Visa für falsche Pässe oder: Frau Baerbock und das Recht
Von Dagmar Henn
Reden wir einmal über das Rechtsbewusstsein im Auswärtigen Amt. Selbst wenn es die Bild ist, die den Fall jetzt in ganzer Schönheit offengelegt hat. Die ganze Geschichte hat so viele Abgründe, dass sie eigentlich unmittelbare Konsequenzen haben müsste (was im Umkehrschluss natürlich ebenso bedeutet, dass die Berichterstattung selbst ein Indiz dafür sein kann, dass Annalena Baerbock inzwischen von vielen als Belastung gesehen wird).
Zum Fall. Es soll Streit geben zwischen der Visastelle in der deutschen Botschaft in Islamabad und der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes (!) in Berlin. Die Visastelle weigert sich, einem gewissen Mohammad Ali G. ein Visum zur Einreise nach Deutschland auszustellen, weil dieser einen gefälschten Pass vorgelegt und sogar die Visagebühren mit Falschgeld bezahlt haben soll.
Das Auswärtige Amt reagiert darauf mit einer Mail, in der die zuständige Sachbearbeiterin der Rechtsstelle erklärt, sie möchte "trotz des falschen Passes an der Weisung zur Visaerteilung festhalten, da durch den falschen Pass die 'Geschäftsgrundlage' des gerichtlichen Vergleichs nicht entfällt".
Der "gerichtliche Vergleich" bezieht sich wohl auf eine Klage des besagten Mohammad Ali G. auf Familienzusammenführung; als Grund dient ein Mann, der dessen Bruder sein soll. In der mündlichen Verhandlung soll dieser vermeintliche Bruder, dessen wirkliches Verwandtschaftsverhältnis zu Mohammad Ali G. aus der Entfernung nicht überprüfbar ist, erklärt haben: "Wir telefonieren eigentlich nur wenig miteinander. Mein Bruder wird dann immer so traurig. Er weint und will nach Deutschland."
Gegen den angeblichen Bruder läuft ein Ermittlungsverfahren der Bundespolizei wegen Falschaussagen. Seitdem wird der Fall nach Angaben der Bild wie der Schwarze Peter von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft geschoben.
Dass eine Rechtsabteilung eines deutschen Ministeriums offen zum Rechtsbruch auffordert, ist aber nur die eine Seite der Geschichte. Eben diese Mail aus der Rechtsabteilung war aller Wahrscheinlichkeit nach diejenige, auf die sich eine Frage des AfD-Abgeordneten Petr Bystron bei der Befragung Baerbocks im Bundestag bezog.
"Wir haben hier eine E-Mail aus Ihrem Amt, Referat 509, an die Botschaft in Islamabad, in der explizit dazu aufgefordert wird, auch bei gefälschten afghanischen Pässen Visa zu erteilen. Ist das Ihre Politik? Machen Sie das absichtlich? Oder machen das die Beamten, ohne dass Sie das wissen, und Sie haben überhaupt keinen Überblick darüber, was in Ihrem Hause passiert?"
Die Antwort Baerbocks beinhaltete zwar auch Bemerkungen wie "Wir beteiligen uns an nichts, was nicht legal wäre", eine Berufung auf das Grundgesetz und die Behauptung: "Dann haben wir den Hinweis bekommen, (...) dass es zu Fälschungen kommen könnte. Daraufhin haben wir, das Auswärtige Amt zusammen mit dem Innenministerium, das Aufnahmeprogramm unverzüglich gestoppt." Aber es gab auch andere Sätze, die nahelegen, dass es eben nicht mit rechten Dingen zugeht:
"Und deswegen habe ich mit den Pakistani eine Vereinbarung getroffen, dass Menschen über ihre Grenze kommen können, auch wenn sie keine Pässe haben, weil Pässe dort nicht ausgestellt werden. Wir können alle froh sein, dass wir Reisepässe haben können, um zu reisen. Das funktioniert da nicht. Und deswegen haben wir dafür gesorgt, dass Frauen und Kinder, insbesondere solche, oder Anwältinnen, Rechtsanwältinnen, schnellstmöglich aus Pakistan rauskommen können."
Bei genauer Betrachtung beinhalten diese Sätze eine Bestätigung, dass gefälschte Pässe akzeptiert werden. Baerbock, die damit belegt hat, dass sie um die Mail an Islamabad wusste, wirft allerdings mit ihrem Verweis auf humanitäre Grundsätze eine Nebelgranate – Mohammed Ali G., um den es in dieser Mail ging, ist weder Frau noch Kind und schon gar nicht Rechtsanwältin.
Die Botschaft in Islamabad zweifelt an den Angaben, die Mohammad Ali G. gemacht hat. "Es gebe "erhebliche Zweifel" am behaupteten Alter (eher 20 als 14 Jahre), seiner Herkunft (er spricht pakistanischen und nicht afghanischen Dialekt) und am vermeintlichen Flüchtlingsschicksal (er trägt teure westliche Kleidung)", so der Pressebericht.
Es sind mittlerweile viele Fälle bekannt, in denen sich Afghanen als etwas ganz anderes und Jugendliche als längst Erwachsene erwiesen haben; wobei das meist erst im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen auffiel. Zweifel an dieser Stelle sind jedenfalls, sobald entsprechende Indizien vorliegen, wohlbegründet.
Ministerin Baerbock weiß genau, dass die Sympathie, die sie in ihrer Antwort mit der Formulierung "Frauen und Kinder" hervorrufen wollte, sich kaum auf alleinstehende junge Männer erstreckt, vor allem nicht, wenn deren Alter in Zweifel steht. Die Frage, ob dieser junge Mann tatsächlich einen Bruder in Deutschland hat und tatsächlich minderjährig ist, ist schließlich auch nicht unbedeutend, wenn es um die offenbar mit einem Vergleich geschlossene Klage auf Familienzusammenführung geht.
Nehmen wir einmal an, die Beschreibung stimmt so, und es handelt sich um einen gut gekleideten, erwachsenen Pakistaner, der mit einem gefälschten Pass und Falschgeld versucht, an ein Visum für Deutschland zu kommen – welche Erwartungen hat man dann bezogen auf sein Verhalten in Deutschland? Der gefälschte Pass ist da vielleicht noch kein Indiz, aber auffällig teure Kleidung und Falschgeld könnten doch darauf hinweisen, dass er sein Einkommen nicht unbedingt in der legalen Ökonomie erzielt.
Praktisch gesehen ließe sich sowohl die Frage seines Alters als auch die seiner vorhandenen oder nicht vorhandenen Verwandtschaft mit dem vermeintlichen Bruder abschließend nur in Deutschland klären. Wäre er aber erst einmal hier, ist die Wahrscheinlichkeit einer Abschiebung nicht sehr hoch, Falschgeld hin oder her. Kann es die Aufgabe einer deutschen Botschaft sein, Personen, die zumindest deutlich den Eindruck hinterlassen, nicht allzu viel Wert auf gesetzeskonformes Verhalten zu legen, auch noch entgegen der Rechtslage per ministerieller Anweisung zu importieren?
Nun gibt es natürlich eine denkbare andere Variante der Geschichte, zu der die teure Kleidung ebenfalls passen würde und die die Bereitschaft des Ministeriums zumindest partiell erklären könnte, auch wenn dann in diesem Fall einfach nur ignorant agiert wurde. Falls besagter Bruder zu jenen Leuten gehört, die man so euphemistisch "Ortskräfte" nennt, also irgendwo auf dem weiten Spektrum zwischen Dolmetscher, Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und Spion agiert hat und dadurch, weil im vermeintlich deutschen Interesse tätig, nach dem Abzug einen gewissen Anspruch auf den Aufenthalt in Deutschland hat, der dann auf seinen Bruder erweitert wird (was ganz und gar nicht ausschließt, dass die Familie dabei von Korruption profitiert hat, was die Kleidung erklären könnte), dann hätte sogar die Rechtsüberschreitung der Rechtsabteilung eine gewisse Legitimität, wenn auch nicht Legalität.
Dann allerdings war die zuständige Person in der Rechtsabteilung offenkundig unfähig, ein Schreiben an die Botschaft in Islamabad zu verfassen, das die richtigen Signale schickte. Im Regelfall hätte die Anweisung dann nämlich schlicht gelautet, die Erteilung des Visums sei im übergeordneten staatlichen Interesse.
So viel zum Fall Mohammad Ali G. Aber zurück zur Aussage Baerbocks im Bundestag. Sie sprach nicht im Singular, sondern von "Menschen, die über die Grenze kommen". Auch wenn es schwierig ist, bei den Äußerungen Baerbocks das Geschwalle von den wirklichen Aussagen zu trennen – bei ihr klang das eher nach einem Standardverfahren als nach einem Einzelfall.
Das wäre ein noch weit schlimmerer Rechtsbruch als die dokumentierte Mail; dann würde sich die Frage stellen, ob das Auswärtige Amt – mehr noch, die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes – aktiv in Menschenhandel involviert ist. Diese Frage bedürfte dringend der Klärung, denn wenn das zutrifft, sollte Baerbock die längste Zeit Ministerin gewesen sein.
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