kommt niemand zu mir, um sich moralisch beraten zu lassen, weil er verstanden hat, dass ich nicht die Qualifikation für diese Rolle habe. Wenn Menschen also versuchen, die Verfolgung von Assange als eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung darzustellen, um ausländische Narrative gegen die USA zu bekämpfen, dann liegen sie falsch. Das Problem ist nicht, dass die Verfolgung von Assange die USA schlecht aussehen lässt, das Problem ist, dass es beweist, dass die USA schlecht sind.
Und natürlich brauchten wir nicht wirklich die Verfolgung von Julian Assange, um das für uns selbst herauszufinden. Die USA sind das einzige Land der Welt, das das 21. Jahrhundert damit verbracht hat, Millionen von Menschen in Kriegen um geostrategische Vorherrschaft zu töten; ganze Völker mit Hungersanktionen und Blockaden wirtschaftlich zu erdrosseln; die einzige Nation der Welt, die den Planeten mit Hunderten von Militärbasen zugepflastert hat, dessen Ziel die Weltherrschaft ist und damit das Risiko eines nuklearen Armageddons, mit einer schnell eskalierenden Agenda zur Sicherung seiner unipolaren Hegemonie, kontinuierlich erhöht hat. Der Fall Assange macht den völligen Niedergang des moralischen Ansehens der USA nur viel deutlicher.
All dies wird auch dann noch der Fall bleiben, sollte Assange freigelassen werden. Das US-Imperium wird trotzdem jenes Land bleiben, das Jahre damit verbracht hat, einen Journalisten wegen des Verbrechens des Journalismus verfolgt zu haben; das US-Imperium wird trotzdem noch als der schlimmste Kriegstreiber der Welt betrachtet werden und wird trotzdem noch als der weltweit ungeheuerlichste Verletzter von Menschenrechten gelten. Das moralische Ansehen der USA ist tot und begraben, und die Welt sollte aufhören, ihrem Beispiel bei der Schaffung einer "gerechten und ethischen Welt" zu folgen. Dafür fehlen den USA einfach die Voraussetzungen. Tatsächlich gibt es auf der Welt keine Machtstruktur, die dafür weniger qualifiziert wäre.
Aus dem Englischen
Caitlin Johnstone ist eine unabhängige Journalistin aus Melbourne, Australien. Ihre Webseite findet sich hier und man kann ihr auf Twitter unter @caitoz folgen.
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